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Uraufführung

DEMOKRATIE IN ABENDSTUNDEN /
KEIN LICHT

Beuys, Cage, Goetz u.a. / Elfriede Jelinek


DEMOKRATIE IN ABENDSTUNDEN am Schauspiel Köln - Foto (C) Klaus Lefebvre


Volle Dröhnung

Mit zwei Uraufführungen eröffnet das jüngst zum zweiten Mal als Theater des Jahres ausgezeichnete Kölner Schauspiel seine neue Saison. Die Kombination scheint erfolgsversprechend: Karin Beier inszeniert Elfriede Jelinek, zumindest im zweiten Teil des Abends. Mit ihrer Lesart der Jelinek-Werke Das Werk, Der Bus und Ein Sturz hatte Beier im Frühjahr Publikum und Kritik gleichermaßen begeistert. Los ging es aber gemäß Spielzeitschwerpunkt mit der Kakophonie Demokratie in Abendstunden. Beier und ihr Produktionsteam haben sich für diese Ansammlung verschiedener Stimmen zum Thema Demokratie von Fellinis Film Orchesterprobe inspirieren lassen. Das bietet den Schauspielern in den ersten Minuten hervorragend Futter, Animositäten und Hierarchien untereinander auszuspielen. Die Geigen sind eben immer etwas Besonderes, die Querflöte wird gemobbt und findet keinen Platz, den Blechbläsern mangelt es nicht an Selbstbewusstsein.

Komik kommt hier nicht zu kurz und hält auch an, als Wolfgang Pregler – charmanterweise der kleinste Mann auf der Bühne – ans Dirigentenpult tritt. Er will volle Konzentration, aber jedes Mal wird er kurz nach dem Auftakt unterbrochen von Michael Wittenborns Hausmeister, der immer wieder Partituren auf die Bühne schleppt und neben dem Dirigentenpult ablegt. Es entspinnt sich eine erste Auflehnung: Die Menge der Partituren deutet auf eine prall gefüllte Probe hin und schon werden Stimmen laut, die an die Ruhezeiten gemahnen und von Ersatzdiensten reden. Wer schon einmal mit einem Orchester gearbeitet hat, weiß, dass das nicht nur komisch ist, sondern auch der Realität entspricht – zumindest in manchen Fällen.

Es wird auch musiziert, und das überraschend gut. Neben den Schauspielern sitzen auch Musiker auf der Bühne und mit Bettina Auer hat man sich zudem eine erfahrene Musiktheaterdramaturgin an die Seite geholt. Doch im Laufe der Zeit gerät die Probe immer mehr außer Kontrolle, was nicht zuletzt daran liegt, dass der Dirigent keine Lust mehr verspürt, seine Rolle auszuüben. Die Hierarchien im Orchester werden thematisiert und schnell ist man dann bei Demokratie, bei Kompetenz, bei verschiedenen Gesellschaftsauffassungen. Das Ganze kulminiert in einem Streit zweier Fraktionen darüber, ob Gewalt eine Lösung ist oder nicht.

Die Äußerungen der Einzelnen führen nicht zu einer stringenten Auseinandersetzung darüber, was der Bürger (einzeln oder in Gemeinschaft) in dieser Gesellschaft bewirken kann, wie er Einfluss nehmen kann. Es muss auch gar nicht sein, eine eindeutige Position zu beziehen. Aber auf diese Weise vorgetragen bleibt die Wut, die sich gegen Ende darin ausdrückt, dass alle Darsteller frontal zum Publikum an der Rampe stehend minutenlang Parolen brüllen, seltsam ziellos. In dieser letzten halben Stunde vor der Pause gibt die sogenannte Kakophonie Demokratie in Abendstunden dem Zuschauer ordentlich was auf die Ohren. In jedem Fußballstadion könnte man den Veranstalter wegen Körperverletzung verklagen. Allein die Lautstärke macht die diffuse Botschaft nicht eindringlicher …

Nach der Pause geht es weiter mit der Uraufführung von Elfriede Jelineks Kein Licht, dargereicht in einer Stunde Spieldauer. Kein Licht darf man zunächst einmal wörtlich verstehen. Minutenlange bleiben Zuschauerraum und Bühne dunkel, die Schauspieler, die den Text sprechen, sind nur zu hören. Das Erste, was man dann nach einiger Zeit sieht, ist der Glaskasten, der im ersten Teil als Raucherecke diente und in dem nun musiziert wird – ohne dass Musik zu hören ist. Und das ist auch das Problem, das die Protagonisten umtreibt. Was ist mit den Tönen passiert, mit den Noten? Lina Beckmann und Julia Wieninger begeben sich als Clowns auf die Suche und werden doch nicht fündig. Gleichzeitig sucht Sachiko Hara im Schlick auf der Bühne lautstark nach Überlebenden und an Mikrofonen wird der Jelineksche Text verlesen, in dem u.a. die Rede davon ist, dass die Natur mit der Naturkatastrophe in Japan vielleicht etwas übertrieben reagiert habe. Das ist böse und politisch unkorrekt. Aber diese Momente sind nur von kurzer Dauer. Und der Text von Jelinek – oder zumindest die Fassung davon, die Karin Beier präsentiert – wirkt irgendwie unfertig. Es bleibt unklar, wieso Noten und Töne Thema sind und was sie mit dem Reaktorunfall in Fukushima zu tun haben – außer der Assoziation, dass sie klingen und die Radioaktivität des Atommülls fatalerweise auch erst nach Ewigkeiten abklingt.

Kein Licht ist künstlerisch dichter, anregender als der erste Teil des Abends, auch wenn es eher wie ein Nachklang zu Demokratie in Abendstunden wirkt. Keine Frage, es gibt tolle Momente an diesem Doppel-Uraufführungsabend. Zum Beispiel Lina Beckmanns Klage darüber, dass sie nur das „Tutti-Schwein“ im Orchester ist und nie wahrgenommen wird. Oder die schmerzhaft eindringliche Passage im zweiten Teil, wenn Sachiko Hara in den Überresten der Katastrophe nach jemandem sucht und alle anderen sie einfach ignorieren.

Auch die Bühne von Johannes Schütz ist beeindruckend: Eine grandiose Idee ist beispielsweise der Glaskasten links hinten auf der ansonsten kargen Spielfläche. Hier ziehen sich im ersten Teil die Beteiligten zur Rauchpause zurück, was dazu führt, dass man vor lauter Rauch bald nichts mehr sieht (eine kleine Genugtuung für jeden Nichtraucher). In diesem Raum entstehen aber auch eindrucksvolle Bilder, etwa wenn sich alle Beteiligten von innen gegen die Wand quetschen oder in stummem Protest dem Publikum gegenüberstehen.

Überhaupt die Bühne: Das Donnern und Grollen, das im ersten Teil immer mal wieder zu hören ist und so klingt, als probe das Orchester neben einem U-Bahn-Schacht oder in einem Kohlebergwerk, entlädt sich zuletzt in Windstürmen über die Bühne, bei denen Notenblätter herumfliegen, und in einer schwarzen Farbe, die von den Wänden herunterläuft. Der graue Probenraumkasten verwüstet immer mehr. Und das ist dann gewissermaßen der Auftakt für Jelineks Kein Licht über die Atomkatastrophe in Fukushima.

All das wird mit sehr viel Aufwand betrieben, inklusive langer Umbauarbeiten in der Pause zwischen den beiden Stücken. Nur leider verpufft dieser Aufwand. Und so bleibt am Ende nur ein Eindruck von Erschöpfung.



Jelineks KEIN LICHT am Schauspiel Köln - Foto (C) Klaus Lefebvre

Karoline Bendig - red. 16. Oktober 2011
ID 5435
DEMOKRATIE IN ABENDSTUNDEN & KEIN LICHT (Schauspiel Köln, 12.10.2011)
Regie: Karin Beier
Bühne: Johannes Schütz
Kostüme: Maria Roers
Komposition und musikalische Leitung: Jörg Gollasch
Dramaturgie: Bettina Auer und Rita Thiele
Licht: Jürgen Kapitein
Mitarbeit Bühne: Sugiura Mitsuru
SchauspielerInnen: Lina Beckmann, Yorck Dippe, Jennifer Frank, Sachiko Hara, Charly Hübner, Jan-Peter Kampwirth, Thomas Loibl, Wolfgang Pregler, Yoshie Shibahara, Sonia Theodoridou, Michael Weber, Kathrin Wehlisch, Julia Wieninger und Michael Wittenborn
MusikerInnen: Silvia Bauer, Tilmann Dehnhard, Achim Fink, Nora Krahl, Bernhard Schwanitz, Radek Stawarz und Yuko Suzuki
Uraufführungen waren am 29. September 2011
Weitere Termine: 30. 10. / 4., 20. 11. 2011


Weitere Infos siehe auch: http://www.schauspielkoeln.de


E-Mail an die Rezensentin Karoline Bendig



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