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Premierenkritik

Im Kopf von

Arthur

Schopenhauer



Atlantis - die Welt als Wille und Vorstellung am Staatsschauspiel Dresden | Foto (C) Sebastian Hoppe

Bewertung:    



Nichts weniger als das Opus magnum des Philosophen Arthur Schopenhauer (1788–1860), Die Welt als Wille und Vorstellung, hat sich der Regisseur Sebastian Hartmann für seine neue Arbeit für das Staatsschauspiel Dresden vorgenommen. In Zusammenarbeit mit dem Komponisten und Musiker PC Nackt entstand der Musik-Theaterabend Atlantis - die Welt als Wille und Vorstellung, der Schopenhauers vierbändiges Werk als Vorlage für eigene Reflexionen der beiden Künstler nimmt. Atlantis ist da wohl eher Arbeitstitel, der sich sonst nicht wirklich bei Schopenhauer wiederfindet. Außer dass sich die Beteiligten hier ihr eigenes Atlantis als Kunstort erschaffen wollen. Der Abend soll, laut Dramaturg Jörg Bochow, „einen sinnlichen Bezug zu den Denkfiguren Schopenhauers“ schaffen und „eigene Kontexte und Sprachbilder“ eröffnen. Dazu haben Sebastian Hartman und PC Nackt eine Art Libretto mit zum Teil paraphrasierten Zitaten aus dem Originaltext und eigenen Texten geschrieben. Die Vertonung von PC Nackt wirkt dabei durchkomponiert wie bei einer Oper. Allerdings gibt es weder Figuren noch eine konkrete Handlung, was eigentlich auch typisch für die Herangehensweise von Sebastian Hartmann an Werke der Klassischen Literatur ist.

Mit Hilfe von Text, Spiel, Musik (PC Nackt), Bühne (Sebastian Hartmann), Kostümen (Adriana Braga Peretzki), Lichtdesign (Lothar Baumgarte) und animierten Videoprojektionen (Tilo Baumgärtel) soll ein Gesamtkunstwerk zwischen Darstellender und Bildender Kunst entstehen. Das ist den Beteiligten in Bezug auf die ästhetische Wirkung im Großen und Ganzen auch gelungen. Allein was Text und Spiel betrifft hat der Abend dann doch so seine kleinen Schwächen. Es beginnt mit dem Auftritt des alleinigen Live-Musikers PC Nackt, der einen unsichtbaren Begleiter an eines der beiden Klaviere an der Bühnenrampe führt. Eine Art mechanisches Piano, das der Musiker auf dem anderen Instrument mit bedient. Der zweite Auftritt des Abends gehört dem Schauspieler Torsten Ranft, der genüsslich einen Satz aus Schopenhauers Werk Wort für Wort in Wiederholungen entstehen lässt. „Es ist schlimm, wenn man nicht von Grund auf aus originell sein und aus ganzem Holze schneiden darf.“ Diese Originaltextstücke sind im Libretto, dass im Programmheft abgedruckt ist, meist in Versalien oder kursiv gehalten. Wir befinden uns da zu Beginn gleich mitten in Schopenhauers Abhandlungen „Ueber den Tod und sein Verhältniß zur Unzerstörbarkeit unsers Wesens an sich“. Ein Philosophieren über das „Entstehn und Vergehn“ und was so nach dem Tode sei, von den antiken Quellen über den indischen Buddhismus bis zum Neuen Testament.

Irgendetwas von Weihefestpiel hat das Ganze auch, wenn die drei Schauspieler (Marin Blülle, David Kosel, Torsten Ranft) und drei Schauspielerinnen (Kriemhild Hamann, Sarah Schmidt, Nadja Stübiger), in schwarzen Mönchsgewändern die Männer, in klassisch-antiken weißen Plissee-Kleidchen die Frauen, über die Bühne huschen. Hartmann hat dazu eine wie ein Gehirn gewundene Metallrohrkonstruktion auf die Bühne gestellt. Vielleicht so eine Art stilisierter übergeordneter Weltwille. Schopenhauers Ideen vom alles beeinflussenden Willen und der Welt, die der Mensch nur durch die eigene Vorstellung wahrnimmt, wabern auch durch den Text. Aber vor allem Schopenhauers Naturbetrachtungen mit der Einbeziehung der Tier- und Pflanzenwelt, die Beziehung von Objekt und Subjekt und seine erkenntnistheoretischen Gedanken bestimmen die einzeln und chorisch vorgetragenen bzw. zur Musik von PC Nackt gesungenen Texte. Da ist vom Rochen auf dem Meeresgrund weit weg des Menschenjammers oder vom All und schwarzen Löchern die Rede.

Dazu wird recht statisch von links nach rechts geschritten oder getänzelt. Da hat man bei Sebastian Hartmann schon mal mehr Bewegung gesehen. Der Menschenjammer scheint es dem Regisseur aber besonders angetan zu haben, wenn da „leidend an der Weltstruktur / bleiben mir die Fragen nur / brennend Herz und Fragezeichen / keine Antwort von den Leichen“ gereimt wird. Auch Schopenhauers Ethik, die sich im Mitleiden am Elend des Anderen zeigt, wird hier zumindest szenisch dargestellt. Insoweit hält sich Hartmann an die vier Bereiche von Schopenhauers Werk. Einen roten Faden, der das Publikum durch den Abend führen könnte, verweigert Hartmann aber ebenso wie eine schlüssige Antwort. Schopenhauer weist den Weg aus dem Leiden am Leben und triebhaften Handeln in der Beschäftigung mit der Kunst. Eine Art Askese, durch die der Wille temporär ausgeschaltet werden kann. Wenn man das beherzigt, kommt man ganz gut durch den ca. 100-minütigen Abend, der zwar nicht bildend aber doch bildhaft noch einiges zu bieten hat.

Besonders die animierten Videos oder die mittels Livekamera von der Decke gefilmten, auf der Bühne liegenden DarstellerInnen, die auf verschiedene Gazebenen projiziert etwas Dreidimensionalität in den ansonsten inhaltlich etwas flachen Abend bringen. Zur recht sphärischen ansonsten doch eher rythmusarmen Musik ist nur so viel zu sagen, dass sie nicht stört, solange sie sich nicht allzu bombastisch gefühlig aufdrängt. Nicht zwingend ein Meisterwerk, aber recht eindrucksvoll dargeboten. „Die mächtigste Kunst unter Allen“, wie die Musik mal im Text bezeichnet wird, soll hier den Willen selbst darstellen. Ein „Medium der Fantasie/ das wahre Wesen der Dinge“. Da wabert auch ein wenig Wagner mit durch den Raum, dem dann auch mal Stille gegönnt wird. Letztendlich ist der Abend ein Kunstgebilde, das sich selbst als „Wave“ versteht. Die Welt als Wille zur Welle.



Atlantis - die Welt als Wille und Vorstellung am Staatsschauspiel Dresden
Foto (C) Sebastian Hoppe

p. k. - 1. Februar 2024
ID 14582
ATLANTIS - DIE WELT ALS WILLE UND VORSTELLUNG (Staatsschauspiel Dresden, 27.01.2024)
Ein Musik-Theaterabend von Sebastian Hartmann und PC Nackt

Regie und Bühne: Sebastian Hartmann
Kostüme: Adriana Braga Peretzki
Komposition und musikalische Leitung: PC Nackt
Animation: Tilo Baumgärtel
Lichtdesign: Lothar Baumgarte
Tondesign: Julian Preißer und Torsten Staub
Live-Kamera: Christian Rabending
Dramaturgie: Jörg Bochow
Mit: Marin Blülle, Kriemhild Hamann, David Kosel, Torsten Ranft, Sarah Schmidt, Nadja Stübiger und PC Nackt
Premiere war am 27. Januar 2024.
Weitere Termine: 29.02./ 08., 26.03.2024


Weitere Infos siehe auch: https://www.staatsschauspiel-dresden.de/


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