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Premierenkritik


20. Oktober 2013 - Hamburger Kammerspiele

OLEANNA



Ulrich Gebauer und Elisa Schlott in Oleanna | Bildquelle http://www.hamburger-kammerspiele.de


Furioser Start in die neue Spielzeit

Worum geht es in diesem Stück des amerikanischen Dramatikers David Mamet?

Es sind nicht unübliche Prüfungs- und Versagensängste, die die naive, etwas dümmliche Studentin Carol plagen. Als sie sich an ihren Professor wendet, agiert dieser gönnerhaft-hilfsbereit, möchte sie von den Befürchtungen befreien.

Sie sieht sich jedoch seiner Argumentation nicht gewachsen, scheitert an seiner vom Fachjargon geprägten Diktion, missversteht auch seinen provozierenden Witz. Zugleich ist sie entsetzt von seinem anbiedernden Vorschlag, ihr für eine schwache Seminararbeit unverdient ein aufgebessertes Prädikat zu geben. Sie verzweifelt, hält das amerikanische Universitätssystem für korruptionsanfällig, fühlt sich „versklavt“ – ganz so wie in einem ursprünglich norwegischen, später ins Englische übersetzten Volkslied, sehnt sich also gleichsam (ohne dass dies je ausgesprochen wird) nach jener poetisch überhöhten Siedlung namens Olenna (die es übrigens als utopische Gemeinschaft in Pennsylvania/USA tatsächlich gibt): »Oh to be in Oleanna, / That's where I'd like to be / Than to be in Norway / And bear the chains of slavery.«

Nach verquasten Insinuierungen und Missverständnissen kommt
es zu einem nervtötenden verbalen Machtspiel, das sich, bevor es in den Vorwurf sexueller Belästigung und das daraus resultierende Karriereende des akademischen Lehrers einmündet, zu einem heftigen Kampf der Geschlechter entwickelt.

Es ist die »politische Korrektheit«, die bei dem wirren Schlagabtausch mitschwingt, jener in den 1980er Jahren in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung entstandene Begriff, der darauf abzielt, der Diskriminierung jedweder Minderheiten mit Hilfe nicht wertender, neutraler Sprache zu begegnen.

Das, was im postpuritanischen angelsächsischen Raum als »sexual harassment« bezeichnet wird und an amerikanischen Colleges eine zueilen rigide Interpretation erfuhr, wurde in der Europäischen Union, basierend auf einem Vorschlag der Europäischen Kommission, modifiziert in eine trockene juristische Definition gepresst, deren Ausdeutung jedoch nach wie vor die entscheidende Schwierigkeit darstellt.

Als sexuelle Belästigung gilt danach ein »geschlechtsbezogenes Verhalten, das sich in verbaler, nichtverbaler oder physischer Form äußert, die Verletzung der Würde einer Person oder die Schaffung eines durch Einschüchterungen, Anfeindungen, Herabsetzungen, Demütigungen, Beleidigungen oder Verstörungen geprägten Umfelds bezweckt oder bewirkt.«

Es bedurfte eines erfahrenen, mit der angelsächsischen Mentalität vertrauten Regisseurs, zu verdeutlichen, wie sehr die individuellen Auslegungen von Grenzüberschreitungen jede streitige Kommunikation erschweren. Der fast vier Jahrzehnte in Hamburg ansässige Brite Ralph Bridle, der schon mit David Harrowers provokantem Well-Made Play Blackbird, einer Fortschreibung von Nabokows Lolita, und Neil LaButes von psychologischen Fallstricken durchzogenem Manipulationsstück Das Maß der Dinge große Erfolge an den Kammerspielen feiern konnte, war für Mamets Kammerspiel zweifelsfrei der richtige Mann. Wer außer ihm verfügt über Regieerfahrungen, die von Händel-Opern bis hin zu seichter Unterhaltung à la Gute Zeiten, schlechte Zeiten reichen?!

Bridle hat es bravourös verstanden, einen äußerst erfahrenen Mimen und eine hochbegabte junge Schauspielerin durch den nicht immer leichten, zuweilen äußerst sperrigen Wortfetzen-Dialog zu führen.

Den charakterlich schillernden, sich teils überkorrekt gebenden, teils blasiert argumentierenden Professor gibt in faszinierender Manier Ulrich Gebauer, den wir nicht nur als einfühlsamen Kästner-Rezitator kennen, sondern der in den letzten Jahren auch unterschiedlichste Filmcharaktere zu repräsentieren wusste – man denke an seine Rolle in der RTL-Serie Der Lehrer, an den Pfarrer Schäuble im schwäbischen Westernstreich mit Dialekt-Showdown (Die Kirche bleibt im Dorf), an den Reichskanzler Gustav Stresemann in der bekannten ZDF-Serie oder an windige Typen in etlichen TATORT-Folgen.

Gebauer hat einiges auszuhalten: er wird mit Schwarzwälder Kirschtorte beworfen, muss sich mit Sekt übergießen lassen und den Versuch unternehmen, eine umgestürzte Bibliothekswand hochzustemmen.

Als weiblicher Gegenpart brilliert die erst neunzehnjährige, erstaunlich sicher agierende Elisa Johanna Lucie Schlott (die in ihren ersten Fernsehproduktionen bereits an den Seiten von Ulrich Mühe und Corinna Harfouch spielte und auch schon über Filmerfahrungen verfügt) durch ein nuanciertes Spiel, das, wie vom Autor gewollt, zwischen einfältigem und verlogen-raffiniertem Gestus oszilliert.

Lang anhaltender Beifall für einen imponierenden Theaterabend! Er wäre vollkommen gewesen, wenn die Regie berücksichtigt hätte, dass bei der schallschluckenden Akustik der Kammerspiele ein prononcierterer Sprachduktus hätte gewählt werden müssen. Auch sollten die Schauspieler weniger zur Seite oder gar zur Rückwand sprechen, sondern ins Publikum. Den professoralen Schreibtisch hätte man weiter nach vorn positionieren sollen.

Gewiss: der phonetisch geschulte Rezensent konnte vieles von den Lippen lesen, doch schon ab der vierten Parkett-Reihe hielten Teile des Publikums beide Hände hinter die Ohren oder nestelten offenbar an ihren Hörgeräten. Das muß nicht sein!



Bewertung:    


Christoph Gutknecht - 21. Oktober 2013
ID 7284
OLEANNA (Hamburger Kammerspiele, 20.10.2013)
Regie: Ralph Bridle
Ausstattung: Dietlind Konold
Mit: Ulrich Gebauer und Elisa Schlott
Premiere war am 20. Oktober 2013
Weitere Termine: 23. - 26., 30., 31. 10. / 1. - 3., 6. - 9., 12. - 17. 11. 2013


Weitere Infos siehe auch: http://www.hamburger-kammerspiele.de


Post an Prof. Dr. Christoph Gutknecht

http://www.christoph-gutknecht.de



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