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24. August 2013 - Vierte Welt (Berlin-Kreuzberg)

PLEBS


(C) http://www.viertewelt.de




In einem toten Winkel der Geschichte – die Wiederkehr der Plebs - Eine subversive Montage nach Motiven von Alain Brossat als Aufstandsapologie in der Vierten Welt

Die Vierte Welt liegt kosmisch in Kreuzberg, am Ende einer mit Satellitenschüsseln und Topfpflanzen gepflasterten Milchstraße. Sie erscheint als klandestiner Schauplatz so wie ein Speakeasy in der wuchtigsten Wabenburg am Kottbusser Tor. Dieses Babylon der Legebatterien drängt zur Vertikalen als stünde die Horizontale in Brand.




Foto (C) Jamal Tuschick



Architektur gewordener Albtraum von einer obsoleten Moderne: darin erzählen Mariel Jana Supka und Marcus Reinhardt die Geschichte der Plebejer, so wie der Philosoph Alain Brossat sie deutet. – In einer Inszenierung von Dirk Cieslak und Annett Hardegen. Marcus Reinhardt entschuldigt die Verspätung „eines echten Plebs namens 'Duschbad Cliff'“ aus dem Dunst der Nachbarschaft. Allerhand Schwierigkeiten stünden seiner Zuverlässigkeit ständig im Weg. Doch dürfe die Hoffnung auf sein Erscheinen gern später sterben.

Marcus Reinhardt wirkt selbst gereizt und gehetzt, er tritt mit pulsierendem Kopf und austretender Schlagader auf. Sollte das zu seiner Rolle gehören, wäre er großartig in seinem Element. Er referiert „einen absoluten Anfang“ der Plebejer-Geschichte im Dekor eines Martyriums. Die eher unbekannten Hangarounds an den Pfählen neben dem gekreuzigten Jesus gingen als „unwürdige Gefährten“ in das Gedächtnis der Christenheit ein. Aus dem Markus-Evangelium: „Und sie kreuzigten mit ihm zwei Räuber, einen zu seiner rechten und einen zu seiner Linken.“

Das seien exakt die ersten Plebejer gewesen, so Marcus Reinhardt in Fahrt wie vor einem Hochofen. Keine Tradition schrieb sich ihr „diebisches Leben und den infamen Tod“ ein. Vielmehr begrub man sie in einem Massengrab der Randnotizen und Fußnoten. Immerhin dürfe man ihnen „versteinerte Zeugen der Grellheit der Welt sehen.“

In natürlicher Opposition zum Plebs stünde „das organisierte Volk mit seinem Horror vor dem Aufstand ... an den Grenzen der regierbaren Gebiete“. Diese Gebiete teilen sich die einen mit den anderen. Marcus Reinhardt bringt Michel Foucault ins Spiel, Foucault, der von Jean Genet erzählt, wie Genet als Gefangener auf Transport mit einem Mann der Résistance verbunden wird, gegen den Willen des Widerstandskämpfers. Der in seinem Dünkel nicht mit einem dichtenden Dieb in Einklang gebracht und an dieselbe Kette gelegt zu werden wünscht. Deutlicher lässt sich die Grenze zwischen Plebs und „organisiertem Volk“ nicht ziehen und zeigen.

Marcus Reinhardt zitiert wen, ich kriege den Namen nicht mit: „Mein Leben wird genauso sein wie meine Geburt: völlig unfreiwillig.“



Foto (C) Jamal Tuschick



Das skizziert die Rahmenhandlungen jeder plebejischen Existenz. Plötzlich steigt Mariel Jana Supka ein, eben hat sie noch versucht, „Cliff, das Duschbad“ telefonisch zu erreichen. Indes wird Cliff sonst wo aufgehalten von seinen Schwierigkeiten. Allein auf die Schwierigkeiten kann er sich verlassen.

Mariel Jana Supka geht mit einem Stoß antiker Schwarten auf die Leute los. Sie sieht verwirrt aus, etwa so wie ein Jobcenter-Beauty, steht die Person denn vor der Entscheidung zwischen Abendgymnasium und Nagelstudio. Ein Plebs „schmeißt jeder Herrschaft seine Herkunft ins Gesicht wie einen Handschuh“. Er will nicht an der Dienstbotentafel essen. Oder so: Rousseau zu Gast an der Tafel eines Grafen, der Diener spricht besser französisch als die Aristokratie. Variiert wird das Thema im Journal d’une femme de chambre von Octave Mirbeau. Seiner Erzählerin, der Zofe Célestine, gelingt der Aufstieg ins Bürgertum im Zuge eines diabolischen Arrangements. In ihren Begriffen wurde die Sklaverei nie abgeschafft. In der Abgrenzung zum Sklaven definierte sich der Plebejer in seiner römischen Ursprünglichkeit. Der Pöbel hat einen anderen Ursprung – zumindest etymologisch.

Der Topos des Plebs sei in vielen Romanen bis ins 20. Jahrhundert verhandelt worden, nicht zuletzt in der Gestalt „des plebejischen Racheengels, der nach Blut dürstet“. Marcus Reinhardt erwähnt Beaumarchais’ Figaro - und die Schwestern Brontë als Autorinnen, die dem Plebs noch Chancen einräumten, gesellschaftlich wirkungsvoll zu sein. „Plebs platz(t)en stets irregulär in Verhältnisse und zerrissen (zerreißen) die Ordnung.“ Ihr Markenzeichen ist die eruptive Geste.

Marcus Reinhardt wird persönlich, sein Urgroßvater war nicht einmal wahlberechtigt. Ein Pole ohne Beruf. Auch ein Auge fehlte, das hatte er sich selbst abgenommen in einem zu großen Schmerz. Mariel Jana Supka kehrt schließlich zu Cliff zurück: „Übrigens nennt Cliff seinen Kampfhund 'mein Mädchen'.“ Soll er doch mit seinem Mädchen glücklich werden, wo auch immer in the heat of the night.



Foto (C) Jamal Tuschick


Jamal Tuschick - 25. August 2013
ID 7086
Weitere Infos siehe auch: http://www.viertewelt.de/


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