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nachDRUCK # 6

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Tanztheater

Über die Perversion

eines ewigen Lebens

aus dem Labor



A Year without Summer von Florentina Holzinger | Foto (C) Mayra Wallraff

Bewertung:    



A Year without Summer, die neu Perfomance-Produktion der Wiener Choreografin Florentina Holzinger in der Berliner Volksbühne, könnte ungefähr da weiter machen, wo im März Oliver Frljić‘ recht persönliche Verarbeitung von Mary Shelleys Roman Frankenstein am Maxim Gorki Theater noch ganz unblutig endete. Eine Verknüpfung der alten Story um die negativen Folgen eines sich fortschrittlich empfindenden Schöpfergeistes mit dem eigenen Leben und der politischen Gegenwart. Die englische Schriftstellerin holte sich die Inspiration zu ihrem Roman bei einer Urlaubsreise 1816 an den Genfer See. Einem Sommer mit extrem schlechtem Wetter infolge des Ausbruchs des Vulkans Tambora in Indonesien im Jahr zuvor. Die Urlaubsgesellschaft erzählte sich zur Erbauung romantische Gruselgeschichten. Dieses sogenannte „Jahr ohne Sommer“ ist nun der Inspirationsquell für Florentina Holzingers Ansatz. „2025  - ein Jahr ohne Sommer“ heißt es dann auch in der Ankündigung zum Abend. Ist das nun nach den bisherigen Feiern einer feministischen körperlichen Selbstermächtigung und Identitätsfindung ein leicht verspätetes Statement zum Klimawandel?

Florentina Holzinger verfolgt aber noch einen ganz anderen Ansatz. Es soll neben Körper und Identität um den gesundheitlichen Verfall und unser Verhältnis zur modernen Umwelt gehen.


"A Year  without Summer erzählt von der Verbesserung der Natur bis zur Perversion  und  ist ein Versuch, die Verheißung  des ewigen Lebens gegen  den sicheren Tod auszuspielen."


Das Monster entspringt hier also den Laboren der Pharma-, Beauty- und Tech-Konzerne mit ihrem „unkontrollierten technologischen Wachstums in einer von KI, Robotik und Bioengineering geprägten Welt“, möchte man meinen. Aber ganz so klar ist es dann doch nicht. Zu Beginn wird nach einer kurzen Einführung zum besagten Geschichtenerzählen, um die emotionalen Leere zu füllen, wie es heißt, erstmal lang und intensiv gekuschelt, dann gefickt. Erst noch bekleidet, dann nackt und immer ekstatischer zu psychedelischen Krautrockklängen. Summer of Love sozusagen. Dem Klima zum Trotz.

Dann dröhnt Also sprach Zarathustra von Richard Strauss, die Titelmusik zu Stanley Kubricks Kultfilm A Space Odyssey, und ein riesiger nackter weiblicher Torso wird aufgeblasen. Ein Zitat des Gemäldes Der Ursprung der Welt von Gustave Courbet. Aus der großen Vagina purzeln nun die Performerinnen in weißen Kitteln und Florentina Holzinger lässt sich in Großaufnahme eine winzige Babyfigur aus dem Oberschenkel schneiden. Wiederum ein Verweis auf die Geburt des Dionysos. „A Musician” ruft es begeistert. Florentina Holzinger hat wieder die popkulturelle Maschine angeschmissen und schickt gleich einen kompletten Musical-Teil hinterher. Es geht um Dr. Frankenstein als modernen Prometheus, die richtige Psychopille und die Nebenwirkungen.

„Pain first, heal later.“ Das könnte ein Motto des Abends sein, der dann gleich mit einer Sigmund-Freud-Parodie weiter macht. Der bekannte Psychoanalytiker hat feuchte Träume und untersucht den Unterleib einer der Performerinnen. Annina Machaz gibt wieder den peinlichen Mansplainer. Hier witzelt sie sich vom Penisneid bis zur Vagina dentata. Nicht weniger schmerzfrei geht es weiter mit einem Todesduell zwischen dem KZ-Arzt Josef Mengele (Saioa Alvarez Ruiz) und dem rassistischen französischer Naturforscher und Anatom Jean Georges Cuvier (Achan Malonda). Das wird durch das Auftreten der Performerinnen natürlich hart kontrastiert. Geschmacklich bleibt es dennoch fragwürdig, wie auch die abschließende Kot- und Kotzorgie, die Holzinger nun endgültig als Tochter im Geiste des Wiener Aktionismus zeigt. Günter Brus und Hermann Nitsch hätten ihre Freude, wenn sie noch leben würden. Aber was ist schon Schweinblut gegen echte Kunstkacke. Glitsch like Nitsch aus dem Uterus.

Schön sind die wenigen ruhigen Momente des Abends. Zum Schauer die Romantik liefert ein Ballett von Roboterhunden, die in einem Glaskasten gegen die Scheiben springen, bis sie herausgelassen ihren Schrecken verlieren. Der Ausflug in die Welt der Technologie ist damit aber schon erledigt. Körperaktion und Akrobatik drängen sich wieder in den Vordergrund. Ein ultimativer Facelift an ins Gesicht gepiercten Haken, Trampolin-Springen und Eislaufen. Von „Immortality“ bis „Eternity“ ist es aber nur ein kurzer Umschnitt. Die extra für die Show gecasteten älteren Performerinnen werden nun in Rollstühle gesetzt und Betten gelegt. Die jungen geben das Pflegepersonal, das sich redlich müht und windelt, bis die braune Brühe in hohen Bögen schießt. Kacke-Schüttbilder zu Elektrosounds. Ein Monsteroratorium der anderen Art mit Queens Klassiker Who wants to live forever. Dann schaut auch noch das bekannte Monster Frankensteins auf Stelzen vorbei, bis der langsam rieselnde Schnee die Szenerie bedeckt. Vor ein paar Tagen wurde hier an der Volksbühne noch Holzingers zum Theatertreffen eingeladener schräger Opern-Rausch Sancta gefeiert, nun ein relativ unfertiger Abend, der sein Thema nur in Ansätzen fasst, aber nicht wirklich zu Ende denkt.



A Year without Summer von Florentina Holzinger | Foto (C) Mayra Wallraff

Stefan Bock - 23. Mai 2025
ID 15278
A YEAR WITHOUT SUMMER (Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, 21.05.2025)
Regie, Choreographie & Performance: Florentina Holzinger
Musikalische Leitung: Born In Flamez und Stefan Schneider
Komposition: Born In Flamez, Josephinex Ashley Hansis und Stefan Schneider
Weitere Musikproduktion & Arrangements: Philipp Hülsenbeck
Bühne: Nikola Knežević
Kostüme: Christiane Hilmer
Licht: Kevin Sock
Videodesign: Zoe Bassi, Max Heesen
Dramaturgie: Fernando Belfiore, Leonie Hahn, Sara Ostertag, Felix Ritter und Michele Rizzo
Robotics: Boiling Head, Zoe Bassi (mit einem Dankeschön an die Roboverse Community)
Elektroden: Karsten Schuhl
Live-Musik: Sofia Borges, Born In Flamez, Gibrana Cervantes, Blathin Eckhardt, MING und otay:onii
Mit: Saioa Alvarez Ruiz, Liane Jil Apel, Andrea Baker, Bear Boy, Sofia Borges, Born In Flamez, Gibrana Cervantes, Renée Copraij, Beatrix "Trixie" Cordua, Sophie Duncan, Luz de Luna Duran, Blathin Eckhardt, Renée Eigendorff, Fibi Eyewalker, Florentina Holzinger, Sahel van K, Annina Machaz, Achan Malonda, MING, Xana Novais, Netti Nüganen, otay:onii, Costanza Pérez de Lara Bonatti, Sue Shay, Brigitte "Gitti" Ulm und Bärbel Warneke
Premiere war am 21. Mai 2025.
Weitere Termine: 23., 24., 25.05./ 07., 08., 09.06. (in Berlin), 19., 20., 21.06.2025 (in Wien),
26., 27.06. (in Hannover), 21., 22., 23., 24.08.2025 (in Hamburg)


Weitere Infos siehe auch: https://www.volksbuehne.berlin


Post an Stefan Bock

Ballett | Performance | Tanztheater

Neue Stücke

Premieren (an Staats- und Stadttheatern)



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