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nachDRUCK # 6

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Besprechung


30. Oktober 2010, Staatsoper Hannover

Neuinszenierung von Mozarts DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL


„Um dich Geliebter/Um dich Geliebte/geb ich gern mein Leben hin/geb ich gerne mein Leben hin“ – so heißt es in Mozarts Entführung im Duett der beiden Liebenden Konstanze und Belmonte, als ihre Flucht aus dem Serail des Bassa Selim gescheitert ist und sie dem Tod ins Auge blicken. Große Worte, von Mozart berührend schon vertont. Aber Zweifel an dieser Aussage sind erlaubt, zumindest legt Ingo Kerkhof dies in seiner Inszenierung der Entführung aus dem Serail an der Staatsoper Hannover nahe. Denn bevor Konstanze und Belmonte diesen Schwur austauschen, haben sich einige Hindernisse in den Weg der ewigen Liebe gestellt, vor allem Belmontes Misstrauen und Bassa Selims Werben um Konstanze.

Bassa Salim ist dabei in Kerkhofs Inszenierung eine attraktive, großgewachsene dunkelhäutige Frau, die im Anzug Konstanze und im Kleidchen Belmonte umgarnt. Nicole Coulibalys Bassa ist ein lässige Erscheinung, mit Sexappeal und Ausstrahlung. Sie/Er liebt zwar Konstanze, flirtet aber auch mit Blonde. Die Verführung von Belmonte, dem sie die Augen verbindet, bleibt vage. Ihr wird bei weitem nicht so viel Raum eingeräumt wie der Begegnung Konstanzes mit dem Bassa. Diese Inszenierungsidee ist sicherlich der Clou des Abends, aber sie geht nicht ganz auf. Ist Bassa Selim ein Zyniker, der nicht an die Liebe glaubt? Oder jemand, der einfach nur weiß, dass die Menschen sich im Grunde ihres Herzens nicht binden wollen, wie die inszenierte Hochzeit der Paare Belmonte/Konstanze und Pedrillo/Blonde am Ende recht deutlich zeigt. Wie ist seine angeblich so große Liebe zu Konstanze einzuschätzen? Alles nur Gerede, um ans Ziel zu kommen? Offensichtlich ist, dass Konstanze seine Nähe genießt. Ob sie seiner Faszination erliegt, kann jeder Zuschauer für sich entscheiden.

Undeutlich wabert in Kerkhofs Entführung ein Verführungsgedanke, für den es der Inszenierung aber an Exotik mangelt. Denn der Regisseur, seine Bühnenbildnerin und sein Kostümbildner gehen den Weg der Reduktion: keine aufwendigen Kostüme, ein schlichtes Bühnenbild. Recht karg mutet das alles an. Nur ein rechteckiger Aufbau mit Fransenvorhängen zu allen Seiten, der sich gelegentlich dreht, dient als Kulisse. Links davon steht eine profane Couchgarnitur. Am aufwendigsten gekleidet sind noch der Haremswärter Osmin im Frack und Pedrillo im Dienerlivree.

Mag der Abend szenisch etwas sehr konzeptionell geraten sein, der Humor kommt vor allem bei Osmin, Pedrillo und Blonde nicht zu kurz. Kerkhofs Personenregie meidet hier klug alle Rollenklischees und zeigt drei Figuren, deren Schicksal der Zuschauer interessiert verfolgt.

Musikalisch überzeugte die besuchte Aufführung von Mozarts Singspiel durchweg. Zwar war das Tempo zu Beginn recht gemächlich und das Schlagwerk klang ungewohnt, aber Orchester, Sänger und Dirigent fanden rasch zu einem sehr inspirierten Zusammenspiel. Nicole Chevaliers Sopran hat ein angenehm weiches Timbre, keine schrille Schärfe, wie es bei Koloratursopranen sonst häufig der Fall ist. Und dennoch keine Schwierigkeiten, die anspruchsvollen Passagen der Partie souverän zu meistern. Philipp Heo, zu Beginn mit leichten Intonationsproblemen, brachte ebenfalls die für diese Partie so schwierig zu erreichende Leichtigkeit mit. Ebenbürtig Jörn Eichler, Hinako Yoshikawa und Shavleg Armasi. Gut disponiert auch der Chor bei seinen zwei Einsätzen. Einzig ein Ärgernis sei an dieser Stelle erwähnt: die Verständlichkeit der Dialoge, in die Dramaturgie und Regie so viel Überlegungen investiert haben, ist fast durchgängig sehr schlecht.

Mutig und überzeugend auch die musikalischen Brüche: Belmonte wird in seiner Baumeister-Arie unterbrochen und die tatsächliche Entführung nur mit Pedrillos Liedchen über das Mädchen, das im Mohrenland gefangen war, eingeleitet. Und kurz bevor Belmonte und Konstanze endlich aufeinandertreffen, erklingt von der Bühne Klaviermusik, neben Mozarts Alla turca auch modernere Musik, zu der die Serailgesellschaft tanzt. So kann Musiktheater auch sein: sinnvolles Aufbrechen der oftmals so hermetisch anmutenden Partituren statt sklavischem Befolgen.

Die Entführung passiert trotz Titelgebung des Stücks beiläufig, die Emotionen der Protagonisten stehen eindeutig im Mittelpunkt dieser Produktion. Stark und schlüssig in diesem Sinne das Schlussbild der Inszenierung, das lange nachwirkt: Die Entführten dürfen in die Heimat zurückkehren, aber Euphorie und Freude über dieses glückliche Ende verbreitet nur der Chor, der Bassa Selims Haltung bejubelt. Und dieser Jubel findet woanders statt, nicht auf der Bühne – hier bleiben in dem sich langsam drehenden Rechteck Pedrillo, Blonde, Belmonte und Konstanze zurück, vereinzelt und unentschlossen, ob sie sich einander wieder annähern sollen.


Karoline Bendig - red. 10. November 2010
ID 4919
Die Entführung aus dem Serail (Staatsoper Hannver, 30.10.2010)
Musikalische Leitung: Ivan Repušić
Inszenierung: Ingo Kerkhof
Bühne: Anne Neuser
Kostüme: Stephan von Wedel
Choreographie: Cássia Lopes
Besetzung:
Bassa Selim ... Nicole Coulibaly
Konstanze ... Nicole Chevalier
Blonde ... Hinako Yoshikawa
Belmonte ... Philipp Heo
Pedrillo ... Jörn Eichler
Osmin ... Shavleg Armasi
Chor der Staatsoper Hannover
(Choreinstudierung: Dan Ratiu)
Niedersächsisches Staatsorchester Hannover
Premiere war am 2. Oktober 2010
Weitere Termine: 11., 28.11., 29.12.2010 / 16.01., 12.02., 30.03., 10., 29.06., 08.07.2011

Weitere Infos siehe auch: http://staatsoper-hannover.de


E-Mail an die Rezensentin: karoline.bendig@kultura-extra.de



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