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nachDRUCK # 6

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PASSIONSSPIELE OBERAMMERGAU 2022

Passion,

Pest und

Pandemie

Wenn ein Gelübde hilft...


Bewertung:    



Mehr als die Hälfte dieses heißen Passionssommers hat Oberammergau inzwischen geschafft, fast alle Vorstellungen konnten gut besucht über die Bühne des Festspielhauses gehen. Nach der coronabedingten Verschiebung um zwei Jahre beinahe ein Wunder: denn Covid wütet noch immer. Inzwischen fallen sogar Bomben in Europa. Viele ausländische Besucher blieben aus. Die Parallelen zur Geburt des Passionsspieles 1633 während der Pest und mitten im Dreißigjährigen Krieg sind überdeutlich. Damals versprachen die Oberammergauer, alle 10 Jahre die Geschichte vom Leiden Jesu Christi aufzuführen, wenn niemand mehr an der Seuche stirbt. So kam es auch. Und heute?

*

Nun also die hoffnungsvolle 42. Version. Spielleiter Christian Stückl – seit 1990 unermüdlich tätig, trotz Herzinfarkt vor kurzem – hat seine Neuinszenierung in besonderem Maße auf die politische Situation bezogen. Das jüdische Volk leidet unter der römischen Besatzung, die religiöse Autorität, die „Amtskirche“, lässt sich zu ihrem Handlanger machen. Pontius Pilatus (Carsten Lück, Anton Preisinger) und der Hohe Priester Kaiphas (Andreas Richter, Maximilian Karl Stöger) sind vor allem gewiefte Politiker, die sich darin einig sind, dass ein Unruhestifter wie Jesus (Frederik Mayet, Rochus Rückel) gestoppt werden muss. Seine Predigten drohen die jüdische Gemeinde zu spalten. Sie schüren Widerstand gegen das ausbeuterische und gewalttätige Rom, wenn Jesus soziale Gerechtigkeit fordert. Aber sie kritisieren auch den saturierten Klerus, der weit entfernt ist von der Lebenswirklichkeit des Volkes. Doch keiner der Mächtigen will sich die Hände schmutzig machen. Pilatus möchte Jesus an Kaiphas loswerden, schließlich hat er ihn zur Kontrolle der Juden eingesetzt. Kaiphas übergibt den einheimischen Wanderprediger an Pilatus, weil er den Anschein der Volksverbundenheit und die eigenen Privilegien wahren möchte. Die Sympathien für Jesus Thesen in der eigenen Priesterschaft haben ihn zudem alarmiert. Am Ende wird Jesus gekreuzigt, weil weder Kaiphas noch Pilatus das Gesicht verlieren will.

„Ich sage euch: Leistet dem, der euch Böses tut, Widerstand! Doch tut es so: Wenn euch jemand auf die rechte Wange schlägt, dann haltet ihm auch die andere hin!“ - so Jesus zu den Jüngern. Was bedeutet ein solcher Satz heute angesichts der Situation in der Ukraine? Judas, der verratene Verräter (besetzt mit dem Moslem Cengiz Görür sowie dem Christen Martin Schuster), kann ihn jedenfalls nicht ertragen: „Ich diene Gott, aber ich diene nicht der Knechtschaft. Steht nicht geschrieben: Auge um Auge und Zahn um Zahn?“ Hier spricht das alte Testament. Jesus setzt ihm seine Botschaft der Gewaltlosigkeit und Nächstenliebe entgegen. Was denken wir heute darüber?

Jesus – so betont es Stückl in dieser Inszenierung – ist auch ein Mensch. Wie erscheint er dem Kreis seiner Familie? Seine Brüder wollen ihn zurück - zur Mitarbeit. Er selbst solle das vierte Gebot halten, Vater und Mutter zu ehren, statt dauernd nur zu predigen. Jakobus (Korbinian Freier) fragt: „Wann gibst du das Streunen auf? Wovon lebt ihr eigentlich? Von Almosen oder vom Geld dieser Frauen da!? Schande!“ Christian Stückl hat den Text sorgfältig und feinfühlig bearbeitet - mit hochkarätigen theologischen Beratern aller Konfessionen. So darf das Glaubensbekenntnis eine interessante Variante erfahren. Petrus (Martin Güntner) sagt nicht: „und führe uns nicht in Versuchung“, sondern: „führe uns IN der Versuchung“. Die Versuchung ist im Leben, man kann ihr nicht aus dem Weg gehen.

Fast überflüssig zu sagen, dass die Inszenierungen mit den Jahren immer perfekter und großartiger geraten sind – ungeachtet einfachster technischer Mittel in Oberammergau. Fast der ganze Ort (2:000 Einwohner von 4:000) steht auf der Bühne oder dahinter (etwa die Bühnenbauer). An den großen Szenen wirken bis zu 750 Laienspieler*innen mit. Dazu singt der Kirchenchor, im Orchestergraben spielen 80 Instrumentalisten, allesamt Einheimische. Die eindrucksvolle Musik, komponiert von Rochus Dedler aus dem 18. Jahrhundert, hat Markus Zwink kongenial ergänzt – auch er ist schon seit 1990 mit der musikalischen Leitung betraut. Dazu fantastische zweiminütige Überraschungs-Spotlights: eindrucksvolle lebende Bilder (wie der Tanz ums goldene Kalb, der Zug durch das rote Meer, der brennende Dornbusch), Inseln inbrünstiger Farbenpracht im Kontrast zu den wunderbar ein-tönigen Kostümen der Akteure in vielen staubgrauen und bräunlichen Nuancen. Das Bühnenbild und die Kostüme entwarf wieder einmal Stückls langjähriger Mitstreiter Stefan Hageneier.

* *

Ein sakrales Gesamtkunstwerk aus einem Guss in zwei Teilen von je zweieinhalb Stunden Dauer. Kein Vorhang, Beifall wird gespendet, aber nicht entgegengenommen. Was die Oberammergauer da leisten, ist einmalig in Deutschland.



Passionsspiele Oberammergau 2022 | Foto (C) Arno Declair

Petra Herrmann - 28. August 2022
ID 13770
Weitere Infos siehe auch: https://www.passionsspiele-oberammergau.de/


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