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Feuilleton


28. August 2006, Orphtheater Berlin

Fassbinder's IPHIGENIE




Querelle-Erscheinung

Iphigenie, tierhaft, hat sich "trotzdem" häuslich eingerichtet. In dem von der Decke abbaumelnden Käfig, so was wie ein Vogelkäfig, steht eine Emailleschüssel (Fressnapf, Klo und Waschbecken zugleich), daneben eine Kofferheule (ein zu groß geratenes Transistorradio... gab's wirklich früher) mit dem Etikett bzw. Abziehbild "Willkommen in Berlin", dazwischen eine z'ammgeknautschte Deutschlandfahne... die sie etwas später, unterm schrägen Chorgedöns des Deutschlandliedes, sehr bereitwillig dann hisst. Zuvor jedoch erlebt sich Thoas, ihr sie liebender und allerdings von ihr nicht mehr oder noch nie zurück geliebter Herr-Gebieter, in der Vorverübung eines Veitstanzes für seine "Widerborstige": die Angehimmelte. Der Veitstanz ist natürlich biologisch konsequent. Wie sollte Thoas anders auch mit seiner angestauten Sexualität, die sich ja überhaupt nicht oder überhaupt nicht mehr oder gar überhaupt noch nie an dem Objekt seiner Begierde abzusam' vermochte, umgehen als mittels eines Veitstanzes. Er wirft sich neben sie - die Tierin kann ihn schon seit langem nicht mehr sehen, ihre Haare hat sie sich, so wie sie es aus einem ihrer Pferdebücher aus der Kindheit in Erinnerung behielt, wie'n Ponny ins Gesicht, was man aus diesem Grund die ganze Zeit nicht sieht, gevorhangt - , stellt sich allergrößte Sauereien mit/an/in ihr vor, gerät in erigile Aggression... es hätte nicht mehr länger dauern dürfen, und Matthias Horn, der mit der Rolle schier in exzessivste Höchstform abzufahren "droht", hätte es sich nicht nehmen lassen, epileptisch zu dem Gitter hinzuweißen; dieser Part des ungeliebten und daher zu allgemein(st)em Menschenhasse umschlagenden König Thoas liegt ihm außerordentlich und steht ihm majestätisch gut!


Ja, Reiner Dunkl (links neben dem diamantaugenen Claus Worenski) sieht dann schon ein bisschen wie Querelle aus oder? Ein Grund mehr auch für den Regisseur, "Familie Fassbinder" in IPHIGENIE AUF TAURIS VON JOHANN WOLFGANG VON GOETHE ruhig mit einzubringen. - Foto (C) Claudia Charlotte Burchardt


Was geht hier ab?

Das Stück (das Stückchen), das der Fassbinder dann IPHIGENIE AUF TAURIS VON JOHANN WOLFGANG VON GOETHE nannte, hat fast 40 Jahre auf dem Buckel. Und es ist - so wunderschwer diese Entdeckung, die das Orphtheater jetzt mit diesem
Text(chen) für die Bühne machte, wiegt - kein Meisterwerk. Zu kurzgeschlossen und zu oberflächlich und auch zu plagiat geht Rainer Werner Fassbinder mit seinem "großen Vorbild", das er ja mit diesem Wurf vom Sockel holen wollte, ins Gericht. Das einzig Gute & Bewahrenswerte dieser Handgelenksetüde ist die Sprachessenz des Fassbinder'schen O-Tons. Das hat alles mit dem Goethe nichts, aber auch gar nichts mehr zu tun; gottlob - es ist (na logisch) ein ganz anderes und (logisch) kurzweiliges Stück-Stückchen geworden; Grundaussage, siehe letzter Satz im Text von Fassbinder: "Es geht um Macht, und einer hat sie. Natürlich. Und der gibt sie nicht her." So ist es also mit der leidiglichen Liebe, und so ist es in der großen und der aktuellen Politik: dass Herrschen über die Beherrschten.



Familie Fassbinder stellt sich in Uwe Schmieders Inszenierung einer ernst zu nehmenden Befragung durch das stillherzige Publikum - Foto (C) Orphtheater


Uwe Schmieder hat 'ne tolle Inszenierung hingelegt!! Er bricht den insgesamten Urbrei um die Iphigenie damit, dass er die "Familie Fassbinder" in Spiele bringt: Er selbst (der Fassbinder) wird per Perrücke/Bart durch einen der zwei Musiker ins Bild gestellt. Dann sehen oder ahnen wir Irm Hermann, unter Umständen sogar Hanna Schygulla und Per Raaben und... (den garantiert dann eindeutig:) Brad Davis, Fassbinders Querelle, welcher von Reiner Dunkl - nur die Goatee unter dem Unterlippenreich verhinderte den Eins-zu-Eins-Vergleich zum schönsten aller Männer den ein Film jemals hervorzuzeigen "wagte" - rattenscharf und lustlasternd gegeben wurde. Und Orest ist eigentlich dann Dunkls Rolle, doch man stiert mit voller Wucht auf seine Ganzkörperbehaarung, die er unterm Szeneleder - auch Pylades, der mit Diamantenaugen dreinblickende Claus Worenski, trägt so Lederzeugs - genüsslich vorzuzeigen drängt; was für ein Anblick!!!
Iphigenie (Nicole Janze) weist die Brüder in die Schranken à la "Geht mir doch vom Arsch"; sie hat ihr Käfigleben vollends angenommen; auch wenn Thoas in 'ner Stunde innerlichen Weichgewordenseins mit ihr zusammen einen Song auf der Gitarre singt oder ihr Ohrringe zum Fest zwischen die Gitterstäbe steckt, beeindruckt sie das reinweg nicht; sie will ihr Leben weiter so, so bis zum Ende, fristen; null Erwartungen, null Ziel: So stellte sich dann allen Ernstes Fassbinder die Frauenseele scheinbar vor - man kennt ja die Geschichten, wie er seine Leute quälte und "vernichtete" . . .
Der Zugriff also, Fassbinder als Machtmensch zu dem Thoas paralellisierend, ist schon stimmig; und das werden nicht bloß Frauen, die die Inszenierung mit mir sahen, so empfunden/nachempfunden haben können, denn: So ist der Mensch im Allgemeinen, schlimmer allerdings noch: im Besonderen (siehe den Stücktext) .

((Wen dann Enzensbergers anti-islamistische Proklamation (ich kenne leider nicht das schriftliche Original) inmitten dieser schönen feist-flockigen Inszenierung überdies erreichen sollte, bleibt ein Macherrätsel.))


Andre Sokolowski - red / 29. August 2006
ID 00000002629
www.andre-sokolowski.de



Reiner Werner Fassbinder's IPHIGENIE AUF TAURIS VON JOHANN WOLFGANG VON GOETHE

Regie/Bühnenkonzept: Uwe Schmieder
Dramaturgie: Gösta Fischer, Igor Kroitzsch, Eckart Seilacher
Bühne/Licht: Stefan Wolf
Technik: Oskar Iser, Thomas Hartwig
Kostüme: Fundus-Zeitz (Klaus Schmieder)

Besetzung:
Iphigenie ... Nicole Janze
Thoas ... Matthias Horn
Orest ... Reiner Dunkl
Pylades ... Claus Worenski
Arkas 1 / Chorführer ... Matthias Hille
Arkas 2 ... Franziska Naumann
Arkas 3 ... Simon Gläsner
Arkas 4 ... Ilka Willner
Musiker ... Ulli Sachse und Gerd Schönfeld

Eine Koproduktion des NNU (Neuer Notwendiger Untergrund) mit dem ORPHTHEATER Berlin

Premiere war am 16. August 2006

Nächste Vorstellungen: 31. 8. sowie 1., 3./4. 9. 2006

Weitere Infos siehe auch: http://www.orphtheater.de






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