Broadway-Stück
zum Thema KI
in der Literatur
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Der Fall McNeal mit Ulrich Matthes - am Deutschen Theater Berlin | Foto (C) Thomas Aurin
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Bewertung:
In den USA protestierten 2023 mehr als 8.000 Schriftstellerinnen und Schriftsteller gegen die unentgeltliche Nutzung ihrer Werke für die Entwicklung künstlicher Intelligenz. Dass sie diese KI-Module selbst auch nutzen, unterstellt der preisgekrönte US-amerikanische Autor Ayad Akhtar in seinem 2024 am Broadway uraufgeführten Theaterstück Der Fall McNeal, das seit 2025 an deutschensprachigen Bühnen als „Stück der Stunde“ läuft. Nun also auch zum Spielzeitbeginn am Deutschen Theater Berlin in der Regie von András Dömötör. In der Rolle des alternden Schriftstellers ist hier Schauspielstar Ulrich Matthes zu sehen. Und schon zu Beginn sehen wir am Vorhang, wie McNeal eine KI fragt, wie seine Chancen, den Literaturnobelpreis zu bekommen, stehen. Die ausweichende Antwort des von ihm als „ChatBot-Arschloch!“ bezeichneten Moduls befriedigt den durch langjährigen Alkoholkonsum an fortschreitender Leberzersetzung Leidenden nicht. Dennoch erhält er noch in der Praxis seiner Ärztin (Julia Gräfner) den Anruf aus Stockholm.
Dieser Jacob McNeal ist kein besonders angenehmer Zeitgenosse. Ein charmantes „Arschlosch“, wie er sich in einem Interview mit einer jungen schwarzen Journalistin der New York Times (Mercy Dorcas Otieno) selbst bezeichnet. Er ist selbstsüchtig und hat seine Frau in den Selbstmord getrieben, behauptet sein Sohn Harlan (Andri Schenardi). Außerdem wirft dieser ihm bei einem hochemotionalen Treffen der beiden vor, den unveröffentlichten Roman der Mutter nach deren Tod unter eigenem Namen herausgebracht zu haben. McNeal, erfahren wir weiter im Stück, schlachtet gern Erlebnisse aus den Beziehungen zu seinem Sohn, seiner verstorbenen Frau und auch einer kurzen Affäre mit einer ehemaligen Redakteurin bei der New York Times (Evamaria Salcher) aus. Nachdem er bei seiner Nobelpreisrede Shakespeare als hehres Beispiel für die Kreativität eines Autors, an das eine KI nie heranreichen wird, gewürdigt hat, beginnt er für einen neuen Roman selbst mit einem solchen Sprachmodell zu spielen. In digitalen Einblendungen sieht das Publikum auch die Werke und Briefe, die McNail dazu nutzt und von der KI in seinem Stil umschreiben lässt.
Man muss wissen, dass Ayad Akhtar für dieses Stück selbst eine KI genutzt bzw. imitiert hat, wie es heißt. Zur Güte des Textes lässt sich sagen, dass der Autor vermutlich einige Buzzwords wie alternder weißer Schriftsteller, Alkoholmissbrauch, Psychopharmaka, Selbstmord, zerrüttete Familienverhältnisse, sexueller Missbrauch und MeToo in die Maschine eingegeben haben muss. Herausgekommen ist ein etwas überladenes Konstrukt, das auf einige Diskurse der jüngsten Zeit eingeht, aber eben doch einen recht vorhersehbaren, zugegeben recht well-made geschriebenen Plot hat. Wirklich menschlich nahe kommt man diesem Typus McNeal nicht, obwohl ihn Ulrich Matthes recht einfühlsam zunächst in seiner Selbstherrlichkeit und später im Alkohol gebrochen präsentiert.
Die Darstellung der Nebenfiguren wie etwa die der ihren Literaturstar umsorgenden Agentin (Anja Schneider) oder des hochneurotischen Sohns kommt dabei etwas zu kurz und landet im Klischee. Erfrischend ist zumindest das Interview mit der jungen schwarzen Journalistin. Entblättert McNeal doch hier unter Einfluss von zu viel Whisky seine wahre Natur mit leicht rassistisch zu wertenden Einlassungen und seiner Haltung zum Produzenten Weinstein. Sein Charme wirkt zunehmend etwa ranzig, und auch das Ende mit den Enthüllungen seiner Exgeliebten lässt ihn ziemlich alt aussehen. Das alles ist mehr die Charakterstudie eines scheiternden Schriftsellers, der seinem baldigen Lebensende entgegensieht. Die digitalen Überblendungen (Video: Zsombor Czeglédi) auf die mal naturalistisch dann wieder futuristisch wirkenden Bühnenräume von Julia Plickat und Ann-Christine Müller oder die Großaufnahmen der Gesichter der DarstellerInnen machen dann auch kein wirkliches Stück zum aktuellen Thema KI-Nutzung daraus.
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Der Fall McNeal am Deutschen Theater Berlin | Foto (C) Thomas Aurin
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Stefan Bock - 27. September 2025 ID 15480
DER FALL MC NEAL (Deutsches Theater Berlin, 26.09.2025)
von Ayad Akhtar
Regie: András Dömötör
Bühne: Julia Plickat und Ann-Christine Müller
Kostüm: Almut Eppinger
Musik: Tamás Matkó
Video: Zsombor Czeglédi
Licht: Matthias Vogel
Dramaturgie: Karla Mäder
Mit: Ulrich Matthes, Julia Gräfner, Anja Schneider, Andri Schenardi, Mercy Dorcas Otieno und Evamaria Salcher
Premiere war am 26. September 2025
Weitere Termine: 03., 05., 10., 19.10.2025
Weitere Infos siehe auch: https://www.deutschestheater.de/
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