Filme, Kino & TV
Kunst, Fotografie & Neue Medien
Literatur
Musik
Theater
 
Redaktion, Impressum, Kontakt
Spenden, Spendenaufruf
Mediadaten, Werbung
 
Kulturtermine
 

Bitte spenden Sie!

Unsere Anthologie:
nachDRUCK # 6

KULTURA-EXTRA durchsuchen...

Feuilleton


2. April 2011, Premiere am Gerhart Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau

CANDIDE von Leonard Bernstein



Zicat als Merkel in CANDIDE in Görlitz - Foto (C) Nikolai Schmidt


Die deutsche Frau isst Wurst

Dunkle Wolken ziehen derzeit übers Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz. Erst kommen sie vom Kulissenlager, wo die Ausstattungen von 17 Produktionen in Rauch und Asche aufgingen, später aus Richtung Rathaus, wo mal wieder die hässlichen F-Worte „Finanzierung“, „Fusion“ und „Fortbestand“ wie Gespenster über die Flure huschen. Wie gut wäre es gerade jetzt, würde das Theater die Fäuste ballen, zum künstlerischen Gegenschlag ausholen und mit einer Arbeit überzeugen, die ihre Existenz klar unter Beweis stellt. Et voilà, da ist sie schon: Lenny Bernsteins Candide.



Bley als Voltaire in CANDIDE in Görlitz - Foto (C) Nikolai Schmidt


Voltaire lieferte in seiner Erzählung die Übertreibung ins Groteske gleich mit, Bernstein komponierte daraus ein Zwitterwesen aus Oper und Operette und auch Regisseur Christian von Götz nimmt die Odyssee der Titelfigur keine Sekunde lang ernst. Gut so! Es genügt, die letzten Monate der Weltpolitik karikierend aneinanderzureihen, den Medien und Konsumenten eins auf die Mütze zu geben, den Untergang der abendländischen Kultur zu prophezeien - und schon stellt sich ein Theaterabend ein, der blitzgescheit und höchst kurzweilig daherkommt. Natürlich müssen dafür ein paar Handlungsorte verlegt werden und das Libretto Federn lassen (Textfassung: Christian von Götz und Ronny Scholz), was das Programmheft damit begründet, dass Voltaire auch eine aktuelle Situation in das Stück eingebaut hätte. Okay!



Struppe, Statist und Chor in CANDIDE in Görlitz - Foto (C) Nikolai Schmidt


Candide stösst also unter anderem auf Julian Assange, der nach einem Tänzchen auf dem elektrischen Stuhl landet, Silvio Berlusconi, der von seiner Exfrau Veronica Lario den altersgeilen Lümmel abgeschnitten bekommt, und auf Angela Merkel, die im Oslo-Skandal-Fummel aus der Torte springt und ein Paar Würstchen aus dem tiefdekolletierten Ausschnitt hervorzaubert. Mag das auch ein vorhersehbarer Gag sein: Audrey Larose Zicat zieht hier eine Riesennummer ab und serviert ihr Glitter and be gay mit Koloraturen, die wie ein frisch geöffneter Rotkäppchen perlen.

Das große Vorbild von Christian von Götz ist unübersehbar: Die Version des G8-Gipfels gleicht dem aus dem Ruder laufenden Triumphmarsch von Peter Konwitschnys Aida-Inszenierung und der Traum Candides im 2. Akt erinnert doch ein wenig an den Tanz der Diktatoren aus dessen Regie von Das Land des Lächelns. Das totgeglaubte Politische Theater meldet sich also zurück. Doch auch in der Personenführung hat von Götz seine Hausaufgaben gemacht und sich tief in die Musik gegraben, um aus ihr heraus Bewegungen und Konstellationen zu entwickeln. Sogar die oft so dramaturgisch fragwürdigen Balletteinlagen entfalten hier volle Wirkung.


Novotny als CANDIDE in Görlitz - Foto (C) Nikolai Schmidt


Apropos Musik. GMD Eckehard Stier steht im Graben, schnippst amüsiert die Takte - und die Neue Lausitzer Philharmonie überzeugt mit einem Klang, der Kapriolen schlägt, den Witz Bernsteins mit Schmackes einfängt und das szenische Treiben nach besten Kräften unterstützt. Man hört doch deutlich, wie hart geprobt wurde. Bei den (mit Mikroports verstärkten) Sängern gibt es eine Fehlbesetzung und das ist Yvonne Reich, die stimmlich - und das kann auch als Kompliment gewertet werden - einfach keine Old Lady ist. Tiefe Töne landen da schnell im Sprechgesang, auch vom Timbre her ist das keine Rolle für sie. Dagegen ist Jan Novotny auf den Punkt besetzt. Ihm gelingt ein leidenschaftlich versiertes, lyrisch phrasiertes und tief eindringendes Porträt des Candide. Stefan Bley, der als Voltaire den roten Faden durchs Geschehen zieht, scheint in den Jungbrunnen gefallen zu sein, denn er singt und spielt, spielt und singt, als hätte er die Rampensau in sich entdeckt.

Kommen wir zum Was-der-Bauer-nicht-kennt-Problem: Liebe Görlitzer, beweisen Sie Lust auf Neues und gehen in Ihr Theater! Für alle anderen: Auf in die Lausitz!


Heiko Schon - red. 3. April 2011
ID 00000005133
CANDIDE (Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz, 02.04.2011)
Musikalische Leitung: Eckehard Stier
Inszenierung: Christian von Götz
Ausstattung: Britta Bremer
Choreografie: Verena Hierholzer
Besetzung:
Voltaire | Pangloss | Martin ... Stefan Bley
Candide ... Jan Novotny
Cunegonde | Angela Merkel | Stephanie zu Guttenberg | Noemi ... Audrey Larose Zicat
Alte Dame | Brigitte Mohnhaupt | Veronica Lario ... Yvonne Reich
Maximilian | Oberst Klein | Osama bin Laden | Silvio Berlusconi ... Tim Stolte
Karl Theodor zu Guttenberg | Landesbankchef Krikowski ... Egill Arni Palsson
Paquette | Ruby ... Patricia Bänsch
Julian Asange ... Hans-Peter Struppe
u. v. a.
Es singt der Chor des Theaters Göritz
Es spielt die Neue Lausitzer Philharmonie
Premiere war am 2. April 2011
Weitere Vorstellungstermine: 8., 10., 16., 24. 4. sowie 6. 5. 2011


Weitere Infos siehe auch: http://www.theater-goerlitz.de


E-Mail an den Rezensenten Heiko Schon: hschon@kultura-extra.de



  Anzeigen:



THEATER Inhalt:

Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN

Rothschilds Kolumnen

BALLETT |
PERFORMANCE |
TANZTHEATER

CASTORFOPERN

DEBATTEN
& PERSONEN

FREIE SZENE

INTERVIEWS

PREMIEREN-
KRITIKEN

ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski

URAUFFÜHRUNGEN


Bewertungsmaßstäbe:


= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal


Home     Datenschutz     Impressum     FILM     KUNST     LITERATUR     MUSIK     THEATER     Archiv     Termine

Rechtshinweis
Für alle von dieser Homepage auf andere Internetseiten gesetzten Links gilt, dass wir keinerlei Einfluss auf deren Gestaltung und Inhalte haben!!

© 1999-2024 KULTURA-EXTRA (Alle Beiträge unterliegen dem Copyright der jeweiligen Autoren, Künstler und Institutionen. Widerrechtliche Weiterverbreitung ist strafbar!)