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Premierenkritik

Forever Yin Forever Young

Kuttner & Kühnel spülen in ihrer Revue am Deutschen Theater den Berliner Kult-Liedermacher Funny van Dannen weich

Bewertung:    



Die letzte große Premiere am Deutschen Theater in der Intendanz von Ulrich Khuon ist eine weitere Inszenierung des Regieduos Jürgen Kuttner & Tom Kühnel. Ein Abend mit Texten und Songs des Liedermachers, Schriftstellers und Malers Funny van Dannen. Eine Berliner Institution der Underground-Musikszene, dessen stets mit ironischem Understatement zur Gitarre vorgetragenen Songs Kultcharakter besitzen. Kuttner kennt den Künstler aus der Berliner Volksbühne, wo Funny van Dannen seit Jahren stets ausverkaufte Konzerte gibt. Nun haben ihm Kuttner & Kühnel eine zweieinhalbstündige Hommage gewidmet. Dazu hat Jo Schramm in den Kammerspielen des Deutschen Theaters eine zunächst schmucklose Berliner Häuserzeile auf die Bühne gestellt, die mit Videoprojektionen zum Leben erweckt wird und wechselnd einen typischen Späti, Friseursalon, ein Kiezkino, Kabarett oder Café zeigt. Es geht auch szenisch durch die Jahre vom alten Westberlin der 1980er über die Wende bis in die heutige Zeit. Der Kiez erfährt so eine für Berlin typische Gentrifizierung, was sich auch in den Kostümen (Daniela Selig) des Abends widerspiegelt. Aber auch einen Ausflug in die goldenen 20er Jahre mit gewendelter Revuetreppe oder Swinging Feefties mit Stepptanz gönnt sich der Abend.

Kenner werden sich nun sicher fragen, ob so eine, auch musikalisch durch neue Arrangements der Songs mit einer Liveband (Luka Fröhlich, Jan Stolterfoht aka Jan Pelao und Matthias Trippner) aufgepeppte Revue überhaupt zum eher unglamourösen Auftreten des Alt-Kreuzbergers Funny van Dannen passt. Darüber liese sich natürlich trefflich streiten. Der Künstler, selbst im Publikum anwesend, schien aber am Ende ganz einverstanden und glücklich mit dem Abend. Jürgen Kuttner ist ja eher für seine Video-Schnipseleien an der Berliner Volksbühne oder die immer auch politischen Inszenierungen älterer Stoffe von Peter Hacks über Bertolt Brecht bis Heiner Müller bekannt. Er bietet hier einen von viel Melancholie, diversen Kuriositäten und dem recht abseitigen Humor der Funny-Songs geprägten Abend, der erstaunlich undramatisch daherkommt.

Schon der Beginn mit dem sehr unterspannten Vortrag der Funny-Hymne Schilddrüsenunterfunktion über einen etwas antriebsschwachen Zeitgenossen von Felix Goeser gibt dem Abend die Richtung. Und auch Maren Eggert als Kiezfigur Ilona nölt vorm Späti erstmal, dass das Leben Scheiße ist und sie das Theater mit seinen Dramen und Emotionen nicht interessiert. Der Abend vereint Texte aus Songs und Büchern von Funny van Dannen quer durch sein Schaffen von den 1980er Jahren bis in die Gegenwart. Am Tisch vor dem Späti treffen sich die verschiedensten Kiez-Typen zu Bier oder Bio-Limo. Kuttner gibt den Späti-Verkäufer und schwingt den Besen, hält sich ansonsten aber zurück außer einiger Textpassagen im gewohnten Ansagemodus an der Rampe. Motto: Alle müssen’s tun!

Das Ensemble, zu dem auch noch Jörg Pose, Kotbong Yang und Ole Lagerpusch gehören, trägt in einigen Solos auf der Straße vor dem Späti live gesungene Songs vor, und auch kleine unspektakuläre Spielszenen, die den Witz der Vorlage mehr schlecht als recht wiedergeben. Die Liveband begleitet die bekannten Songs wie Ich bin nicht mehr jung, Herzscheiße, Homebanking, Adele Tschüssikowski oder Wo kommen die Gedanken her, als wären sie Chansons oder Popsongs, was in deutscher Sprache wie Schlager klingt, immer etwas zu weichgespült. Da hört man bei Maren Eggert auch mal ABBA durch. Die Krönung ist natürlich ein Auftritt des gesamten Ensembles in Nana-Mouskouri-Kostümen zum gleichnamigen Kultsong, der mit viel Gelächter und Szenenapplaus bedacht wird.

Big Band mit Bläserbegleitung oder Nirvana mit E-Gitarre kann das Musikertrio aber auch. Nach der Pause dreht der bis dahin etwas zu launige Abend etwas mehr auf. Da gibt es neben Showeinlagen auch ein paar Brüche. Sehr schön das Battle zwischen Glitzergirl-Reihe und Waschbrettschrammeln bei den parallel vorgetragenen Songs Ich will den Kapitalismus lieben und Umsturz. Hier legt der Abendn Finger in die Wunde der Altachtundsechziger, die es sich in ihrer Weltverbesserungattitüde bequem gemacht haben und zumeist auch nicht realisiert haben, dass der Osten etwas anders tickt. Alt-Linker West und Ost treffen sich hier zum Abgesang auf die gute alte Zeit, die bei Funny van Dannen einfach nur vergeht. Ein Licht für die Bösen und eins für die Demokratie gibt es natürlich auch, womit der Abend in der Gegenwart ankommt und mit Unruhe etwas an der Selbstgefälligkeit kratzen will.

Dann wird aber wieder ordentlich weichgespült mit Harfenklängen und den Schwänen im Urbanhafen. Da darf jeder nochmal an die Rampe zum sentimental-nostalgischen Potpourri. Das Anarchische des Originals, das sich und alle anderen gern ironisch auf die Schippe nimmt, wird hier leider verschenkt. Und als Felix Goeser anfängt zu rocken, fragt man sich nur: Geht jetzt was los, oder ist das schon die Zugabe? Die kommt dann natürlich auch noch. Forever Yin Forever Young. Wer hätte das gedacht. Die Fans werden das natürlich lieben. Großer Jubel beim Premierenapplaus.



Forever Yin Forever Young am DT Berlin | Foto (C) Arno Declair

Stefan Bock - 2. April 2023
ID 14130
FOREVER YIN FOREVER YOUNG (Kammerspiele des DT, 31.03.2023)
Regie: Tom Kühnel & Jürgen Kuttner
Bühne: und Video Jo Schramm
Kostüme: Daniela Selig
Musik: Matthias Trippner
Dramaturgie: Claus Caesar
Mit: Maren Eggert, Felix Goeser, Jörg Pose, Kotbong Yang, Jürgen Kuttner und Ole Lagerpusch sowie auf die Live-Band mit Luka Fröhlich (Cello, Trompete, E-Bass), Jan Stolterfoht aka Jan Pelao (E-Gitarre, Akustikgitarre) und Matthias Trippner (Drums, Bass, Keyboards)
UA am Deutschen Theater Berlin: 31. März 2023
Weitere Termine: 06., 16., 22.04.2023


Weitere Infos siehe auch: https://www.deutschestheater.de/


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