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Bayreuther Festspiele 2007

"... am Pranger

der Verlanger"



Katharina Wagner (29), Urenkelin des Komponisten, debütierte auf dem Grünen Hügel mit 'ner fröhlich-frechen Sichtweise der MEISTERSINGER VON NÜRNBERG - Foto (C) Bayreuther Festspiele 2007 http://www.bayreuther-festspiele.de


Katharina Wagners Meistersinger-Inszenierung ist ein bildnerisches Füllhorn! Nichts gerät ihr zufällig. Alles scheint von ihr gründlich überlegt.

Vergleicht man frecher Weise ihre Inszenierung mit dem vor drei Jahren produzierten Parsifal ihres Kollegen Schlingensief, so nimmt sich letzterer - im Nachhinein gesehen - viel, viel unverbindlicher, um nicht zu sagen hanswurstiger aus. Selbst allerkundigste und voll "im Fach" stehende Spezialisten hatten da so manche Übertragungsschwierigkeiten; Vieles war und ist bis heute undeutbar. Eine Ästhetik kunterbunten Von-weit-her-Holens gefiel sich letztlich, und als einziges der Bilder auch dann für den kleinen Mann begreifbar, in dem sagenhaften und sehr eindeutigen Gleichnis mit dem (Dürer'schen?) verwesten Hasen. Katharina Wagner ist da etwas zugreifender, bodenständiger und (in der Tat) dann allgemeinverständlicher. Erklärter Maßen hatte sich die Regisseurin konzeptionsansätzig auf den Beckmesser versteift, und zwar wie folgt:



Hans Hawlata (Hans Sachs) verharrt in grüblerischer Wahnandacht der Dinge hinter seinem Rücken, die da kommen werden - Foto (C) Bayreuther Festspiele 2007 http://www.bayreuther-festspiele.de


Er ist der Biederste und Eingemeindetste im Ersten Aufzug. Nichts Besonderes. Handlungskonform. / Doch wie am Schluss des Zweiten Aufzugs, und nachdem er dann mit seinem lauthals ausposaunten und von Sachs in fiesem Oberlehrerimitat zerschundnen Liedlein für die Angebetete ganz Nürnberg aus dem Schlaf riss, eine allgemeine Stimmung für bzw. gegen wen und etwas kippt - erfolgt eine Verwandlung dieses merkwürdigsten und geheimnisvollsten aller Meistersinger-Typen. Und es ist dann auch nicht mehr die legendäre Prügelszene, wie sie herkömmlicher Weise dann erwartet wird. Es handelt sich mit einem Male um ein ausgeflipptes Kirmestreiben. Implizierte Faschingsstimmung. Halligalli, wo man schaut. Man fasst sich an den Schultern und tanzt Polonaise, beispielsweise. Gipfelpunkt des hefeweiznen Treibens allerdings: Von obenher, quasi aus allen Fenstern und von allen Galerien, regnets plötzlich Ketchup, und von rechts spritzt braune, gelbe Bratensoße auf die unter ihnen Tanzenden. Sowas wie Schlammschlacht, könnte man jetzt meinen. Allen tuts gefallen, freilich. Und dem Beckmesser - nach seinem arg umsonstigen Bemühen - ficht das Alles überhaupt nicht fremdlich an. Er lässt sich "anstecken", es tut ihm wohl, er schmiert sich mit den Soßen ein... er hat sich, wie man staunend registriert, quasi und über Nacht von selbst und von sich selber justament befreit. Er ist mit einem Mal ein Anderer geworden. Und so zeigt er sich, ganz stolz, mit einem selbstgemalten T-Shirt "Beck to Tower"... // Festwiese im Dritten Aufzug: Beckmesser karrt einen mannshochbreiten Holzkasten mit einer Traube bunter Luftballons herbei. Er singt (s)ein Lied für Eva - jenes Lied, das er zuvor Hans Sachs aus dessem Kreuz geleiert hatte (= Stolzings redigiertes Preislied), und er gibt ihm eine hochmoderne und obgleich beim Volk nicht so verstandne Interpretation: Er zaubert aus dem Kasten einen leibhaftigen nackten Adam, den er sich an einer Gummipuppe sexuell vergehen lassen will, quasi getreu des von ihm missgedeuteten Zitats "am Pranger der Verlanger"; Beckmesser & Adam ziehen gegenseitig an der Gummipuppe bis sie auseinanderreißt!! Das Volk ist außer sich, befreit sich von den Volksklamotten, schleudert sie hinunter auf die beiden Mannsbilder; Beckmesser/Adam treten mit erhobnen Häuptern ab.



Klaus Florian Vogt (Walther von Stolzing), Amanda Mace (Eva) und Franz Hawlata (Hans Sachs) sitzen v. l. n. r. auf einer schönen hellen Ledercouch - Foto (C) Bayreuther Festspiele 2007 http://www.bayreuther-festspiele.de


Und während dieser ganzheitlichen Turbulenzen kriegt der Zuschauer (ich schwörs, mir ging es so!) am Ende gar nicht mit, wie sich das aufgemupfte Nürnbergvolk auf dem zuvor aus Richtung Unterbühne hochgefahrnen zweiteiligen Stadionblock in eine abendrobenmäßig sowie vollständig erschienene Gesellschaft der Freunde von Bayreuth e.V. verwandelte = Beginn der Spiegelszene... einem weiteren und letzten bildlichen Regie-Geniestreich:

Denn nachdem der in dem alten Stil assimilierte Ex-Querkopf Walther von Stolzing seine allzu müden und sehr altmodisch daherkommenden Strophen "Morgendlich..." etc. (und mimisch sekundiert von einem sich in anständiger Liebe bis zur Halskrause vermummt habenden Traumpaar à la Romeo & Julia) absäuselte und Hans Sachs ums Wort für seine völkisch-dumpfbackige Schlussansprache bat - sieht man die sogenannte Festgemeinde opernglasbewaffnet auf die strikte Einhaltung bestehender und zu bestehen habender Gesetze deutscher Kunst und deutschen Wirkens sehr bedrohlich Obacht geben. Bis es dunkelt und der C-Dur-Schlussakkord zwischen die abnebelnden Standfiguren Goethes/Schillers in ein leeres Nichts verhallt.

Und unzählige weitere und gar nicht minder gute Einfälle im Vorgeschehen dieser "menschlichsten" von allen Wagneropern. Dass es Katharina Wagner (noch!!) an einer szenisch überzeugenden Gesamtgeschriftung mangelt, sollte ihrer heißspornigen Jugend anzuschulden sein; das klärt sich ganz natürlich und bestimmt. Also:
Wenn heute oder etwas später jemand auserkoren ist, die Festspiele von Bayreuth in der Zukunft künstlerisch wie programmatisch zu beleben, dann wird SIE's wohl sein. Und ohne jede Frage.


Andre Sokolowski - 6. August 2007
ID 3379
http://www.andre-sokolowski.de


DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG (Bayreuther Festspiele, 04.08.2007)
Musikalische Leitung: Sebastian Weigle
Inszenierung: Katharina Wagner
Bühnenbild: Tilo Steffens
Kostüme: Michaela Barth
Besetzung: Franz Hawlata (Sachs), Artur Korn (Pogner), Charles Reid (Vogelgesang), Rainer Zaun (Nachtigall), Michael Volle (Beckmesser), Markus Eiche (Kothner), Edward Randall (Zorn), Hans-Jürgen Lazar (Eisslinger), Stefan Heibach (Moser), Martin Snell (Ortel), Andreas Macco (Schwarz), Diógenes Randes (Foltz), Klaus Florian Vogt (Stolzing), Norbert Ernst (David), Amanda Mace (Eva), Carola Guber (Magdalene) und Friedemann Röhlig (Nachtwächter)
Chor der Bayreuther Festspiele
(Einstudierung: Eberhard Schmidt)
Orchester der Bayreuther Festspiele
Premiere war am 25. Juli 2007
Weitere Vorstellungen: 8., 16., 19. und 28. 8. 2007



Weitere Infos siehe auch: http://www.bayreuther-festspiele.de



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