Rastlos um
Ruhe bemüht
Neue Stücke von Leo Meier und Ferdinand Schmalz
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Fünf Minuten Stille von Leo Meier am Schauspiel Frankfurt | Foto © Laura Nickel
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Die Vorweihnachtstage und Weihnachten gelten als Zeit der Einkehr und Besinnlichkeit. In hektischer werdenden Zeiten mit täglich ausgerufenen Katastrophenmeldungen und weltweiten Krisen sehnen wir uns mitunter nach solchen Ruhemomenten, einem Verschnaufen oder einer Atempause. Im Zentrum gleich zweier neuerer Theaterstücke am SCHAUSPIEL FRANKFURT stehen postulierte Ruhezonen. Die Vermittler dieser Rückzugsräume werden mit unbequemen Zeitgenossen oder auch Eindringlingen und einhergehenden Stressmomenten konfrontiert.
In beiden Werken kommt dem Wasser als Element der Ruhe eine Bedeutung zu. Zu Beginn und am Ende von Leo Meiers Fünf Minuten Stille wird minutenlang auf einer bühnenbreiten Leinwand eine Unterwasserwelt mit Delfinen gezeigt. Die Bühne von Ferdinand Schmalz’ Sanatorium zur Gänsehaut. Eine Entfaltung ist hingegen von einer Wasserlandschaft umgeben, in die Akteure eintauchen oder auf der sie entlangwaten.
Die Figuren in beiden Werken möchten entspannen, zur Ruhe kommen und vorübergehend an nichts denken. Sie werden jedoch durch andere Figuren hartnäckig in Unterhaltungen und Auseinandersetzungen verwickelt. Ruhemomente sind dann in den Stücken rar gesät. Es gibt jeweils allerlei kuriose Verstrickungen und diverse Auseinandersetzungen. Ängste werden geschürt, Bündnisse werden gefestigt. Einzelne Charaktere berichten von haarsträubend abstrusen Schicksalen. Die Gemeinschaft schließt alsbald eine Person aus. Beide Stücke beginnen und enden szenisch mit der gleichen Ausgangssituation. In beiden Werken kommt schlussendlich Tieren eine tragende Bedeutung zu.
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Eine Figur (Sebastian Reiß) ruft zum Publikum hin aus, man wolle gemeinsam feierlich einmal fünf Minuten die Stille genießen. Eine der ersten Figur Unbekannte (Nina Wolf) ist ganz begeistert und begrüßt diese Idee enthusiastisch, ausgerechnet mit einem Redeschwall. Beide überlegen laut, warum es so gut ist, einfach mal gemeinsam minutenlang innig zu schweigen. Spätestens als dann doch die Stille eingeleitet wird, mokiert sich eine dritte, den anderen beiden unbekannte Figur (Stefan Graf) darüber, dass die Sekunden der Stille laut mitgezählt werden.
Insbesondere die weibliche, namenlos bleibende Figur wirkt ein bisschen aufgedreht. Von der Frau erfahren wir, dass sie zu dem Event mit dem alten Mercedes ihres Vaters angereist ist, um den sie trauert. Dem über 80-Jährigen wurde ihr zufolge beim Surfen in Australien von einem Hai der Kopf abgebissen. Die beiden Männer bekunden ihr Beileid. Durch Rückfragen eines der beiden Männer glaubt die Frau jedoch, dieser würde ihr Vorwürfe machen. Sie beginnt sich dafür zu rechtfertigen, dass sie ein wenig umweltschonendes Auto fährt und ihr betagter Vater eine so weite Flugreise zum Surfen auf sich genommen hat. Den anderen der beiden Männer belustigt die schier unglaubliche Geschichte ein bisschen. Er prustet mit dem Rücken zu den anderen beiden los, als er erfährt, dass der vom Hai Geköpfte ausgerechnet auch noch Heiner hieß. Der Frau erscheint dieses Lachen pietätlos.
In der Dreier-Konstellation bilden sich so laut ausgefochtene Schlagabtausche und in den Konflikten wechselnde Bündnisse. Die Gründe für die Konfrontationen und die Argumentationslinien scheinen schier hanebüchen und an den Haaren herbeigezogen. Themen wie Rentenpolitik, die Klimakrise und Umweltschutz werden dabei oberflächlich und krude gestreift. Es wird dann jedoch noch kurioser. Die Frau möchte aus Wut über die beiden Anwesenden abreisen. Doch die Tür scheint verschlossen, was die Akteurin Nina Wolf in Nora Schreibers spärlich mit wenigen Requisiten ausgestatteten, ebenerdigen Bühne durch Gesten ausdrückt. Einer der Männer gesteht, dass er die Tür aus Sicherheitsgründen abgeschlossen hat, den Schlüssel jedoch nicht mehr findet. Die anderen beiden erschrecken sich und sind sichtlich erbost.
Schlussendlich scheint dieses Eingeschlossensein jedoch nicht mehr verkehrt, denn die Frau erinnert sich, dass womöglich draußen lebende Zombies verkehren (!). Sie warnt die anderen beiden vor diesen. Die drei überlegen sich ängstlich, mit welchen Tricks sie den Zombies begegnen können. Wir erleben einen der beiden Männer beim mehr gewollt als gekonnten Breakdance, den anderen beim Singen einer Werbespot-Melodie und die Frau beim wiederholten Radschlagen über die gesamte Bühnenebene. Ausgelassen feiert das Trio seine Fähigkeiten. Das absurde Szenario gipfelt danach in Zärtlichkeiten, wenn einer der Männer sein Haupt unter der Maske eines Rotkehlchen-Kopfes versteckt. Auf Wunsch der anderen beiden, wird das Rotkehlchen in Gedenken an den Vater der Frau Hannelore Heiner getauft. Ella Haid-Schmallenbergs etwa 70-minütige Inszenierung von Leo Meiers skurrilem Stück endet mit der Frage, ob die Frau trotz der Zombies ihr Verdeck offen gelassen haben könnte. An Stille ist da schon lange nicht mehr zu denken.
Bewertung:
Ferdinand Schmalz’ Grusical Sanatorium zur Gänsehaut ist eine Mischung aus Schauergeschichte und Musical mit eigens für die Produktion von Carolina Bigge und Arno Kraehahn komponierten und live vom Ensemble performten Songs.
Das liebevoll und detailreich gestaltete Bühnenbild von Moritz Müller zeigt aufgereihte helle, plüschige Sofas unter einem stylishen, netzartigem Überbau inmitten einer dunklen Wasserlandschaft. Hier beobachtet eine heitere Gemeinschaft – anfangs in Reih und Glied aufgestellt in ihrer geifernden Erwartung – wie die Journalistin Lio Laksch (Lotte Schubert) als Neuzugang für das Sanatorium mit dem Auto anreist. Ein unsicherer Fahrstil der Figur und ein möglicher Unfall werden von den Sanatoriumsbewohnern schadenfroh kommentiert, szenisch jedoch höchstens angedeutet. Bereits zu Anfang liegt eine artifizielle Atmosphäre über dem Geschehen um die abgeschottete Gemeinschaft. Lässig und leicht bekleidet (mit unterschiedlichen Tiermustern – Hasen, Ziegen, Hühnern – auf Socken, Strumpfhosen oder T-Shirts; Kostüme: Kathrin Plath) schauen die Figuren vergeistigt, scheinbar abwartend ins Leere. Der eifrige Concierge Herr Anton (Christoph Pütthoff) steht für die Wünsche der Besucher allzeit bereit, neigt jedoch zu nervösen Ticks oder Ausbrüchen.
Lio Laksch, die eigentlich inkognito recherchieren und über mögliche Ungeheuerlichkeiten und Missstände aufklären möchte, scheint von Anfang an mit der Situation und den Dynamiken vor Ort überfordert. Die Gemeinschaft im Sanatorium erscheint abweisend, eitel und gewissenlos. Die Schicksale einzelner Figuren muten obskur an. So möchte der Opernsänger Jonathan Mark (Torsten Flassig) seine Singstimme wiederfinden. Diese meint er verloren zu haben, als er aus widrigen Umständen einen Flieger verpasste, der anschließend abstürzte. Seine Frau, die Beauty-Influencerin Leslie Mark (Anabel Möbius) verschwindet plötzlich nach einer Schönheitsoperation durch Dr. Klotz (Wolfram Koch). Laksch wehrt sich trotzdem kaum, als ihr von Dr. Klotz ohne ausdrückliches Einverständnis künstlich Nahrung zugeführt wird. Leslie taucht plötzlich mit einer unglaubwürdigen Geschichte wieder auf. Die Gemeinschaft tanzt, hinter Fellen und Tüchern vermummt, gespenstisch miteinander und frönt dabei ausgelassener Heiterkeit.
Mögliche Verwicklungen und Wendungen, wie eine plötzliche lesbische Annäherung zwischen Laksch und der spröden Leitung des Sanatoriums, Emma Tiefenbach (Melanie Straub), oder oberflächliche Auseinandersetzungen zwischen dem jungen Paar Leslie (Anabel Möbius) und Jonathan Mark werden angedeutet. Sie erscheinen jedoch weitgehend unmotiviert, bekommen wenig Raum und werden schlussendlich auch nicht ausgespielt. Hannelore Krautwurm-Bouillon (Anna Kubin) ist die wohl interessanteste Figur des Stückes, wenn sie ein Lied namens „I deserve it“ anstimmt. Die jung gebliebene Mutter von Emma Tiefenbach nimmt heimlich als Testperson Verjüngungs- respektive Longevity-Präparate von Dr. Klotz entgegen. Sie hat scheinbar keine Probleme damit, dass Dr. Klotz seine Mittelchen aus Experimenten an Nacktmullen gewinnt. Bald treten einzelne Figuren als ebensolche Nagetiere unter Ganzkörperkostümen auf und bevölkern die Bühne.
Gegen Ende legt sich viel Theaterrauch über das Geschehen. Jan Bosses Inszenierung von Schmalz’ Satire hat insbesondere während der hintergründigen und facettenreich vorgetragenen Songs starke Momente, ist jedoch streckenweise langatmig. Die Handlung wirkt ebenso künstlich, mäßig originell und pointenreich wie das Gesamt-Sujet der Aufführung.
Bewertung:
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Sanatorium zur Gänsehaut von Ferdinand Schmalz am Schauspiel Frankfurt Foto © Thomas Aurin
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Ansgar Skoda - 21. Dezember 2025 ID 15618
FÜNF MINUTEN STILLE (Box, 16.12.2025)
von Leo Meier
Regie: Ella Haid-Schmallenberg
Bühne: Nora Schreiber
Kostüme: Mirjam Kiefer
Dramaturgie: Jana Fritzsche
Mit: Nina Wolf, Stefan Graf und Sebastian Reiß
UA am Münchner Volkstheater: 9. Oktober 2024
Premiere am Schauspiel Frankfurt: 8. Juni 2025
SANATORIUM ZUR GÄNSEHAUT. EINE ENTFALTUNG (Schauspielhaus, 17.12.2025)
von Ferdinand Schmalz
Regie: Jan Bosse
Bühne: Moritz Müller
Kostüme: Kathrin Plath
Video: Meika Dresenkamp
Musik: Carolina Bigge, Arno Kraehahn
Dramaturgie: Katrin Spira
Licht: Marcel Heyde
Besetzung:
Emma Tiefenbach … Melanie Straub
Herr Anton … Christoph Pütthoff
Dr. Klotz … Wolfram Koch
Hannelore Krautwurm-Bouillon … Anna Kubin
Leslie Mark … Anabel Möbius
Jonathan Mark … Torsten Flassig
Lio Laksch … Lotte Schubert
Live-Musik … Carolina Bigge, Ralf Göbel
UA am Schauspiel Frankfurt: 12. September 2025
Weitere Termine. 22.12.2025// 08.01.2026
Weitere Infos siehe auch: https://www.schauspielfrankfurt.de
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