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nachDRUCK # 6

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Uraufführung

An der Berliner Schaubühne

skizziert Falk Richter

als Autor und Regisseur von

Bad Kingdom eine müde

Gesellschaft von Einzelwesen

im andauernden

Krisenbewältigungsstress

Bewertung:    



Nach dem sehr persönlichen Stück The Silence bringt Falk Richter nur drei Monate später an der Berliner Schaubühne auch sein neuestes Stück Bad Kingdom selbst zur Aufführung. Wie bereits erwähnt zeitgleich zur Premiere von René Polleschs neuem Stück ja nichts ist ok an der Berliner Volksbühne. Und wie im von Pollesch für Fabian Hinrichs geschriebenen Monolog geht es auch in Bad Kingdom um die Verzweiflung von Stadt-BewohnerInnen an ihrer Einsamkeit und den immer komplizierter werdenden zwischenmenschlichen Beziehungen in Zeiten großer Verunsicherungen durch Kriege und Krisen aller Art. Da lassen sich durchaus einige Parallelen ziehen.

Wie der sich einsam fühlende Paul an der Volksbühne tritt auch mit Kay Bartholomäus Schulze an der Schaubühne ein hier 55-jähriger desillusionierter Mann auf, dem nachts allein in einem langen Einstiegs-Monolog das Wort Einsamkeit groß vor den Augen erscheint und maskierte Gestalten wie Gespenster als verschiedene verpasste Möglichkeiten seiner selbst begegnen. Einsamkeit, Depression, Schmerz und Krisenbewältigungsmüdigkeit sind die Schlagworte dieses leisen, ernsten Einstiegs in einen dann doch über zweieinhalb Stunden sehr pointenreich beredten Abend, der mit mehreren verschiedenen Figuren immer wieder um die Themen dieser Eingangssequenz kreist.

Da sind zunächst der Filmregisseur Michael (Marcel Kohler) und sein Freund Jakob (Martin Bruchmann), ein Musiker, der ein Soloalbum machen will, aber nicht in der Lage ist einen einzigen Song fertig zu schreiben. Michael sitzt dagegen vor Ideen strotzend mit einer Produzentin (Jule Böwe) zusammen und pitcht seine neueste Film-Idee mit dem vielsagenden Titel Die Stunde da wir nichts voneinander wissen wollten - 71 Fragmente der Einsamkeit. Ein Mix aus der Abwandlung eines Stücktitels von Peter Handke und eines Filmtitels von Michael Haneke. Sehr fragmentarisch baut Falk Richter dann auch sein Stück aus einzelnen kurzen Spielszenen zusammen.

Da es die Produzentin etwas dramatischer will, spinnt Michael die Story mit immer mehr ProtagonistInnen weiter. Ursina Lardi spielt die sich ebenfalls einsam fühlende Komponistin und Pianistin Viola Brahms, die nachts in den sozialen Medien unterwegs ist und zu Posts über Krieg und Gewalt Kommentare abgibt, wovon ihr ihre Managerin (Hêvîn Tekin) vor einem wichtigen Interview-Termin dringend abrät, um keinen Shitstorm auszulösen oder gecancelt zu werden. Auch hier tun sich Parallelen zu Polleschs Stück auf. Das Internet als Katalysator für die Radikalisierung und Polarisierung von Meinungen. Im Gegensatz zu René Pollesch buchstabiert Falk Richter diese Thesen aber mehrfach in seinem Stück aus. Etwa wenn er Hêvîn Tekin als Tik-Tok-Influencerin Ive Blue auftreten und über den Zusammenhang von Einsamkeit und Einflussnahme von Rechten im Netz zu ihren Followern sprechen lässt. An andere Stelle referiert sie über die Nutznießer kriegerischer Konflikte in der Welt und empfiehlt in Rüstungsaktien von Rheinmetall zu investieren.

Natürlich haben alle diese Figuren massig Probleme mit Einsamkeit und dem Führen von Paar-Beziehungen. So neigt Ive zu Gewalt beim Sex, worauf sich ihr Lover (Diyar Ilhan) von ihr distanziert und dann wieder vor der Kamera Michaels in einer Bettszene auftritt und seinen an körperlichen Kontakten sichtlich desinteressierten Sexpartner (Martin Bruchmann) bittet ihn küssen zu dürfen. Mit dem Sex und dem einfühlsamen Körperkontakt ist das hier so eine Sache. In Videoaufnahmen mit den verschiedenen Paaren fragt immer wieder ein/e Partner/in den/die andere/n, wo er/sie denn gerade beim Sex gedanklich sei. Etwas weniger fordernd gehen es da Jule Böwe und Kay Bartholomäus Schulze an. Da werden die Ansprüche an den Sex schon etwas runter geschraubt.

Vor einer Burgkulisse (Bühne: Katrin Hoffmann) mit Zinnen und einer Sitzecke, in der sich dieser Art Gesprächsszenen abspielen, während in zwei Kabinen am anderen Bühnenrand die Filmszenen live gedreht werden, treibt Autor und Regisseur Richter sein Ensemble mit viel Witz immer wieder zu komödiantischen Höchstleistungen. Emotional wird es in den live gesungenen Songs von Martin Bruchmann am Piano, oder wenn Jule Böwe in rotem Galakleid als sich nach Liebe sehnende Skriptdoktorin Brit Nothing left to lose singt. Surreal wird es, wenn die Komponistin Viola Brahms allein in einen Club ausgeht und dabei lauter Monstern, die mit sich beschäftigt auf Handys starren, begegnet. Bei einer wenig motivierten Paartherapeutin (Ursina Lardi) fordert Michael dann von Jakob auch lauthals statt des andauernden „Ich, Ich, Ich“ endlich ein Wir. Aus ihrer Rolle aussteigend referiert Ursina Lardi am Ende dann aus einem Text von Ariadne von Schirach über „Die psychotische Gesellschaft“ und den Unterschied von Zerstörung und Verwüstung, Natur und Mensch. Während sich Pollesch an der Volksbühne nach dem friedlichen Leben der Gliederfüßler vor 560 Millionen Jahren zurücksehnt, appelliert Richter an die Fähigkeit des Menschen mitzufühlen und sich ändern zu können. Raus aus der existentiellen Angst. Aber wer sich selbst nicht spürt, wird dazu nicht fähig sein. Ähnliches kann man sicher auch aus Hinrichs Soloabend an der Volksbühne destillieren.

Richters wie auch Polleschs Drama-Figuren waren schon immer am Rande der Neurose. Ein Boulevard-Theater mit lauter lose aus dem Leben der modernen Großstadt-Bewohner, soziologischen und philosophischen Abhandlungen sowie zunehmend auch aus den sozialen Medien skizzierten Thesenträgern, die mal mehr oder weniger an die Befindlichkeiten und Krisen der Gesellschaft andocken können. Zumindest unterhalten können die beiden Autoren und Regisseure in Personalunion damit ihr Publikum. Wer es etwas ausführlicher will, muss diesmal in die Schaubühne gehen.



Bad Kingdom von Falk Richter an der Schaubühne Berlin | Foto (C) Gianmarco Bresadola

p. k. - 18. Februar 2024
ID 14609
BAD KINGDOM (Schaubühne am Lehniner Platz, 15.02.2024)
von Falk Richter

Regie: Falk Richter
Bühne: Katrin Hoffmann
Kostüme: Andy Besuch
Musik: Daniel Freitag
Video: Sébastien Dupouey
Dramaturgie: Nils Haarmann
Licht: Erich Schneider
Mit: Diyar Ilhan, Jule Böwe, Martin Bruchmann, Marcel Kohler, Ursina Lardi, Kay Bartholomäus Schulze und Hêvîn Tekin
UA war am 11. Februar 2024.
Weitere Termine: 08., 09., 11., 12.03.2024


Weitere Infos siehe auch: https://www.schaubuehne.de


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