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Performance


29. September 2013 - HAU 2

BLACK BISMARCK

andcompany&Co.


Black Bismarck von andcompanyCo. - Foto (C) Jan Brokof


Worte und Zeichen - der Versuch eines kolonialen Exorzismus

Im Rahmen eines kleinen Afrika- und Kolonialismus-Schwerpunkts bei den FOREIGN AFFAIRS 2012 hatten die Performer Alexander Karschnia, Sascha Sulimma und ihr belgischer Kollege Joachim Robbrecht von andcompany&Co. bereits einen kleinen Ausblick auf ihre jetzt am HAU 2 herausgekommene Produktion Black Bismarck gegeben. Im Haus der Berliner Festspiele saßen die drei vor einer weißen Leinwand und hielten eine Art Lecture-Performance über die Suche nach den kolonialen Wurzeln Europas und im Speziellen über die Verstrickungen Deutschlands. Eine Lehrstunde für alle überprivilegierten Unterpigmentierten über das Weißsein als unmarkierte Normalität sowie das Spielen im Dunklen der romantisierenden und gleichsam diskriminierenden Vorstellungen über den schwarzen Kontinent.

Als graue Eminenz, oder besser Weißer Revolutionär bzw. Riese der deutschen Kolonialgeschichte beleuchteten andcompany&Co. vor allem den einstigen Ministerpräsidenten des preußischen Staats und späteren Kanzler des Deutschen Reichs, den heute wohl immer noch bekanntesten und beliebtesten Politiker Otto von Bismarck. Black Bismarck previsited war nicht einfach nur ein interessanter Lichtbildervortrag mit Musikuntermalung. Es war kluge Unterhaltung mit ernstem Hintergrund auf hohem Niveau. Ein tiefer Abstieg auf die dunkle Seite des weißen, europäischen Selbstverständnisses, wo das Gespenst des Kolonialismus noch immer munter umherspukt.


*


Sascha Sulimma und Joachim Robrecht sind auch diesmal wieder mit von der Partie. Allerding ist, sieht man mal davon ab, dass die zwei mit Dela Dabulamanzi, Simone Dede Ayivi, Nicola Nord und Gorges Ocloo schlagkräftige Verstärkung bekommen haben, inhaltlich nicht allzu viel Neues hinzugekommen. Ohne Frage, spielerisch haben andcompany&Co. den Abend ausgebaut. Es wird viel herumgetollt, erklärt, gestritten und musiziert. Die Performer tragen dabei als sichtbare Zeichen fantasievolle Helme und Kostüme, mit deren Hilfe sich z.B. die schwarzen Performer im Team als deutsche Birken verkleiden können. Eine klare Aussage und bestimmtes Zeichen, wie eine Kusshand oder der Mittelfinger eines deutschen Politikers.

Auch die weiße Leinwand ist im Hintergrund wieder angebracht. Sie stellt beim ersten Hinsehen noch kein Zeichen dar, erweckt aber sofort die Fantasie und den Expansionstrieb des Europäers, wie ein weißer Fleck auf der Landkarte, den es zu entdecken und zu kolonisieren gilt. Bei der sogenannten Kongo-Konferenz 1884-85 in Berlin teilten die europäischen Mächte Afrika unter sich auf, zogen Grenzen, die noch heute bestand haben und Grund für Konflikte sind. Von den Kolonialläden, Gartenkolonien über Afrikaferiendörfer und koloniale Straßennamen bis in die Psychoanalyse von Sigmund Freud, die romantische und unbewusste Vereinnahmung des dunklen Kontinents Afrika als Symbol für das Fremde und Unbekannte ist im deutschen Sprachgebrauch allgegenwärtig. In den 70ern belegte Ingrid Peters mit der Coverversion des Rose-Laurens-Hits Afrika Platz eins der deutschen Hitparade im ZDF.

Warum ist der Knecht Ruprecht schwarz? Wer hat den schwarzen Peter? Warum werden weiße Schauspieler im Theater schwarz angemalt? Und auf welche Rollen sind schwarze Schauspieler im Nibelungenhort des deutschen Theaters festgelegt? Fragen über Fragen, die die Performer auf ironische Art ausdiskutieren und versinnbildlichen. Ein Exkurs tief ins Herz des Weißseins. Der Unbewusstseinszustand besteht hierbei darin, weiß und nichtmarkiert zu sein, selbst aber ständig alles zu markieren. Und auch der titelgebende Fürst Bismarck spukt als Gespenst weiter durch Deutschland mit seinen Bismarckheringen, -zigarren, -schnäpsen und -apotheken. In sage und schreibe 142 Städten und Gemeinden stehen heute noch Bismarcktürme.

Das Ganze verzettelt sich dann leider mehr und mehr in eine lustige Performance. Da springt im Video ein Withe Rabbit in der bekannten Berliner U-Bahnstation mit umgewandeltem Namen Möhrenstraße herum und bewegt sich ein kolonialer Albtraum aus Zucker und Gummi in Form des Marshmellowman Stay Puft über die Bühne. Dem schrägen Diskurs werden zwar immer wieder neue Schlagworte zugeführt, allerdings kommt dabei kaum noch etwas wirklich Zwingendes zustande. Auch ein Zeichen für die bisweilen hart und bizarr geführte Diskussion um den alltäglichen Rassismus in Deutschland. Einziger Hinweis auf schwarze Gegenpositionen bleibt die Erwähnung des afroamerikanischen Bürgerrechtlers Burghardt Du Bois mit seiner These des Zweiten Gesichts, nach der sich ein Schwarzer immer zugleich auch durch die Augen der Weißen wahrnimmt.

Unsere Wahrnehmung der afrikanischen Kultur erfolgt noch immer anhand von Exponaten, die in der Kolonialzeit aus diesen Gebieten nach Deutschland verbracht wurden und nun bald an geschichtlich brisantem Ort des ehemaligen preußischen Stadtschlosses gezeigt werden. In einer gelungenen Merkel-Parodie verblüfft uns Nicola Nord mit elitärem Politikersprech zum Thema Entwicklungshilfe. Der bunte Abend gipfelt dann im Versuch von Joachim Robrecht, den alten Witz vom Schwarzen auf dem Zebrastreifen zu konterkarieren. „Man sieht mich, man sieht mich nicht“ rufend hüpft er mit vollem Körpereinsatz vor der weißen Leinwand auf und ab und kugelte sich dabei leider auch noch die Schulter aus. Gute Besserung von hier aus.

Letztendlich bringt es andcompany&Co.-Mastermind Alexander Karschnia, der sofort für Robbrecht einsprang, mit seinem Mantra „Empty your Head!“ auf den Punkt. Wenn das nur so einfach wäre. Vielleicht sollte es besser „Open your Mind!“ heißen. Aber schön, dass wir mal drüber geredet haben. Die durchaus anregende Performance geht jetzt auf Deutschlandtournee nach Mülheim, Münster und Düsseldorf und wird auch im kooperierenden deSingel Antwerpen zu sehen sein. Weitere Termine siehe unten.




Black Bismarck von andcompanyCo. - Foto (C) MuTphoto / Barbara Braun



Bewertung:    



Stefan Bock - 2. Oktober 2013
ID 7210
BLACK BISMARCK (HAU2, 29.09.2013)
Von und mit: Dela Dabulamanzi, Simone Dede Ayivi, Alexander Karschnia, Nicola Nord, Gorges Ocloo, Joachim Robbrecht, Sascha Sulimma&Co
Dramaturgie: Alexander Karschnia&Co.
Bühne: Jan Brokof&Co.
Licht: Gregor Knüppel&Co.
Video: Kathrin Krottenthaler&Co.
Kostüm: Raki Fernandez&Co.
Eine Produktion von andcompany&Co. in Koproduktion mit HAU Hebbel am Ufer (Berlin), deSingel Antwerpen, FFT Düsseldorf, Ringlokschuppen Mülheim und dem Theater im Pumpenhaus Münster


Weitere Infos siehe auch: http://www.hebbel-am-ufer.de


Post an Stefan Bock

blog.theater-nachtgedanken.de



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