Filme, Kino & TV
Kunst, Fotografie & Neue Medien
Literatur
Musik
Theater
 
Redaktion, Impressum, Kontakt
Spenden, Spendenaufruf
Mediadaten, Werbung
 
Kulturtermine
 

Bitte spenden Sie!

Unsere Anthologie:
nachDRUCK # 6

KULTURA-EXTRA durchsuchen...

Repertoire

Buntes

Kasperletheater,

kunstvolles

Maskenspiel



Der Hauptmann von Köpenick am Staatstheater Cottbus | Foto (C) Bernd Schönberger

Bewertung:    



Nach dem Weggang von Intendant Stephan Märki eröffnete das Staatstheater Cottbus die nur eine Spielzeit andauernde Interimsintendanz von Hasko Weber mit Carl Zuckmayers Drama Der Hauptmann von Köpenick. Weber hat die Regie dafür überraschend Sebastian Hartmann übertragen. Neben Dresden und Potsdam ist der ehemalige Leipziger Intendant, der bereits sehr erfolgreich in Berlin, Hamburg, Frankfurt/M, Stuttgart oder Wien inszeniert hat, damit dreimal in dieser Spielzeit in der ostdeutschen Provinz unterwegs. Für das Cottbus Publikum, das auch innerhalb von fünf Jahren bereits den vierten Wechsel in der Schauspieldirektion miterlebt und damit immer wieder mit neuen Regiehandschriften Bekanntschaft machen durfte, ist das sicher eine besondere Herausforderung und zeugt von der Risikofreude Hasko Webers, geht Hartmann doch auch der Ruf voraus, Stücke nicht vom Blatt spielen zu lassen und hie und da das Abo-Publikum zu verschrecken.

Für seine Inszenierung von Zuckmayers 1931 geschriebenem „deutschen Märchen in drei Akten“ hat Hartmann das Eingangsportal des Cottbuser Jugendstiltheaters samt Aufschrift „Der deutschen Kunst“ auf die Bühne gestellt. In der Mitte ist ein breiter Guckkastenschlitz eingebaut, darum sich im Laufe des Abends eine Art Kasperletheater entwickelt. Ein buntes Kostüm- und Maskenspiel, das (ganz Hartmann) nicht einfach die Geschichte des aus dem Gefängnis entlassenen Schusters Friedrich Willhelm Voigt und seiner bekannten „Köpenickiade“ als falscher Hauptmann erzählt, sondern mehr ein kunstvoll zelebriertes Spiel im Spiel als Versuch einer Annährung des 8-köpfigen Ensembles an Figur und Stoff. Wer bin ich also, wenn ich mich verkleide, und was bleibt davon, wenn die Maske fällt?

Fantasievoll sind dabei wie immer die Kostüme von Adriana Braga Peretzki, wie wild und willkürlich aus dem Fundus gegriffen. Benjamin Kühni im Federfummel begrüßt das Publikum in Schwyzerdütsch. Wenn man Berliner Schnauze erwartet, ein eher ungewohnter Dialekt. Kühni, sich dessen bewusst, erklärt nochmal verständlich, worum es gehen soll und dass er für das bessere Verständnis weiter erklärend durch den Abend führen wird. Auch Gunnar Golkowski legt seinen Uniformschneider Wormser in rheinischer Mundart an und spielt seine Szene mit einer Socke als Bauchrednerpuppe. Schließlich animiert Lucie Luise Thiede in schrillem Ton das Publikum wie im Kasperletheater zum Mitmachen „Seid ihr alle da? Dann ruft doch laut Hurra.“

Der erste Auftritt von Willhelm Voigt im Polizeirevier wird dann zur wilhelminischen Kabaretteinlage mit Ariadne Pabst als knallchargigem Oberwachtmeister. „Wenn ick nich jemeldet bin, krieg ick keene Arbeet, und wenn ick keene Arbeet habe, da darf ick mir nich melden.“ Das Dilemma des sogenannten Zuchthäuslers ohne notwendige Papiere ist im Stück der Auslöser für die dann folgende Amtsanmaßung. „Wie der Mensch aussieht, so wird er anjesehn.“ Bei Hartmann wird das zum ausufernden Schauspielfest mit Kasperlepuppen, Pappköpfen und Musikeinlagen wie etwa dem Berliner Gassenhauer Bolle reiste jüngst zu Pfingsten, bei dem das ganze Ensemble unter der Fuchtel eines Kapellmeisters (Markus Paul am Klavier) schön melodisch auf und nieder hüpft. Eine Parodie des preußischen Drills verlegt ins Auf und Ab des Künstlerdasein.

Szenenweise taucht aus dem bunten Reigen immer auch wieder der berlinernde Schwejk Voigt auf, der hier von allen mal gespielt wird und mit seinem Knastkumpel Kalle den Einbruch ins Polizeirevier beratschlagt oder am Bett des totkranken Mädchens, das bei seiner Schwester wohnt, Geschichten erzählt. Das eigentliche Korpus Delikti, die Hauptmannsuniform, schwebt irgendwann, von allen wie eine Puppe geführt, leer über die Bühne. Des Kaisers neue Kleider führt dazu Torben Appel auf, der sich oben frei, wie eine Marionette an Fäden hängt. Voigt will irgendwo hingehören als Mensch. Aber erst kommt der Mensch und dann die Menschenordnung, heißt es im Stück. Gegen dieses Prinzip spielt die Inszenierung munter an, ohne dabei den Ernst der Geschichte zu vergessen.

Zu einer Toneinspielung aus dem Off wird ein Late-Night-Talk von 1993 bei Thomas Gottschalk mit dem Kritiker Joachim Kaiser und dem berühmten Schauspieler Heinz Rühmann, Darsteller des Wilhelm Voigt in der Verfilmung von 1956, mit großen Pappköpfen nachgespielt. Kaiser sagt hier schwärmerisch über Rühmann, der als Staatsschauspieler auch unter den Nazis weiter Karriere machte: „Der war ein Deutscher, wie Gott ihn träumt, richtig zivil, lustig…“ usw. und konnte somit „zum Ausdruck sozusagen deutscher Kunst werden“. Da schließt sich der Kreis zur Widmung auf dem Theaterportal.

Hartmanns Inszenierung endet, leise angesungen vom ganzen Ensemble, mit dem Rühmann-Klassiker „Wozu ist die Straße da? Zum Marschieren!“, der 1943 bei der Beschallung des Massenmords an Juden im KZ Majdanek eine eher unzivil unrühmliche Rolle spielte.



Der Hauptmann von Köpenick am Staatstheater Cottbus | Foto (C) Bernd Schönberger

Stefan Bock - 2. Oktober 2025
ID 15492
DER HAUPTMANN VON KÖPENICK (Staatstheater Cottbus, 27.09.2025)
Ein deutsches Märchen von Carl Zuckmayer

Regie und Bühne: Sebastian Hartmann
Kostüm: Adriana Braga Peretzki
Lichtdesign: Lothar Baumgarte
Dramaturgie: Leonie Hahn
Regieassistenz: Julia Daniczek
Soufflage: Jörg Trost
Mit: Torben Appel, Gunnar Golkowski, Benjamin Kühni, Charlotte Müller, Ariadne Pabst, Markus Paul, Charlie Schülke und Lucie Luise Thiede
Premiere war am 20. September 2025.
Weitere Termine: 12., 31.10./ 22.11., 13.12.2025 // 30.01. /12.02. / 12.03. / 11.04.2026


Weitere Infos siehe auch: https://www.staatstheater-cottbus.de


Post an Stefan Bock

Freie Szene

Neue Stücke

Premieren (an Staats- und Stadttheatern)



Hat Ihnen der Beitrag gefallen?

Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!    



Vielen Dank.



  Anzeigen:



THEATER Inhalt:

Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN

Rothschilds Kolumnen

BALLETT |
PERFORMANCE |
TANZTHEATER

CASTORFOPERN

DEBATTEN
& PERSONEN

FREIE SZENE

INTERVIEWS

PREMIEREN-
KRITIKEN

ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski

RUHRTRIENNALE

URAUFFÜHRUNGEN


Bewertungsmaßstäbe:


= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal




Home     Datenschutz     Impressum     FILM     KUNST     LITERATUR     MUSIK     THEATER     Archiv     Termine

Rechtshinweis
Für alle von dieser Homepage auf andere Internetseiten gesetzten Links gilt, dass wir keinerlei Einfluss auf deren Gestaltung und Inhalte haben!!

© 1999-2025 KULTURA-EXTRA (Alle Beiträge unterliegen dem Copyright der jeweiligen Autoren, Künstler und Institutionen. Widerrechtliche Weiterverbreitung ist strafbar!)