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nachDRUCK # 6

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Repertoire

Unterhaltsamer

Abend mit

Kollateralschäden



Die Möwe an der Schaubühne Berlin | Foto (C) Gianmarco Bresadola

Bewertung:    



Neue Formen für das Theater will der junge Autor Konstantin Gawrilowitsch Treplev in Anton Tschechows Tragikomödie Die Möwe und langweilt mit einem Mix aus symbolistischem Geraune und expressionistischem Gebaren eine Sommergesellschaft auf einem russischen Landgut am See zu Tode. Besonders aneinander gerät er darüber mit seiner Mutter Irina Nikolajewna Arkadina, einer berühmten Schauspielerin, die der Pose der Jugend nichts als Hohn und Verachtung entgegenbringt. Der Konflikt zwischen Künstlergenerationen ist nur eines von vielen Problemen in Tschechows 1895 uraufgeführtem Stück. Aber sicher das für heutige Theaterschaffende immer noch interessanteste.

Thomas Ostermeier, seit 1999 Intendant der Berliner Schaubühne, war selbst einmal ein junger Stürmer und Dränger, der vor mehr als 25 Jahren mit einem ungewöhnlich frischem Regie-Furor die Baracke des DT bespielte. Mittlerweile selbst zum routinierten Regieklassiker geworden, inszeniert er bereits zum dritten Mal Tschechows berühmten Bühnenklassiker. Die Liste derer, die sich in Regie-Generationen an der Möwe versucht haben ist lang und der Zugriff auf den Stoff seit mindestens 25 Jahren fast unverändert. Ein Grund dafür dürfte die Abkehr vom einfühlenden Stanislawski-Stil hin zu einem komödiantischen Boulevard sein. Ausnahmen von der Regel sind die legendären Inszenierungen von Luc Bondy 2000 am Burgtheater Wien und Jürgen Gosch 2008 am Deutschen Theater Berlin. Beide wurden zum Berliner Theatertreffen eingeladen.

Der letzte Tschechow an der Schaubühne, der es zum THEATERTREFFEN schaffte, war 1999 ein Onkel Wanja von Andrea Breth in ihrer letzten Spielzeit als Intendantin. Von ihr war auch die letzte Inszenierung der Möwe im Haus am Lehniner Platz. Also alles ziemlich lange her, und somit fühlt man die Last der Jahre wie Mehltau auch auf Ostermeiers neuer Inszenierung liegen, obwohl die mit langen Ästen raumgreifende Platane (Bühne: Jan Pappelbaum/ Thomas Ostermeier) und Vogelgezwitscher einen Hauch von Sommerfrische in den Saal B der Schaubühne bringen. Auf einem der Äste an diesem naturalistischen Bühnengewächs liegt ganz in Schwarz und rauchend die Schauspielerin Hêvîn Tekin als Mascha, dauerdepressive Tochter des Gutsverwalters Schamrajew, die seit gefühlten 20 Jahren ihr Bühnendasein als Gothic-Girl mit Alkoholproblem fristet. Ihr gehört der Trinkspruch des Abends: „Auf die Männer, die wir lieben und die Penner, die wir kriegen.“

Den anderen Figuren in diesem Stück geht es nicht sehr viel anders. Sie alle tragen ihren Ennui wie ein einmal eingeübtes Klischee tapfer durch den Abend. Mal getarnt in der Pose der blonden Diva Arkadina von Stephanie Eidt oder der des dauereingeschnappten Künstlers Konstantin (Laurenz Laufenberg) oder des schwafelnden Dichterstars Trigorin (Jochachim Meyerhoff). Meyerhoff holt damit zumindest die meisten Lacher ab. Ansonsten klagt man hier so gut man kann. Der eine ist des Lebens überdrüssig, der andere hat noch gar nicht richtig angefangen zu leben, obwohl es schon ans Sterben geht. Axel Wandke als alternder Frauenheld und -arzt vermag Thomas Badings lamentierendem Staatspensionär Sorin kaum Trost zu spenden. Viel Lebens- und Liebesleid treibt diese Gesellschaft auf dem Lande um. An der Schaubühne mit sanft modernisiertem Text im Brandenburgischen verortet, trinkt man Bier und Wodka zur Spreewaldgurke. Und wenn ein Düsenjäger geräuschvoll aus dem Off vorüber donnert, blickt alles nach oben und hält kurz inne.

Dabei muss das Publikum aber nicht unbedingt an den Krieg denken und auch nicht an ein Sondervermögen, das hier eh keiner hat und daher ständig über das fehlende Geld gejammert wird. Ostermeier treibt das mit plötzlichen Gefühlsausbrüchen, verbalen Verletzungen, Wut- und Pöbeltiraden bis ins lächerlich Groteske, wenn z.B. David Ruland als prolliger Gutsverwalter dem Karteikartenjunkie Trigorin eins auf die Fresse androht. Besonders Joachim Meyerhoff liegt dieser Drang zur Klamotte und zum Slapstick mit Ast vor dem Kopf. Eine wirkliche Wende zur Tragik, die diesem Stück ja auch inne wohnt, gelingt nur Alina Vimbai Strähler als zunächst strahlende Jungschauspielerin Nina, die nach gescheiterter Liebesaffäre mit Trigorin als müde und gebrochene Provinzdarstellerin an den Ort der einstigen Aufführung von Konstantin zurückkehrt, aber den einmal gewählten Weg nicht aufgeben will. Junge Möwe trifft Mensch, der ihr Leben vernichtet. Das Sujet für Trigorins Novelle landet in Ostermeiers recht konventioneller Inszenierung oft im seichten Gewässer der Unterhaltung. Ein Abend mit Schuss fordert seine Kollateralschäden.



Die Möwe an der Schaubühne Berlin | Foto (C) Gianmarco Bresadola

Stefan Bock - 11. März 2023
ID 14096
DIE MÖWE (Schaubühne am Lehniner Platz, 10.03.2023)
Regie: Thomas Ostermeier
Bühne: Jan Pappelbaum und Thomas Ostermeier
Mitarbeit Bühne: Ulla Willis
Kostüme: Nehle Balkhausen
Musik: Nils Ostendorf
Dramaturgie: Maja Zade
Licht: Erich Schneider
Mit: Thomas Bading, İlknur Bahadır, Stephanie Eidt, Laurenz Laufenberg, Joachim Meyerhoff, David Ruland, Renato Schuch, Alina Vimbai Strähler, Hêvîn Tekin und Axel Wandtke
Premiere war am 7. März 2023.
Weitere Termine: 12., 14., 15.03./ 10., 11.04.2023


Weitere Infos siehe auch: https://www.schaubuehne.de


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