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Rezension


4. April 2011, Schauspiel Köln

Bertolt Brecht/Kurt Weill: Die Dreigroschenoper



Sachiko Hara als Polly Peachum in Brecht/Weills DREIGROSCHENOPER am Schauspiel Köln - Foto (C) David Baltzer


Brecht goes Klamotte

Bertolt Brecht und Kurt Weill haben Konjunktur in der Domstadt Köln: Erst zeigte die Kölner Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny (Rezension: Nichts los in Mahagonny), nun ist am Schauspiel Köln Die Dreigroschenoper in einer Inszenierung von Nicolas Stemann zu sehen.

Ästhetisch ist Die Dreigroschenoper äußerst ansprechend. Der Boden glänzt und spiegelt eine Digitalschrift wider, die als Laufband eingeblendet wird. Die Bühne ist zu Beginn leer bis auf eine weiße Kastenkonstruktion an der Bühnenrückwand, in deren Innenleben der Zuschauer immer dann Einblick erhält, wenn die Schiebetüren auf der Vorderseite geöffnet werden. Hier stehen die Musiker im Neonlicht und spielen ihre Instrumente. Und über allem schwebt eine Gitterkonstruktion. Ein stylisher Raum mit kühler Ästhetik (Bühnenbild: Katrin Nottrodt). Die Kostüme von Esther Bialas dagegen bieten eine größere Bandbreite: Vom Anzug bis zur Domina-Verkleidung wird hier im Laufe des Abends einiges geboten.

Diese kühle Ästhetik, die das Bühnenbild verströmt, füllen Stemann und seine Darsteller ordentlich mit Leben, auch wenn es distanziert und gemächlich anfängt. Zunächst sieht man nämlich nur den Text der Dreigroschenoper inklusive Regieanweisungen, der als schon oben erwähntes Laufband eingeblendet wird. In den dunklen Raum gesellen sich mehr und mehr Darsteller, die ins Publikum schauen und murmelnd den Text ablesen. Später stellen sie sich an zwei Mikrophon und sprechen den Text.

Wenn das Spiel beginnt, schmeißen sich die Schauspieler mit Verve ins Zeug und wechseln untereinander die Rollen. Yorck Dippe, Robert Dölle und Renato Schuch spielen dabei alle Mackie, mal gleichzeitig, mal nacheinander. Der eine mimt ihn als coolen Macho mit durchsichtigem Hemd und Sonnenbrille (Schuch), der andere punktet mit seiner intellektuellen Trotteligkeit (Dippe). Ein besonderer Clou ist Sachiko Hara, die als Animierdame eingeführt wird und in die Rolle der Polly wechselt, mit deutlichen Anleihen an eine asiatisch-kitschige Kindchen-Ästhetik.

Stemann hat tief in die Komik- bzw. in die Klamottenkiste gegriffen. Anja Laïs gibt so weniger die besorgte Mutter Pollys als eine recht schlampige Erscheinung auf hohen Stöckelschuhen, die zwar Moral predigt, dann aber mit ihrer Tochter ordentlich Alkohol bechert und deren Hang zum Ganoven Mackie plötzlich gar nicht mehr so schlimm findet. Auch Wolfgang Michalek steht als Pollys Vater Jeremias Peachum nicht zurück und wirft sich einen rosafarbenen Fummel samt Perücke, wenn er seiner Tochter eine Strafpredigt hält. Das ist bei weitem nicht immer schlüssig und oft nahe an der Grenze zur Lächerlichkeit. Gerne inszeniert Stemann auch gegen die Songtexte. Beim „Kanonensong“ etwa schlagen sich die Darsteller der Mackies, wenn im Text von der tiefen Freundschaft der beiden Kumpel Mackie und Tiger Brown die Rede ist. Ja, das kann man machen, nutzt sich dann aber doch recht schnell ab. Manches ist allerdings auch ganz großartig, etwa die Bordellszene, die mit ihren schwülen Erotik und der ironischen Präsentation bestimmter Männerfantasien – vom Bunny über das Schulmädchen bis zur Domina – zur besten Szene des Abends wird.

Einen Moment, in dem es ernst wird, baut Nicolas Stemann dann doch in seine Inszenierung ein: Nach der Pause, wenn Peachum damit droht, den Krönungszug in der Londoner Innenstadt durch seine Bettler zu stören, steht ein Kasten vor dem Vorhang. Zunächst gewinnt man den Eindruck einer Kunstinstallation, aber nachdem Peachum drei gleich große Kästen, die hintereinander stehen, erst auseinander und dann in der richtigen Reihenfolge wieder zusammengeschoben hat, erkennt man das Bild eines Kleinkindes, das Hunger leidet. Dieses Bild brennt sich ein. Eine Qualität der Aufführung, die in diesem zweiten Teil etwas ruhiger und ernster wird, ist allerdings, dass sie ab diesem Moment nicht in Betroffenheitstheater umkippt. Und so ist bei der Begegnung von Mackies Frauen, die ihren Liebsten im Gefängnis besuchen, die tempo- und komödiantische Betriebstemperatur des Abends wieder erreicht.

Die Dreigroschenoper am Kölner Schauspiel ist inszenatorisch kein großer Wurf, aber allemal unterhaltsam und kurzweilig bei einer Dauer von knapp drei Stunden. Das fanden auch die zahlreich anwesenden Schüler und spendeten begeistert Applaus. Ein Grund dafür könnten auch die Songs sein. Musikalisch präsentiert sich der Abend nämlich absolut überzeugend und tadellos in Form.



Szene aus Brecht/Weills DREIGROSCHENOPER am Schauspiel Köln - Foto (C) David Baltzer


Karoline Bendig - red. 19. April 2011
ID 5166
DIE DREIGROSCHENOPER (Schauspiel Köln, 04.04.2011)
Regie: Nicolas Stemann
Bühne: Katrin Nottrodt
Musikalische Leitung: Hans-Jörn Brandenburg
Kostüme: Esther Bialas
Dramaturgie: Matthias Pees, Rita Thiele
Besetzung::
Macheath, genannt Mackie Messer ... Yorck Dippe, Robert Dölle und Renato Schuch
Jonathan Jeremiah Peachum ... Wolfgang Michalek
Celia Peachum, Peachums Frau ... Anja Laïs
Polly Peachum, seine Tochter ... Sachiko Hara
Tiger Brown, Oberster Polizeichef von London ... Robert Dölle
Lucy, seine Tochter ... Sonia Theodoridou
Die Spelunken-Jenny ... Ilknur Bahadir
Weitere Pollys, weitere Peachums, weitere Celias, weitere Spelunken-Jennys, Smith, Filch, Die Platte, Bettler, Huren, Konstabler ... Ilknur Bahadir, Yorck Dippe, Robert Dölle, Sachiko Hara, Anja Laïs, Wolfgang Michalek, Renato Schuch, Sonia Theodoridou
Ein Moritatensänger ... Sachiko Hara
Musiker:
Piccolo, Flöte, Altsaxofon, Klarinette ... Heiko Bidmon
Tenorsaxofon, Klarinette, Sopransaxofon ... Holger Werner
Trompete ... Udo Moll
Posaune, Kontrabass ... Achim Fink
Bajan ... Tatjana Bulava
Banjo, Gitarre, Hawaiigitarre, Violoncello ... Robert Nacken
Percussion, Pauken, Celesta, Glockenspiel ... Klaus Mages
Piano, Harmonium, musikalische Leitung ... Ewald Gutenkunst
Premiere war am 27. März 2011
Weitere Termine: 20., 25. und 29. 4. sowie 13. und 19. 5. 2011


Weitere Infos siehe auch: http://www.schauspielkoeln.de


Post an die Rezensentin Karoline Bendig



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