Oliver Reese inszeniert Oscar Wildes
Anklage aus dem Gefängnis
als Reflexion über Liebe,
Hass und die Kunst mit Jens Harzer
als theatralem Schmerzensmann
DE PROFUNDIS am Berliner Ensemble
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Bewertung:
De Profundis (dt.: Aus der Tiefe) ist nicht nur der Anfang eines Buß- bzw. Totengebets aus den biblischen Psalmen. De Profundis heißt auch ein sehr langer Brief, den der irische Schriftstellers Oscar Wilde während einer zweijährigen Gefängnishaft seinem ehemaligen Geliebten Lord Alfred Douglas (genannt Bosie) geschrieben hatte. Verurteilt wurde Wilde 1895 nach einer Anklage wegen Unzucht, sprich homosexuellen Handlungen, die damals unter Strafe standen. Dem vorangegangen war ein Verleumdungsprozess Wildes gegen den Vater von Alfred Douglas, der ihn der Sodomie bezichtigt hatte. Nach dem verlorenen Prozess kam Wilde selbst wegen Unzucht vor Gericht. Gesellschaftlich, finanziell und gesundheitlich ruiniert starb Wilde drei Jahre nach seiner Entlassung.
BE-Intendant Oliver Reese hat Wildes Anklage in Briefform nun für die Bühne adaptiert und den Hamburger Ausnahme-Schauspieler Jens Harzer (der in dieser Spielzeit vom Thalia Theater Hamburg ans Berliner Ensemble gewechselt ist) für das Projekt gewinnen können. Man kann sagen, dass sich das durchaus ausgezahlt hat. Harzer brilliert in der Rolle des gebrochenen Menschen, der sich bitterlich über den in seinen Augen eitlen, oberflächlichen und uninspirierten Liebhaber beklagt, der ihm nie eine Zeile ins Gefängnis geschrieben hat. Harzer ist dabei zunächst noch nicht zu sehen. Erst langsam schält sich seine hagere Gestalt im hochgeschlagenen Jackett aus dem Dunkel der Bühne. Er steht mit einer Tüte in der Hand in einem schmalen, erhöhten schwarzen Kasten. Eine Elendsfigur in einer mit einem Lichtband umfluteten Kathedrale des Schmerzes. Dazu orgelt es sakral aus dem Off.
Licht- und Soundwechsel sind die einzigen technischen Mittel zur Unterstützung von Harzers Spiel. Ein paar kleine zusätzliche Requisiten wie ein Hocker, ein kleines Foto von Douglas, ein von der Decke hängendes Mikro und ein Stück Kreide, mit dem Harzer die weißen Wände seiner Zelle beschmiert, dienen der szenischen Verdichtung. Alles andere holt Harzer stimmlich und mimisch allein aus seinem Körper. Das ist über fast zwei Stunden schon eine grandiose Leistung, sieht man mal von der etwas überhöhten Theatralik ab. Jens Harzer versteht es allerdings, die Pose des Schmerzensmannes nicht komplett in die Übertreibung abgleiten zu lassen. Von einigen Blacks unterbrochen durchläuft er hier die verschiedenen Stufen seiner Klage bis hin zur völligen körperlichen Erschöpfung. Schweißgebadet und zitternd sitzt Harzer am Ende am Boden.
Geht es zunächst um die für Wilde enttäuschende Beziehung zu Douglas, dem er vorwirft, ihm sein Genie und seinen intellektuellen Wagemut geopfert zu haben, wird der Brief im Mittelteil zur Lektion über Liebe, Hass und Demut. Der Bericht über Leben und Leiden im Gefängnis mündet schließlich in einer poetischen, fast religiösen Reflexion über die Kunst und den Künstler. „Wer eine Maske will, muss sie tragen.“ Oder „Kunst beginnt da, wo die Nachahmung aufhört.“ Da ist das Theater ganz bei sich. Das ist literarisch anspruchsvoll und hörenswert auch ohne Wissen über das Schicksal Wildes, der einer beispiellosen persönlichen Demütigung durch die Gesellschaft ausgesetzt, am Ende doch zu einem positiven Blick in die Zukunft fähig ist. So gesehen hat der Abend doch einiges zu bieten.
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Jens Harzer spielt De Profundis von Oscar Wilde im BE | Foto (C) Jens Brüggemann
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Stefan Bock - 8. Oktober 2025 ID 15505
DE PROFUNDIS (Berliner Ensemble, 06.10.2025)
Von Oscar Wilde in einer Bearbeitung von Oliver Reese
Regie und Bearbeitung: Oliver Reese
Bühne: Hansjörg Hartung
Kostüme: Elina Schnizler
Musik: Jörg Gollasch
Licht: Steffen Heinke
Dramaturgie: Johannes Nölting
Mit: Jens Harzer
Premiere war am 6. September 2025.
Weitere Termine: 23.10./ 02., 15., 28.11./ 01., 02.12.2025
Weitere Infos siehe auch: https://www.berliner-ensemble.de
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