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Performance


16. Oktober 2013 - Festival Romaeuropa

THE POWER OF THEATRICAL MADNESS

Jan Fabre / Troubleyn




Drei Minuten vor dem theoretischen Beginn dürfen wir in den Saal. Am Ende der Bühne stehen 11 Personen mit dem Rücken zu uns und schauen auf eine Art Klagemauer. Weiß-ziegelfarbig die Mauer, schiefer-schwarz der Fußboden. Die Akteure tragen weiße Hemden und schwarze Hosen sowie schwarze Schuhe. Von der Decke hängen kleine Lampen. Der Beginn vom Minimaltheater? Wir warten auf das, was kommt. Eine Ewigkeit, verlegenes Hüsteln und Rascheln im Publikum. Schnell noch ein Bonbon auswickeln, bevor es losgeht. Plötzlich, leise von hinten oder aus dem Keller (ist es die Souffleuse?), hören wir eine Art Gebet, repetitiv und monoton in deutscher Sprache. Nach einem weiteren Weltalter fangen die Personen an, sich auf den vorderen Teil der Bühne zuzubewegen und rufen verschiedene Jahreszahlen in verschiedenen Sprachen in den Raum. Man weiß noch nicht, in welcher Sprache das Spektakel überhaupt gegeben wird, da es bis jetzt nur aus Zahlen und Namen besteht. Irgendwann kapieren wir dann, dass es um bahnbrechende und geschichtliche Theateraufführungen der letzten 150 Jahre geht. Brecht, Ibsen, Beckett, Reinhardt, Alfred Jarry etc. – alles was in der Theaterwelt Rang und Namen hat, wird aufgerufen – immer und immer wieder – obsessiv und ermüdend. Plötzlich, da war wohl die Veranstaltung in Berlin, London und Antwerpen zeitgleich zuende, rasender Applaus und begeistertes Getrampel der 11 Protagonisten. Kurz darauf entkleiden sich zwei Tänzer und nehmen  - immer noch mit dem Rücken zu uns - Renaissance-Posen ein. Alle fünf Minuten darf die Pose gewechselt werden. Wagner-Musik, aus der Walküre, dem Tristan und dem Siegfried. Ich meine auch, Salome gehört zu haben. Die beiden nackten Jungs haben nun Kronen auf und tanzen miteinander in das Ende des dritten Aktes der Walküre. Ist es vielleicht Ludwig II in einer Doppelrolle?

In The Power of Theatrical Madness lädt Jan Fabre zum Fernseh-Kulturquiz. An die Wand projizierte Gemälde alter Meister wie Michaelangelo, Ingres oder David gehören wohl zum Spiel. „Wer ist der Maler?“ „Wo kommt die Musik gleich nochmal her?“ „Was passierte 1876?“ Wer von den Mitspielern nicht gleich das Datum des Premierenjahrs von Wagners Ring des Nibelungen erkennt, wird hart bestraft, d.h. von der Bühne geworfen. Einer ungebildeten Darstellerin ist das passiert, und sie kämpft vergeblich, wieder in den Kreis der Illustren aufgenommen zu werden. Sie kapiert es einfach nicht, obwohl der Richter ihr die Zahl x-mal vorbetet.

Der diskrete Charme der Wiederholung, so nach dem Motto "Übung macht Meister". Eine Stunde lang ist das noch ganz witzig, aber nach 80 Minuten – als déjà-vu für Fabre - verlassen die ersten Zuschauer verschämt den Saal, gelangweilt sind sie schon lange, dementsprechend ist der Lärmpegel hoch. Als die Tänzer dann plötzlich – sehr elegant muss man sagen – an die 300 Teller zerdeppern, aus denen sie grad vorher - diesmal bellend - gegessen hatten, gibt es spontan Applaus. Wishful Thinking! Die Pause kann nicht herbeiapplaudiert werden. Die obligatorische Telefonino-Abstell-Ansage vor dem Beginn der Veranstaltung kündigte das ganz klar an. Hat Fabre auch nicht vorgesehen. Das Publikum gönnt sich aber trotzdem eine Unterbrechung, man geht raus, nimmt einen Café und ein Sandwich, diese waren nämlich vor der Aufführung noch nicht fertig, man geht wieder rein, vielleicht. Ich weiß es, weil wir es auch so gemacht haben. Man konnte sicher sein, nichts zu verpassen, dann sah man eine Szene halt nur fünf mal anstelle von 20 mal. Allerdings: Es gibt durchaus Nuancen bei der Expertise der auszuziehenden Socken. Fünf von den zehn auf der Bühne anwesenden Tänzer waren immer grad dabei sich aus- oder anzuziehen um dann umständlicherweise imaginäre zu enge Gewänder oder Roben anzulegen (frei nach Andersens Des Kaisers neue Kleider). Das gesamte Pantheon der Theatermacher war präsent: von Konstantin Stanislawski, Heiner Müller über Peter Brook zu Bob Wilson und Bertold Brecht etc.

Der Flame und Theater-Wüterich Jan Fabre, Performancekünstler, Theatermacher, Choreograf und Durch-und-durch-Artist ist 1958 in Antwerpen geboren. In den achtziger Jahren hat er das Theater beeinflusst, vielleicht sogar revolutioniert. Wahrscheinlich sieht er sich sogar als neuer Stanislawski und hat ihm in der Aufführung prominente Erwähnungen gegeben. Fabres 1984 erarbeitete Performance The power of theatrical madness bescherte damals der Biennale in Venedig viele Schlagzeilen. Knapp fünf Stunden hatte es damals gedauert. Für die Aufführung beim Romaeuropa Festival wurde es bis auf – immer noch lange - 4 Stunden und 20 Minuten gekürzt.

30 Jahre später hat es an Witz und Pfiff eingebüßt und wirkt eher wie etwas künstlich Zusammengebasteltes. Vielleicht sind wir, das Publikum, 2013 aber auch auf einem viel zu schnellen Trip. Eine überwältigend-originelle und respektvolle Hommage an das Theater ist es allemal!

Die Darsteller/Tänzer waren durch die Bank sensationell, mutig und durchtrainierte Spitzensportler.

Das Festival dauert noch bis Ende November.




Foto © Wonge Bergmann | Bildquelle http://romaeuropa.net/festival.html



Bewertung:    


Christa Blenk - 17. Oktober 2013
ID 7270
THE POWER OF THEATRICAL MADNESS (Festival Romaeuropa, 16.10.2013)
Concept, Regia, Set e Luci: Jan Fabre
Musiche: Wim Mertens
Costumi: Pol Engels
Performers: Maria Dafneros, Piet Defrancq, Melissa Guèrin, Nelle Hens, Sven Jakir, Carlijn Koppelmans Georgios Kotsifakis, Dennis Makris, Lisa May, Giulia Perelli, Gilles Polet, Pietro Quadrino, Merel Severs, Nicolas Simeha, Kasper Vandenberghe
Drammaturgia e assistenti alla regia: Miet Martens e Renee Copraij
Costumi: Katarzyna Mielczarek
Musica: Usura
Direzione tecnica: Thomas Vermaercke
Direttore di produzione: Helmut Van den Meersschaut
Vocal Coach: Hans Peter Janssens
Insegnanti di Tango: Tango Argentino, Marisa Van Andel & Oliver Koch
Styling: Savagan Brussels
Produzione: Troubleyn/Jan Fabre Vzw
Co-Produzione: Desingel - Antwerp (Prima belga), Romaeuropa Festival
Collaborazioni: Giulio Boato (Drammaturgia) Yorrith Debakker (attore) Zafeiria Dimitropoulou (attrice)
Prima mondiale 2012 Impulstanz International Dance Festival Vienna


Weitere Infos siehe auch: http://romaeuropa.net/festival.html


Post an Christa Blenk

eborja.unblog.fr



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