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Besprechung


9. Oktober 2013 - Schauspiel Köln

DER GUTE MENSCH VON SEZUAN




Puppenspiel im Hinterhof

Und da ist er dann doch, der Brecht-Vorhang. Aber nein, es sind nur Wäscheleinen mit dreckigen, ehemals weißen Betttüchern darüber, auf die man als Zuschauer zu Beginn der zweiten Hälfte von Brechts Der gute Mensch von Sezuan im Kölner Schauspiel blickt. Aber diese Tücher dienen vortrefflich als Deckung für die Schauspieler, um oberhalb Puppen zu spielen. Das sind die zwei bemerkenswerte Dinge dieser Aufführung: Puppen und die Tatsache, dass einem erst in den abschließenden Worten wieder bewusst wird, dass es ja ein Stück von Brecht ist, den man hier sieht. Letzteres heißt nicht, dass Regisseur Moritz Sostmann und sein Team im neuen Spielort Depot 2 in Köln Mülheim Brecht total verfremden. Vielmehr beweisen sie, dass Brecht sich auch ohne fingerzeigende Didaktik, ohne pädagogischen Mief und mit einer gehörigen Portion Spiellaune über die Rampe bringen lässt. Die Moral im Guten Menschen von Sezuan erzählt sich ohnehin von ganz allein.

Dass die Inszenierung so überaus gut funktioniert, liegt auch an dem anderen bemerkenswerten Punkt: der Verwendung von Puppen. Die ehemalige Prostituierte Shen Te, die nun einen Tabakladen betreibt und von allen ausgenutzt wird, sowie der Wasserträger, der sich wie eine Art Erzähler durch die Aufführung zieht und zu Beginn verzweifelt versucht, für die angereisten Götter eine Unterkunft zu finden, sind Puppen – sie werden erst später von Menschen verkörpert. Shui Ta dagegen, Shen Tes erfundener Vetter, wird von Anfang an von einer Schauspielerin gegeben. Die Puppen haben eine ungeheure Präsenz. Und sie werden wunderbar bespielt.

Aber es gibt nicht nur Puppen mit gewissermaßen menschlichen Zügen, sondern auch Gestalten, die eher der Sesamstraße entsprungen zu sein scheinen: Sie versammeln sich alle in Shen Tes Tabakladen, der – wie sehr viele Orte innerhalb der Inszenierung – ein umgebauter großer Müllcontainer ist. Bühnentechnisch ist das extrem praktisch, da sich auf diese Art schnelle Szenenwechsel vollziehen lassen. Und auch hier wieder der Gedanke ans Puppenspiel: Die Darsteller verschwinden im Bauch des Müllcontainers, sichtbar sind nur die Puppen. Der Phantasie der Puppenbauer Atif Hussein und Franziska Müller-Hartmann wurden offenbar keine Grenzen gesetzt und so wird den menschlichen Darstellern ein herrlich schräges Figuren-/Puppenkabinett zur Verfügung gestellt.

Auch die Götter, die gleich zu Beginn über ein offenes Rolltor auf der rechten Seite die fast leere Bühne betreten und einen guten Menschen suchen, haben klare Vorgaben: Sie tragen Hosenträger und Engelsflügel, flüstern oder sprechen in Mikrofone am Rand der Bühne. Das klingt alles sehr konzeptlastig, ist es aber nicht. Alles ruht auf den Schultern der durchweg überzeugenden Darsteller Mohamed Achour, Johannes Benecke, Stefko Hanushevsky, Philipp Plessmann, Annika Schilling, Magda Lena Schlott: Sie werden vom Puppenspieler zum Musikanten, springen von Figur zu Figur. Sie tragen den ganzen Abend und es wäre unfair, jemanden hervorzuheben aus diesem bereits erstaunlich gut eingespielten neuen Ensemble des Schauspiel Köln.

Es ist klar, dass die Götter gehen, wenn Shen Te verschwunden ist und wirklich ihre Hilfe braucht. Wenn auf die Götter kein Verlass mehr ist, wie soll man sich dann auf die menschliche Moral verlassen können? Sostmann zeigt, dass Brecht uns heute durchaus noch etwas zu sagen hat. Der gute Mensch von Sezuan ist eine Aufführung, die etwas wagt, dabei aber auch Längen zulässt, nicht immer alles erklärt und auf diese Weise nachwirkt. Es ist kein Well-made-Abend, der locker-flockig vorbeizieht. Aber das sind Brechts Stücke auch nicht. Was nicht heißt, dass eine Brecht-Aufführung nicht auch an der einen oder anderen Stelle Humor beweisen darf.




So präsentiert sich das "neue" Schauspiel Köln auf seiner aktuellen Facebook-Seite | (C) Schauspiel Köln


Bewertung:    



Karoline Bendig - 14. Oktober 2013
ID 7260
DER GUTE MENSCH VON SEZUAN (Depot 2, 09.10.2013)
Regie: Moritz Sostmann
Bühne: Christian Beck
Kostüme: Elke von Sivers
Musikalische Leitung: Philipp Plessmann
Puppen: Atif Hussein und Franziska Müller-Hartmann
Dramaturgie: Nina Rühmeier
Mit: Mohamed Achour, Johannes Benecke, Stefko Hanushevsky, Philipp Plessmann, Annika Schilling und Magda Lena Schlott
Premiere war am 28. September 2013
Weitere Termine: 19., 20., 26., 29. 10. / 4., 9., 10., 14., 27. 11. 2013


Weitere Infos siehe auch: http://www.schauspielkoeln.de


Post an Karoline Bendig



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