Einer
für alle
MEPHISTO nach dem Roman von Klaus Mann - am Staatsschauspiel Dresden
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Nadja Stübiger als Mephisto - am Staatsschauspiel Dresden | Foto (C) Sebastian Hoppe
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Bewertung:
Eine Vorüberlegung vor dem scharfen Start in die Saison:
Das Stück Mephisto (nach dem Roman von Klaus Mann) passt in Zeit und Landschaft, soweit ist der Ansatz nachvollziehbar und eine gute Botschaft im vorletzten Jahr der Clementschen Dekade. Aber ob man bei der Spielzeitplanung schon von der Münchner Inszenierung von Jette Steckel wusste, die die Latte verdammt hoch hängte?
Gleich vorab: Die Brillanz der Kammerspiele wurde nicht erreicht, aber es war ein ordentlicher Start, mit einigen Höhen und Tiefen.
Wobei die Tiefen sich vor allem in der ersten Hälfte sammelten: Für die große, fast leere Bühne war das Spiel sehr spärlich und hölzern, den weiten Raum konnte man damit nicht füllen und man verlor sich dann auch schnell in Ulkigkeit.
Schauspieler, die mittelmäßig spielende Schauspieler spielen, sind meist keine Offenbarung, so auch hier. Überhaupt war die darstellerische Leistung mit wenigen Ausnahmen nicht das, was in Erinnerung bleiben wird von diesem Abend, eher schon die kluge Ergänzung der Handlung durch Musik, ersonnen von David Kosel.
Trotz des Premierenjubels am Ende: Das Stück lebt wie wenig andere von der Präsenz der Haupt- und Titelfigur, und da blieben Wünsche offen. Dass Mephisto von einer Frau gespielt wird, ist ungewöhnlich, aber prinzipiell kein Problem, auch Lulu war in Dresden gegen die Norm besetzt, und dies gelang großartig. Aber hier war der Transformationsaufwand bei den Zuschauenden oftmals sehr groß. Nadja Stübiger wirkte zu häufig als Frau, die einen Mann spielt statt als Höfgen, der jede Rolle spielt, die man gerade von ihm erwartet, einer für alle, je nach Situation. Stark war sie vor allem als Mephisto, aber ihr Hendrik Höfgen erreichte mich selten.
Es ist im Stück nicht angezeigt, dass sich andere Figuren mehr als die Hauptrolle profilieren. Selbst Rolf Hoppe war im berühmten Film nur ebenbürtig zu Brandauer, die letzten mir bekannten Mephisto-Darsteller Ahmad Mesgarha (2005 in Dresden) und Thomas Schmauser (neulich an den Münchner Kammerspielen) waren in einer eigenen Spiel-Klasse unterwegs.
Hier jedoch gelang es Christine Hoppe (originellerweise die Tochter des erwähnten Rolf), aber auch Anna-Katharina Muck und (in der Rolle des Ministerpräsidenten) Hans-Werner Leupelt, in die Lücken hinein eigene Glanzlichter zu setzen. Bei letzterem muss man allerdings auch darauf hinweisen, dass seine beiden Theaterleiter zuvor bestenfalls kabarettistisch zu akzeptieren waren.
Marin Blülle hatte eine sehr starke letzte Szene als vom Führer enttäuschter Nationalsozialist, Viktor Tremmel war als Kulturfunktionär hinreichend schmierig. Alles andere blieb im Schwarz-Weiß-Klischee hängen, aber zumindest Nikolai Gemel vermochte diesem ein bisschen Leben einzuhauchen und hatte einen großartigen Abgang aus dem Saal heraus.
Wenn die Schauspielkunst nicht zufriedenstellt, hat das vor allem mit dem Regisseur zu tun. Nicolai Sykosch besitzt eine gute Hand für das Komödiantische, Stücke mit größerer Tiefe sind seine Sache offenbar nicht. Das wurde schon beim Besuch der alten Dame schmerzlich deutlich und war diesmal nicht viel anders. Hier braucht es auch einen ernsthaften spielerisch-dramatischen Zugriff, der die doppelten Böden offenlegt, es reicht nicht, das nur über den Text zu transportieren.
Das Stück-Ende hingegen war mit dem plötzlichen Abbruch des Dialogs zwischen Höfgen und seiner früheren Frau Barbara in die Dunkelheit effektvoll gesetzt, auch wenn das meine „geniale Stelle“ (Schmauser ruft verzweifelt „Text!“ am Ende) nicht erreicht. Immerhin hab' ich mich dabei auch an das Ende der letzten Dresdner Inszenierung von vor 20 Jahren erinnert, Holk Freytag ließ da unterschiedliche Paare zum Durchhalteschlager „Davon geht die Welt nicht unter“ walzern, auch dies war also sehr einprägsam.
Wenn wir schon beim Loben sind: Auch der Probenbesuch des unschwer als Göring zu erkennenden „Männe“ der Reichshauptrolle-weiblich gehörte zu den Höhepunkten der jetzigen Inszenierung. Erstaunlich urtextsicher leitete jener her, warum Mephisto auch zu den deutschen Heroen zähle, dies aber nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit gewürdigt werden dürfe.
Erwähnenswert war (nach der anfänglichen Sparsamkeit) noch die Bühne von Stephan Prattes, vor allem die Spiegelung des Blicks an der vierten Wand und die damit erzeugte Illusion, vom Zuschauersaal aus in den selbigen Saal des großen Hauses zu schauen. Die textlichen Ergänzungen (vermutlich von der Dramaturgin Sophie Scherer) z.B. zur Homophobie legten Spuren ins Heute, auch das fand ich gelungen.
Überhaupt war für mich erneut erschreckend, wie aktuell dieses Stück ist. Sind wir in einer ähnlichen Situation wie vor 95 Jahren? In München mag das noch ein Gedankenexperiment gewesen sein, in Sachsen und den anderen östlichen Bundesländern ist das eine realistische Variante.
Reichlich Stoff zum Nachdenken liefern – diese Aufgabe eines Theaterabends wurde ungeachtet der kritischen Anmerkungen voll erfüllt. Ich empfehle, sich selbst eine Meinung zu bilden.
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Mephisto am Staatsschauspiel Dresden | Foto (C) Sebastian Hoppe
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Sandro Zimmermann - 7. September 2025 ID 15446
MEPHISTO (Schauspielhaus, 06.09.2025)
nach dem Roman von Klaus Mann
Fassung: Sophie Scherer und Nicolai Sykosch
Regie: Nicolai Sykosch
Bühne: Stephan Prattes
Kostüme: Britta Leonhardt
Musik: David Kosel
Musikalische Einstudierung: Thomas Mahn
Choreografie: Björn Helget
Lichtdesign: Andreas Barkleit
Dramaturgie: Sophie Scherer
Besetzung:
Hendrik Höfgen ... Nadja Stübiger
Oskar Kroge/ Professor/ Ministerpräsident ... Hans-Werner Leupelt
Dora Martin ... Christine Hoppe
Otto Ulrichs ... Oliver Simon
Hans Miklas ... Marin Blülle
Barbara Bruckner ... Henriette Hölzel
Nicoletta von Niebuhr ... Josephine Tancke
Julien Martens ... Nikolai Gemel
Theophil Marder/ Benjamin Pelz ... Viktor Tremmel
Lotte Lindenthal ... Anna-Katharina Muck
Premiere am Staatsschispiel Dresden: 6. September 2025
Weitere Termine: 15., 24.09./ 05., 24.10./ 11., 28.11./ 20.12.2025
Weitere Infos siehe auch: https://www.staatsschauspiel-dresden.de
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