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Unbekannte und

unerhörte Gattin



Die Frau vom Meer - oder: Finden sich Rudimente einer Ur-Fischart im menschlichen Gemüt? am Schauspiel Frankfurt | Foto © Jessica Schäfer

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„Sei der Ozean/ in dem ich mich auflöse/ Sei das Wasser, in dem ich wate/ Du bist der Fluss, der über die Ufer tritt, der tief und wild fließt...“ Eine junge Frau namens Hilde (Viktoria Miknevich) probiert sich eingangs (auf Englisch) mehr schlecht als recht an einer eigenwilligen Version von I follow rivers. Die Lyrics im Ohrwurm von Lykke Li erzählen von möglichen Verlockungen und einer Zusammenkunft im Wasser, wovon im übertragenen Sinne auch Ibsens Drama handelt. Hilde begrüßt mit ihrem Ständchen aufgeregt den gerade angereisten Arnholm (Peter Schröder). Begleitet wird sie musikalisch dezent von Markus Reschtnefki, der regelmäßig die Live-Musik während der Aufführung beisteuert. Arnholm ist sichtlich gerührt. Er war ein wichtiger Weggefährte der Stiefmutter Ellida und der einstige Lehrer ihrer Schwester Bolette (Christina Geiße). Freiheraus gesteht der Vater der Mädchen, Doktor Wangel (Uwe Zerwer), dass Bolette nun ja schon im heiratsfähigen Alter sei. Das weiß auch Arnholm, der von Bolette so entzückt ist, dass er sie während seines Besuches nicht mehr aus den Augen lässt.

Henrik Ibsen verarbeitete einen ganzen sozialen Kosmos in seinen Dramen voller Gesellschaftskritik, Psychologie und Tiefe. Oftmals beleuchtete er Durchschnittsmenschen in einer Kleinstadt. Viele seiner Figuren, wie die Titelheldin Ellida in Die Frau vom Meer, sind Einzelgänger und agieren gemäß eigener Vorstellungswelten, ohne dabei die Interessen ihrer unmittelbaren Weggefährten zu sehen oder zu berücksichtigen. Anders als seine übrigen Dramen enthält Die Frau vom Meer auch Elemente von Märchen oder Gruselmythen.

Regisseurin Barbara Bürk legt in ihrer Adaption jedoch mehr Wert auf hintersinnigen Humor, komische Elemente und Empathie, sodass die Zuschauer über ein Scheitern der Figuren herzlich lachen können. Der Untertitel ihrer Inszenierung (Finden sich Rudimente einer Ur-Fischart im menschlichen Gemüt?) verweist auf ein wörtliches Zitat aus einem Arbeitsjournal von Ibsen. Zu seinen Lebzeiten wurden in der Forschung Fischembryos mit Säuglingsembryos verglichen, was Ibsen genau verfolgte. Heute wissen wir, dass wir Teile unserer DNA gemeinsam mit Fischen haben. Folgen für die menschliche Seele oder das Gemüt, die zu Lebzeiten Ibsens in der Diskussion waren, lassen sich nicht belegen.

Die Ambivalenzen und das Changieren der Figuren auf der Bühne sind spannend. Melanie Straub, die als Titelheldin gerade vom Schwimmen im Meer noch nasse Haare und Klamotten hat, blickt die anderen Figuren ein bisschen ausdruckslos an. Sie ist noch ganz außer Atem. Die einzige Sorge des Bezirksarztes Doktor Wangel gilt seiner Ehefrau Ellida, worunter seine Töchter und auch deren Verehrer leiden. Neben Arnholm hat auch der herzkranke Lyngstrand (Christoph Pütthoff) als ebenso komische wie tragische Figur ein Auge auf die beiden jungen Frauen geworfen. Hilde und Bolette möchten selbst gerne der Enge der Kleinstadt am Fjord und der dysfunktionalen Beziehung ihres Vaters und ihrer Stiefmutter entfliehen, sei es auch durch einen möglichen Lebenspartner. Ihr Vater überlegt hingegen stets, wie er das gemeinsame Heim noch angenehmer für seine zweite Frau gestalten kann.

Ellida schreitet derweil versunken durch die Bühnenlandschaft und blickt versonnen ins Publikum. Sie holt zweimal jeweils die gleiche Person aus dem Publikum auf die Bühne, die sie sehnsüchtig als Seemann betrachtet. Der auf die Bühne geholte Mann übernimmt für sie die Leerstelle oder Symbolfigur einer Verlockung, Versuchung und eines Verderbens im Wasser. Sie gibt ihm das Gesagte vor, das er eifrig wiederholt. Unbändig sehnt sich Ellida hier nach dem freien, offenen Meer und fühlt sich doch pflichtschuldig an Doktor Wangel gebunden.

Der Gewissenskonflikt Ellidas erinnert an die zahlreichen überlieferten Ausgestaltungen von Meerjungfrauen, Nymphen, Undinen oder Sirenen in der Literatur seit der Melusine-Sage aus dem 12. Jahrhundert. Auf Meerfrauen lag hier stets ein Fluch, wenn sie durch Verbindung mit einem Menschen unfrei wurden. Ibsen gestaltet in seinem 1889 uraufgeführten Drama nun eine Frau, die sich einer unbestimmten Meeressehnsucht hingibt und keinen persönlichen Bezug zu ihren Mitmenschen und insbesondere zu den Töchtern ihres Mannes aufzubauen vermag.

Aufgelockert wird die mitunter etwas langatmige, in einigen Szenen jedoch durchaus höchst unterhaltsame Inszenierung durch gelungene Choreographien von Bewegungscoach Etay Axelroad, bei denen alle Figuren synchron bemerkenswerte, ungewöhnliche Drehungen und Bewegungen etwa mit den Armen, Schultern oder Händen zelebrieren.



Die Frau vom Meer - oder: Finden sich Rudimente einer Ur-Fischart im menschlichen Gemüt? am Schauspiel Frankfurt | Foto © Jessica Schäfer

Ansgar Skoda - 7. Dezember 2025
ID 15594
DIE FRAU VOM MEER – ODER: FINDEN SICH RUDIMENTE EINER UR-FISCHART IM MENSCHLICHEN GEMÜT? (Kammerspiele, 05.12.2025)
nach Henrik Ibsen

Regie: Barbara Bürk
Bühne & Kostüme: Anke Grot
Musik: Markus Reschtnefki
Dramaturgie: Alexander Leiffheidt
Licht: Jan Walther
Bewegungscoach und Dip Movement Research: Etay Axelroad
Mit: Uwe Zerwer, Melanie Straub, Christina Geiße, Viktoria Miknevich, Peter Schröder, Christoph Pütthoff und Markus Reschtnefki sowie Ballested (Live-Musik)
Premiere am Schauspiel Frankfurt: 16. Mai 2025
Weitere Termine: 15., 22.01.2026


Weitere Infos siehe auch: https://www.schauspielfrankfurt.de


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