Das Einmaleins der
Immobilienspekulation
AUFSTIEG UND FALL DES RENÉ BENKO am Schauspiel Köln
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Bewertung:
Neuintendant Kay Voges und sein Team starten die Spielzeit am Schauspiel Köln mit einer Fülle von Produktionen, bei der man schon mal leicht den Überblick verlieren kann. Einiges hatte bereits an anderer Stelle Premiere, so auch Aufstieg und Fall des Herrn René Benko – weniger ein klassischer Theaterabend als eine Lecture Performance. Premiere war letztes Jahr am Volkstheater Wien, Voges’ vorheriger Wirkungsstätte, Gastspiele am Berliner Ensemble und eine Einladung zum Festival „Radikal jung“ in München folgten. In Köln passt die Aufführung gut in die zunächst auf fünf Jahre angelegte Zusammenarbeit mit dem Medienhaus CORRECTIV. Ziel ist es unter anderem, die Demokratie zu stärken und die Bühne für faktenbasiertes Erzählen zu öffnen.
Calle Fuhr, ebenfalls neu als Hausregisseur und Hausautor am Schauspiel Köln, hat es sich zur Aufgabe gemacht, dem Publikum die Tricks der Immobilienbranche nahezubringen. René Benko ist da ein Paradebeispiel: Mit dem Wunsch ausgestattet, reich zu werden, hat er früh eher geklotzt als gekleckert. Möglich war dies unter anderem durch beste Kontakte in die (österreichische) Politik, und zwar über Parteigrenzen hinweg. So fiel es ihm leicht, Kredite zu bekommen und aus erster Hand von der Verfügbarkeit erstklassiger Immobilien zu erfahren. Doch das riesige Immobilienimperium, das er unter dem Namen Signa Holding aufgebaut hat, blieb nicht auf Österreich beschränkt. In Deutschland ist der Name Benko vor allem mit der Übernahme der Kaufhausketten Karstadt und Kaufhof unter dem gemeinsamen Dach Galeria bekannt geworden. Und durch das furiose Scheitern dieses Projekts, das diese beiden großen Handelsnamen beinah komplett vom Markt verschwinden ließ. Sehr einfach, aber nicht weniger schmerzhaft zeigt Fuhr mit einer Art Hütchenspielertrick, wie es Benko und Konsorten darum ging, möglichst viel Immobilienwert zu erwirtschaften (oder auch vorzugaukeln) und dabei Mitarbeitende und Filialen auf der Strecke blieben – und das alles noch mit Corona-Zuschüssen in Höhe von mehreren Millionen Euro.
Konsorten ist hier ein gutes Stichwort, denn René Benko hat all dieses nicht allein vollbracht, sondern unter anderem auch mithilfe von namhaften Investoren, die offenbar nie genau gefragt haben, auf welchen Zahlen das Geschäftsmodell genau basiert. Daher geht es Fuhr nicht (nur) darum, Benko und dessen Vorgehen an den Pranger zu stellen, sondern zugleich zu verdeutlichen, wer noch im Boot (oder eben im Beirat und Aufsichtsrat) saß und dass dies jederzeit wieder geschehen kann.
Ausgestattet mit jeder Menge Material von DOSSIER, einem österreichischen Medium für investigativen Journalismus und Datenjournalismus, gelingt es Fuhr an diesem Abend dennoch, weit mehr als nur trockene Inhalte aufzubereiten. Da hilft es dann schon mal, dass er in die Rolle seines früheren Mathematiklehrers schlüpft, der erklärt, was es mit Miete, Leitzins und Inflation bei der Immobilienbewertung auf sich hat. Oder ein Einspielerfilm, der in der Optik ein wenig an die Fernsehserie Good Omens erinnert und veranschaulicht, wie das mit dem Geschäftsmodell der Signa und ihren Tochtergesellschaften funktioniert.
Dass Aufstieg und Fall des Herrn René Benko tatsächlich ständigen Anpassungen unterliegt, macht Fuhr deutlich, indem er gegen Ende den anwesenden rechtlichen Vertreter eines der Investoren der Signa Holding direkt adressiert und verspricht, Einlassungen von dessen Mandanten gerne in das Stück einfließen zu lassen. Fraglich, ob es dazu kommen wird.
Aufstieg und Fall des Herrn René Benko ist nicht nur ein Lehrstück über den Sinn und Zweck von Matheunterricht, sondern auch über Korruption, Betrug im ganz großen Stil und Luftbuchungen, und damit über weit mehr als nur das Schicksal von René Benko, von dem gar nicht so oft die Rede ist.
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Aufstieg und Fall des Herrn René Benko von und mit Calle Fuhr | Foto (C) Marcel Urlaub
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Karoline Bendig - 14. Oktober 2025 ID 15513
AUFSTIEG UND FALL DES HERRN RENÉ BENKO (Depot 1, 12.10.2025)
von und mit Calle Fuhr
Regie und Bühne: Calle Fuhr
Kostüm: Tina Prichenfried
Videoart: Lisa Rodlauer
Kurzfilm: Max Hammel
Ton: Christoph Priebe und Joschka Tschirley
Dramaturgie: Wiebke Rüter und Matthias Seier
Mit: Calle Fuhr sowie (im Video) Ashwien Sankholkar, Florian Skrabal, Julia Herrnböck, Georg Eckelsberger (DOSSIER-Redaktion), Lavinia Novwak, Matthias Seier, Kay Voges, Günter Wiederschwinger und der Stimme von Elias Eilinghoff
UA am Volkstheater Wien: 16. März 2024
Premiere am Schauspiel Köln: 3. Oktober 2025
Weitere Termine: 27.10./ 08., 09.11.2025// 29.04.2026
Eine Produktion vom Volkstheater Wie
Weitere Infos siehe auch: https://www.schauspiel.koeln/
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