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Premierenkritik

Das Gewehr der Frau Angerer

Kata Wéber und Kornél Mundruczó scheitern an der Berliner Volksbühne mit ihrem platten Psychothriller MINIME

Bewertung:    



Anton Tschechows dramatische Gewehr-Regel besagt: „Wenn im ersten Akt ein Gewehr an der Wand hängt, dann wird es im letzten Akt abgefeuert.“ In MiniMe, der ersten Produktion von Kata Wéber und Kornél Mundruczó für die Berliner Volksbühne, hängen sogar drei Gewehre an der Wand. Kathrin Angerer, langjähriger Volksbühnenstar und neuerdings auch Ko-Intendantin neben René Pollesch, hat also die Auswahl. Zielsicher wird sie sich später am Abend auch eines der drei Gewehre greifen und ihren Mann, dargestellt vom Saarbrücker TATORT-Kommissar Daniel Sträßer, in die Flucht schlagen. Der Mann ist Kummer gewohnt, wie man in seinem letzten TATORTt-Auftritt sehen konnte.

Die titelgebende Mini, so wird sie jedenfalls von ihrer Mutter Clau genannt, ist ein zehnjähriges Mädchen, das von der Mutter für die Teilnahme an Schönheits-Wettbewerben getrimmt wird. Clau war früher selbst Model und hat ihre Karriere in den USA nach der Hochzeit mit Josef für das Kind aufgegeben. Nun projiziert sie das eigene Scheitern auf ihr Kind. Sie sieht sich selbst in Mini wieder. Man nennt das auch den Mini-Me-Effekt. Das kleine Ich, also jene Mini (eindrücklich gespielt von der jungen Maia Rae Domagala), hat kaum die Chance sich gegen den Willen der Mutter zu behaupten. Sie macht mehr aus Angst, die Mutter zu enttäuschen, bei alldem mit. Vater Josef ist meist abwesend und erscheint hier leicht angetrunken nach einer Jagd (siehe Gewehr). Die Eltern streiten sich nur über die Erziehung der Tochter, was Mini nur noch mehr belastet. Dieses „toxische Dreieck“, wie es Autorin Kata Webér nennt, untersucht ihr Stück in 10 Lektionen, die die grausame Zurichtung der Tochter mit Enthaarung und Botox-Spritzen beschreiben, und angeschlossenem Knalleffekt.

Im Grunde ist das schon der ganze Plot, der in 90 Minuten auf der großen Bühne ausgewalzt wird. Zumindest ist hier Platz für das realistische Setting einer Villa im Grünen, wo auch mal die Vögel zwitschern. Den Sound für die Inszenierung besorgt live an Klavier und Keyboards der Musiker Daniel Freitag. Mona-Marie Hartmann und Stéphane Laimé haben das Interieur der Villa mit Küchenzeile, Wohnbereich und Badezimmer entworfen. Zunächst zeigt die Bühne aber die Außenwand, vor der ein länglicher Pool mit rosa Flamingo-Schlauchboot eingelassen ist. Die Schaubühne würde vor Neid erblassen. Der Wilmersdorfer Edel-Boulevard-Schick vom Ku’damm ist nun auch am Rosa-Luxemburg-Platz in Mitte angekommen. Die Zeit der Plastikstühle ist vorbei.

*

Leider muss man auch feststellen, dass das Stück genauso inhaltslos und flach wie die Vorbilder (Yerma, ödipus) vom Ku’damm ist. Das verwundert umso mehr, da das Künstler-Paar Wéber/Mundruczó doch seit Jahren für ihren magischen Realismus mit der ungarischen Theaterkompanie Proton bekannt sind. Dementia, or the Day of My Great Happiness und Látszatélet (Scheinleben) waren in Berlin als Gastspiele im Hebbel am Ufer zu bewundern. Seit Herbst 2021 befindet sich am Thalia Theater die dort gefeierte Inszenierung KRUM nach einem Theaterstück des israelischen Dramatikers Hanoch Levin auf dem Spielplan. Hier blitzt das wahre Können des Theaterregisseurs Mundruczó auf. Er ist natürlich in ersten Linie für seine Kino-Produktionen (Underdog, Jupiter's Moon, Pieces of a Woman) für große europäische Filmfestivals bekannt.

Bei MiniMe scheint es sich auch eher um die Vertheaterung eines verunglückten Drehbuchs für einen TV-Thriller zu handeln. Wir wohnen den ersten Szenen in der Villa auch via auf die Außenwand projizierter Live-Bilder bei, bis sich die Wand hebt und den Innenraum freigibt. Dramatik erzeugt hier nur der dräuende E-Sound von Daniel Freitag. Der magische Realismus von Kornél Mundruczó erschöpft sich in Trockeneisnebel und der langsamen Zerlegung des Innenraums, der am Ende einen Hirsch zeigt. Kathrin Angerer spielt Kathrin Angerer, wie wir es von der Volksbühnen-Diva gewohnt sind. Daniel Sträßer gibt den toxischen Ehemann, jedoch die Dialoge, auch die der Mutter mit Tochter Mini, bleiben hölzern und klischeehaft. Jemand muss die Parole ausgegeben haben, je kaputter die Beziehungen zwischen den ProtagonistInnen, umso besser kommt das in Berlin an. Der Ausflug ins psychodramatische Fach kostet am Ende nur einem Meerschweinchen namens Milka das Leben. Für die Volksbühne ist das aber ein weiterer Schritt in Richtung Bedeutungslosigkeit.



MiniMe in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz | Foto (C) Thomas Aurin

Stefan Bock - 30. Januar 2022
ID 13431
MINIME (Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, 29.01.2022)
von Kata Wéber in einer Übersetzung von Orsolya Kalász und Bálint von Berg

Regie: Kornél Mundruczó
Bühne: Mona-Marie Hartmann und Stéphane Laimé
Kostüme: Flóra Kruppa
Musik: Daniel Freitag
Live-Kamera: Richard Klemm, Gian Suhner
Licht: Kevin Sock
Dramaturgie: Soma Boronkay, Jutta Wangemann
Mit: Kathrin Angerer, Maia Rae Domagala und Daniel Sträßer
Premiere war am 29. Januar 2022.
Weitere Termine: 02., 13., 26.02.2022


Weitere Infos siehe auch: https://www.volksbuehne.berlin


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