Ein Kaleidoskop
des menschlichen
Daseins
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FAUST am Schauspiel Köln | Foto (C) Birgit Hupfeld
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Bewertung:
Es sind die schwankenden Gestalten aus der Zueignung, die es Kay Voges bei seiner Inszenierung des Faust offenbar angetan haben. Zu Beginn erscheinen sie hinter einem Gaze-Vorhang auf der Bühne im Depot 1 des Kölner Schauspiels, kurz vor Ende sind es drei Darstellerinnen, die Faust als gewissermaßen dreigeteiltes Gretchen Vorwürfe machen, nicht mit ihm fliehen wollen – schemenhaft hinter einem Vorhang, nicht zuordenbar.
Die Flüchtigkeit des Augenblicks festzuhalten, danach streben Faust wie sein Autor Johann Wolfgang Goethe. Und im Grunde genommen auch jede Theateraufführung. Voges bringt dabei noch die Fotografie ins Spiel als technische Möglichkeit, den Augenblick zu bannen. Und so gesellt sich gleich zu Beginn ein Fotograf (Marcel Urlaub) zu den Spielenden, dessen Bilder auf eine große Leinwand projiziert werden. Der fotografiert jedoch oftmals nicht das für die Zuschauenden sichtbare Bühnengeschehen, sondern gestellte Settings, die hinter den Gardinen eines kleinen Häuschens stattfinden. Außer diesem Haus ist die Bühne eher karg ausgestattet, Scheinwerfer und Mikrofone prägen das Bild neben viel leerem Raum (Bühne: Michael Sieberock-Serafimowitsch). Auch hier überwiegt die Technik.
Nach dem Prolog hat der alternde Faust (sehr präsent und mit den Unbillen des Lebens ringend: Andreas Beck) das Wort, bis er auf Faust trifft. Goethes zentrales Werk erscheint als endlose Abfolge von Szenen und Reflexionen, in die Voges in seiner Inszenierung einfach hinein- und wieder hinauszoomt. Nur bei der Gretchen-Geschichte folgt er dem vorgeschriebenen Lauf der Ereignisse, zumindest mehr oder weniger. Vieles wird aber auch hier nicht direkt zwischen den Spielenden verhandelt, sondern über projizierte Fotos erzählt, etwa die Frage, wie die Sache mit dem geschenkten Goldschmuck ausgeht: schlecht für Gretchen, gut für die Kirche.
In der Inszenierung gibt es optisch noch eine zweite Ebene: der Bezug zu den USA. Das Haus auf der Bühne erinnert an Bilder von Edward Hopper, Faust und Co. sehen sich am Ende in Hollywood wieder, und ein mittelalter Mann (Faust in einer anderen Lebensphase?) sitzt in seinem Haus vor einer Wand mit Fotos und Bindfäden, was an Profiler und CSI-Storys gemahnt. Auch musikalisch wird eher geklotzt denn gekleckert: Gleich am Anfang wird es mystisch mit „O Fortuna“ aus der Orffs Carmina Burana. Das ist also der Erdenkreis mit seinen Darstellenden bzw. das Kaleidoskop des menschlichen Daseins.
Und zu guter Letzt stehen Menschen auf der Bühne, die durchweg sehr überzeugend agieren. Vieles widersetzt sich einer gängigen Rollenzuschreibung, und die Schauspielenden wechseln teilweise munter zwischen verschiedenen Figuren hin und her, etwa Anja Laïs, Uwe Rohbeck und Birgit Unterweger. Lavinia Nowak gibt ein eher sprödes, herbes, aber dennoch verletzliches Gretchen, Paul Grill springt vom Prolog in die Rolle des jungen Faust, dem die Welt zu Füßen liegt. Andreas Beck dagegen gibt Faust eher als Denker denn als Macher. Frank Genser verkörpert Goethes Titelfigur bzw. einen Mann mittleren Alters überwiegend auf Fotos und erzählt damit immer wieder kleine Lebensschnipsel dieser Figur, die vage bleibt. Und Uwe Schmieder verleiht Faust, unter anderem, einen würdigen Abgang – so kommt auch der zweite Teil von Goethes Trägodie noch ins Spiel.
Das ist dann eben doch gut gemachtes und gespieltes Theater, obwohl kaum Interaktion der Spielenden stattfindet und sich vieles nur über die Sprache, den Dialog erzählt (gerne ins Mikrofon gesprochen – vor allem im zweiten Teil des Abends). Doch in Kombination mit den Fotografien entstehen ganz eigene Geschichten, die an-, aber nicht auserzählt werden. Und Goethes Text ist und bleibt einfach gut.
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FAUST am Schauspiel Köln | Foto (C) Birgit Hupfeld
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Karoline Bendig - 4. Dezember 2025 ID 15588
FAUST (Depot 1, 02.12.2025)
Regie: Kay Voges
Bühne: Michael Sieberock-Serafimowitsch
Kostüm: Mona Ulrich
Musik: Paul Wallfisch
Videoart: Max Hammel
Lightdesign: Voxi Bärenklau
Ton: Oliver Foth und Antony Fitz-Harris
Dramaturgie: Lennart Göbel und Matthias Seier
Live-Schnitt: Mario Simon
Live Fotografie: Marcel Urlaub
Mit: Andreas Beck, Frank Genser, Paul Grill, Anja Laïs, Hasti Molavian, Lavinia Nowak, Uwe Rohbeck, Uwe Schmieder und Birgit Unterweger
Premiere am Schauspiel Köln: 19. Oktober 2025
Weitere Termine: 11., 12., 27.12.2025// 21.01./ 20.02.2026
Eine Produktion des Volkstheaters Wien
Weitere Infos siehe auch: https://www.schauspiel.koeln
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