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Besprechung


Schauspiel Köln, 27.10.07

Die Nibelungen

von Friedrich Hebbel

Weitere Vorstellungen am 07., 10., 15.11., 11., 21., 22., 23. und 28.12.07

Nicht kleckern, sondern klotzen, das scheint die Devise von Karin Beier zu Beginn ihrer Intendanz am Kölner Schauspiel zu sein. Ganze drei Premieren waren am Eröffnungswochenende zu sehen, darunter Hebbels „Nibelungen“ in der Regie der Neu-Intendantin selbst. Und so ein bisschen stehen auch die „Nibelungen“ unter dem eingangs zitierten Motto. Das Stück selbst ist schon recht personalintensiv, dazu kommen zahlreiche Musiker, die die Bühne und z.T. auch den Zuschauerraum bevölkern und dort spielen.

Die Herren aus Worms sind von Anfang ein bisschen unsympathisch. Brünhild begegnen sie mit Skepsis und machen sich über sie lustig. Sie tolerieren zwar scheinbar ihr fremdes, unbändiges und exotisches Wesen, aber im Grund sind sie froh, als sie durch Siegfried gebändigt und um ihre Stärke gebracht wird. Und diese Überwindung geschieht äußerst gewaltvoll und zu lauter Rammstein-Musik. Aber auch Siegfried, der nordische Held, hat keinen guten Stand bei den Burgunden. Einen Drachen schlägt man tot, befindet Hagen von Tronje und rechtfertigt so seinen heimtückischen Mord an Siegfried. Die Wormser wollen eben lieber unter sich bleiben.
Karin Beier zeigt sie als degenerierte Gesellschaft. Nach Siegfrieds Tod sitzt König Gunter mit einem beinahe mannsgroßen Teddybären auf dem Sofa, neben dem sich die Pizzapappkartons stapeln, seine Brüder sind nicht mehr als Stichwortgeber, seine Frau Brünhild rennt mit blonder Perücke herum und wirft sich jedem an den Hals, Hagen strampelt sich auf einem Fahrrad ab und überlegt, wie er die finanziellen Probleme von Worms lösen kann, ohne verraten zu müssen, wo der Nibelungenhort – dieser sagenhafte Goldschatz, den man Siegfried geraubt hat – versteckt ist. Nur Kriemhild, Siegfrieds Witwe, will sich nicht in dieses Bild fügen und pocht auf Rache, aber sie wird ja kurz darauf von ihrer Familie nach Asien verheiratet.
Und dann kommt die Chance der Burgunden, sich auszuzeichnen: eine Reise zu ihrem Schwager Etzel, Kriemhilds zweitem Mann, dem sie beweisen wollen, wie furchtlos sie sind. Hier wird es etwas beklemmend, wenn man Gunters Mannen von der gelben Gefahr reden hört, der man sich entgegenstellen wolle. Und an Etzels Hof verhalten sich die Burgunden ganz und gar nicht wie Gäste. Der Hof des Hunnenkönigs ist dabei das Gegenteil von Worms: ein Ort der Ruhe, an dem Etzel leise, mikroportverstärkt spricht. Diese Hunnen scheinen ein leichtes Opfer der Burgunden zu werden. Kriemhild muss einiges anstellen, um Etzel, der im wahrsten Sinne des Wortes in sich ruht, zu einer Reaktion gegen ihre Verwandtschaft zu bewegen. Sie provoziert die Ermordung ihres Sohnes und setzt so die Ereignisse um den Niedergang der Burgunden in Gang.
Statt sich der tragischen Dimension des Stoffes zu stellen, flüchten sich Beier und ihre Schauspieler in Späßchen, in Ironie. Mit der Beschreibung der schönen Domstadt am Rhein kann eben außer Worms – ja richtig – auch Köln gemeint sein. Kann man machen, wird dann aber leicht zum Selbstläufer und führt am Stück vorbei. Den Grat zwischen Komik und Ernsthaftigkeit packt die Inszenierung selten. Es gibt kaum Momente, die betroffen machen. Stattdessen Gebrüll, Geplänkel, eine angedeutete Hassliebe zwischen Kriemhild und Hagen. Wenn Kriemhilds jüngster Bruder Giselher sie beim finalen Blutbad an Etzels Hof um Gnade bittet, verpufft dieser Moment, was sicherlich auch daran liegt, dass Omar El-Saeidi die Figur des Giselher nicht überzeugend zu greifen bekommt. Gelungen dann allerdings, wie Michael Weber als Gunter George W. Bush gibt, wenn er ankündigt, in friedlicher Absicht, aber doch mit einem komfortabel ausgestatteten Heer nach Asien zu den Hunnen reisen zu wollen.

Vieles bleibt beliebig an diesem Abend, kaum etwas ist wirklich zwingend. Die theatralen Mittel werden mit großer Virtuosität gehandhabt, aber es entsteht ein Eindruck von Leere, man erfährt wenig über die Figuren und ihre Beweggründe. Viele Situationen werden nur angerissen, nicht zu Ende erzählt, wie z.B. Brünhilds letztendliche Unterwerfung. Beiers Inszenierung der „Nibelungen“ bietet eine Mixtur aus allem, was man gemeinhin unter modernem Regietheater versteht, von Kunstblut über Nacktheit bis hin zum Fressen von Dreck. Nicht wirklich gut, nicht wirklich schlecht. Wozu dieser ganze Aufwand? Auch die Lektüre des Programmhefts macht nicht schlauer. Es ist zwar nett verpackt, beschränkt sich aber darauf, die Editions- und Wirkungsgeschichte des Nibelungenliedes nachzuerzählen. Sollte Fremdenfeindlichkeit eine Zielrichtung der Inszenierung sein, so verliert sich diese in einem äußerst heterogenen Abend.

Der zweite Teil nach der Pause ist zwar deutlich packender geraten als der erste, vermag aber ebenfalls nicht gänzlich zu überzeugen. Nach 3,5 Stunden Spieldauer sehnt man das Ende herbei. Dennoch, das Publikum war begeistert. Etliche Vorstellungen im November sind bereits ausverkauft. Wer hätte das bei einem Stück wie den „Nibelungen“ gedacht. Vielleicht ist das ja nach der langen Durststrecke der Vorintendanz der Beginn einer wunderbaren und befruchtenden Beziehung zwischen Kölner Schauspiel und schauspielinteressierten Bürgern – nicht die schlechteste aller Zukunftsperspektiven.

Friedrich Hebbel
Die Nibelungen


Inszenierung: Karin Beier
Bühne: Thomas Dreissigacker
Kostüme: Anna Eiermann
Besetzung: Michael Weber (König Gunter), Michael Wittenborn (Hagen Tronje), Robert Dölle (Volker, der Spielmann), Omar El-Saeidi (Giselher), Patrick Gusset (Gernot), Carlo Ljubek (Siegfried), Patrycia Ziolkowska (Kriemhild), Maja Schöne (Brünhild), Josef Ostendorf (König Etzel), Murali Perumal (Werbel, Etzels Geiger)

Premiere am 12.10.07, Vorstellungen am 07., 10., 15.11., 11., 21., 22., 23. und 28.12.


Karoline Bendig - red. / 4. November 2007
ID 00000003508

Weitere Infos siehe auch: http://www.schauspielkoeln.de/stueck.php?ID=73&tID=548





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