Grillo Theater Essen (Casa), 24. November 2006
Das Leben ist Traum
Calderón de la Barca
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Mike Müller (Sigismund), Sarah Viktoria Frick (Rosaura) | Fotograf: Carola Hölting
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Mitunter tritt eine Prophezeiung nur dadurch ein, dass sie bekannt ist. Self fulfilling prophecy sagt der Englisch sprechende Mensch dazu. Man kennt das Phänomen seit der Antike und nicht nur Ödipus wusste ein Lied davon zu singen. Opfer seiner Einflussnahme auf das Schicksal und damit Bewerkstelliger desselben ist in diesem Stück König Basilius von Polen. Ihm stand in den Sternen, dass sein Sohn ihn einst als Tyrann beerben würde. Das zu verhindern wird der Junge Sigismund weggesperrt und wie ein Tier gehalten. Erwachsen geworden, darf er dann doch einmal an der Macht schnuppern, zeigt sich als gefährlicher Wüstling und muss zurück ins Verließ. Das Volk revoltiert und schließlich landet er doch noch auf dem Thron.
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Mike Müller (Sigismund), Nicola Mastroberardino (Clarin) | Fotograf: Carola Hölting
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In Barbara Webers Inszenierung regieren die siebziger Jahre. In einer Nebenhandlung tritt Sarah Viktoria Frick (Rosaura) als Racheengel in Kill Bill Zitat auf. Und wenn das Volk revoltiert, dann ist es eine sozialistische Erhebung – Guevara ist dabei und Anti-Atom, ein Anarcho-A auf einem Parka und derlei mehr. Wird mit diesen Anleihen das Stück für heutige Zuschauer gedeutet? Geht es um den Bewusstseinswandel, den Paradigmenwechsel, die Aufarbeitung sozialer Missstände? Und dann ist da noch der Trick, dass sich drei Schauspieler in drei Rollen abwechseln. Zeigt uns das, wie austauschbar das Individuum im Verführungsbann der Allmacht ist? Oder verweist es auf die "Erbschaft", die jede Generation der nächsten mitgibt? Die Inszenierung behauptet tiefgründige Gedanken hinter der verspielten, mitunter von Mätzchen durchzogenen Oberfläche, die als solche auch ausgestellt wird. Dass sich Regie und Dramaturgie etwas dabei gedacht haben, davon darf man ausgehen. Übertragen und/oder erklärt hat es sich nicht. Die Andeutung und die Behauptung bleiben postmoderne Schnipsel zwischen Gags und Formalismen.
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Christoph Finger (Clotald), Mike Müller (Astolf) | Fotograf: Carola Hölting
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Einen großen Moment jedoch gibt es: Wenn Mike Müller die Rolle des Sigismund übernimmt und dessen frische Lust an der Königsmacht amüsant, aber erschreckend mörderisch mit seinem starken Spiel deutlich macht. Und Christoph Finger als Clotald schafft es, über die neunzig Minuten Spielzeit eine interessante Figur zu erschaffen. Bei allen schauspielerischen Qualitäten, die auch alle anderen Mitglieder des Ensembles beweisen, bleibt jedoch im schnellen Takt der Regie der Faden hängen, der die vielen hübschen Kleinigkeiten zu einem großen Ganzen verweben könnte. So bleibt nur eine hippe, also eine modische Ansicht übrig, die zwar durchaus amüsant daherkommt, dem Grauen der literarischen Grundlage aber seinen Stachel nimmt. Und wenn am Ende die Revolution ihre Kinder im wahrsten Sinne des Wortes frisst, so ist auch dies nur ein Zitat.
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Sven Lange - red / 24. November 2006 ID 00000002815
Das Leben ist Traum
von Calderón de la Barca
Premiere am 24. November 2006 in der Casa, Schauspiel Essen
Inszenierung: Barbara Weber
Bühne und Kostüme: Sara Giancane
Weitere Infos siehe auch: http://www.theater-essen.de
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