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nachDRUCK # 6

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Premierenkritik

Ab ins Kloster



Das ist Maureen McKay, die diese psychisch angeschlagene Novizin Blanche in den GESPRÄCHEN DER KARMELITINNEN an der Komischen Oper Berlin verkörpert - Foto (C) Monika Rittershaus


Folgende drei herkömmliche 3-Wort-Formeln fallen mir zur großen Weltbestimmung ein:

1. Liebe, Glaube, Hoffnung

2. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit

3. Friede, Freude, Eierkuchen

Letztere der drei (mit Friede, Freude, Eierkuchen) ist die heutige, die allgemeingültige - die, der alles wurscht ist. Leute so wie du und ich leben ganz gut mit ihr, wenn sie nicht irgendwie in irgendeiner Not & Sorge sich befinden und daher wohl nie und nicht im Traume sich mit einer derartigen Leichtsinnsformel identifizieren würden; Not & Sorge hat dann freilich irgendwann und irgendwer wohl jeder - - aber Friede, Freude, Eierkuchen wird uns halt tagein-tagaus in unsrer schönen bunten Welt des Kapitals durch lauter Seh- und Hörbilder gewaltbereit und sehr gewalttätig vermittelt; und so denken wir am Ende gar - was uns die unsichtbaren Herrschenden des Kapitals versuchen weiß zu machen - , dass der Idealzustand der Welt halt lauter Friede, Freude, Eierkuchen wäre oder so.

Das war mal früher etwas anders. Formel 2 (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) schrieb sich die Französische Revolution von 1789 auf das Spruchband; und so war sie drauf und dran, dann Alles niederzumetzeln, was der schönen neuen Grundidee zuwider käme; und am allerhauptsuspektischsten waren ihr also eine "antibürgerliche" Individualität und individuelle Abgeschiedenheit - - weswegen sie dann auch, im Handstreich sozusagen, mit den Klosterhäusern abrechnete:

Und per Fallbeil wurden Liebe, Glaube, Hoffnung (Formel 1) im Nu im Blut ertränkt; sie passten einfach nicht in das vorkommunistische Konzept.

* * *

Um Solches (s. o.) geht es auch in den GESPRÄCHEN DER KARMELITINNEN von Francis Poulenc, die gestern Abend in der Komischen Oper Berlin respektabel über die Bühne gingen.

Calixto Bieito, der bekennende und inbrünstige Katholik, hatte sich diese Oper seines Glaubensbruders am Hause in der Behrenstraße zu inszenieren gewünscht. Ja und wenn Zwei, die eigentlich Dasselbe wollten oder wollen (Liebe, Glaube, Hoffnung), quasi aufeinandertreffen, konnte eine Großverstörung in den Sichtweisen von vorn herein schon ausgeschlossen werden - wir erinnern uns, dass Bieito lange Zeit diesem vom deutschen Feuilleton so kindisch aufgeblasenen Skandalnimbus anheimgestellt gewesen war. Aber nichts an Verschreckendem in dieser neuen Produktion von ihm! Das Grauen und der Schock liegen im Stück an sich.

Der Plot ist einfach und genial: Aristokratentöchterchen geht in das Kloster, weil's die "laute Welt" um es herum nicht mehr erträgt; das Mädchen hat also 'nen Psychoknall (seine Mutter, kurz nachdem sie es geboren hatte, starb dahin; die hatte, kurz vor ihrer Niederkunft, eine Pöbelbegegnung und hielt das nicht aus; ihr Töchterchen war also erblich vorbelastet - und der Mob sieht immer Rot, wenn er die Einzelnen entdeckt, die schuld an seinem Mobsein sind)... Ja und dann kommt halt diese Klosterhausbereinigung durch den Konvent der Französische Revoution; und die Oper endet in einer der erschütterndsten Opernfinalszenen: Nach und nach fallen die Köpfe der 16 Karmelitinnen; und jeder Schlag aus dem Orchestergraben (Dirigent: Stefan Blunier) empfindet sich als Fußtritt in die Eingeweide. Ich veließ die Aufführung, als hätte mich wer mit dem Klammersack gepudert.

Großartige Darstellungen auf der Bühne!

Das Karmelitinnen-Kloster und/oder sein späteres Gefängnis werden mittels 48 in vier vierstöckigen Reihen als ein Riesenbaugerüst gestellten Eisenbetten stilisiert; diese Idee hatte Rebecca Ringst. / Die Nonnen tragen Alltagskleidung (Kostüme: Ingo Krügler); lediglich ein Amulett'chen hier, ein Amulett'chen da lassen auf ihre Gläubigkeit verweisen. // Maureen McKay spielt Blanche (die mit dem Psychoknall); daneben heben sich zum Beispiel Julia Giebel als Constance und Irmgard Vilsmaier als Novizenmeisterin ungleich bestechender hervor; phänomenaler Auftritt von Christiane Oertel als Priorin, die sich splitternackt (!) nach der vollzog'nen Agonie ihrer Figur zusätzlich einer Totenwaschung unterzieht; und Peter Renz als von den ausführenden Bürgerlichen arg gemobbter Beichtvater beeindruckt körperlich wie stimmlich gleichermaßen...




Peter Renz als gemobbter Beichtvater in den GESPRÄCHEN DER KARMELITINNEN an der Komischen Oper Berlin - Foto (C) Monika Rittershaus



Habe totzdem nicht verstanden, warum heut' und hier diese GESPRÄCHE DER KARMELITINNEN so zwingend wichtig sind, dass man sie hier und heute wieder einmal inszeniert.
Andre Sokolowski - 27. Juni 2011
ID 5267
GESPRÄCHE DER KARMELITINNEN (Komische Oper Berlin, 26.06.2011)
Musikalische Leitung: Stefan Blunier
Inszenierung: Calixto Bieito
Bühnenbild: Rebecca Ringst
Kostüme: Ingo Krügler
Besetzung:
Marquis de La Force ... Claudio Otelli
Blanche de La Force ... Maureen McKay
Der Chevalier ... Dmitry Golovnin
Madame de Croissy ... Christiane Oertel
Madame Lidoine ... Erika Roos
Mutter Marie, Novizenmeisterin ... Irmgard Vilsmaier
Schwester Constance ... Julia Giebel
Mutter Jeanne ... Caren van Oijen
Schwester Mathilde ... Maren Schäfer
Der Beichtvater des Karmel ... Peter Renz
1. Kommissar ... Thomas Ebenstein
2. Kommissar ... Hans-Peter Scheidegger
Kerkermeister ... Carsten Sabrowski
Chor der Komischen Oper Berlin
(Choreinstudierung: André Kellinghaus)
Orchester der Komischen Oper Berlin
Premiere war am 25. Juni 2011
Weitere Termine: 30. 6. / 3., 9., 16. 7. 2011


Weitere Infos siehe auch: http://www.komische-oper-berlin.de


http://www.andre-sokolowski.de



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