Sehr eindrücklich
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Büchners Woyzeck mit dem Ton und Kirschen Wandertheater | Foto (Detail): Branka Schwab Rocuant
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Bewertung:
Georg Büchners 1836 begonnenes Stück Woyzeck ist leider Fragment geblieben. Der erst 23jährige Dichter starb 1837 an Typhus. Die 27 überlieferten kurzen Szenen lassen sich fast nach Belieben zusammenfügen. Eine Aufgabe, die den TheatermacherInnen viel gestalterischen Raum bietet. An Aktualität scheint die Geschichte um den von der Gesellschaft getriebenen und gedemütigten Soldaten Franz Woyzeck, der seine Geliebte Marie ihm Eifersuchtswahn ersticht, nicht verloren zu haben. Das Stück steht wieder häufiger auf den Spielplänen der Theater. Für seine neue Produktion hat sich nun also auch das für sein bildstarkes, poetisches Masken- und Marionettenspiel bekannte Glindower TON UND KIRSCHEN WANDERTHEATER Büchners Fragment angenommen. Die Inszenierung von Margarete Biereye & David Johnston feierte vorige Woche im Potsdamer T-Werk ihre Premiere.
Daisy Watkiss hat aus Gerüststangen, Zeltplanen, Bänken und Tischen eine Art Feldlager auf die kleine Bühne des T-Werk gestellt. Die Szenenaufbauten für die verschiedenen Handlungsorte lassen sich durch Verschieben der Elemente immer wieder neu zusammenstellen. Für die Eingangsszene auf dem freien Feld vor der Stadt werden ein paar strauchartige Zweige hereingeschoben. Woyzeck (Richard Henschel) und sein Kamerad Andres (Zina Méziat) schneiden Stecken für den Hauptmann der Kompanie. Schon hier wird die Wirrnis Woyzecks offenbar. Er hört Stimmen und hat Visionen. Henschel spielt seinen Part sehr präsent und überzeugend. Die Regie fokussiert klar auf die gesellschaftlichen Verhältnisse, denen der prekär lebende Woyzeck ausgeliefert ist. Von seinem moralpredigenden Hauptmann (David Garlick) wird er verhöhnt, vom berechnenden Arzt (Margarete Biereye) für ein paar Groschen für medizinische Experimente missbraucht.
Die Inszenierung bleibt dicht an Büchners Text und Sprache. Das ist heute nicht mehr selbstverständlich. Und doch auch so lässt die Inszenierung Raum für die eigene Interpretation. Ansätze sind von der sozialen Frage über die patriarchale, frauenverachtende Gesellschaftsordnung bis zur Unterwerfung unter militärische Hierarchien genügend vorhanden. Aktualitäten muss man da nicht unbedingt verdeutlichen. Büchners scharfe Gesellschaftskritik lässt sich auch heute noch mühelos anwenden. Neben Henschels Woyzeck brilliert auch Julie Biereye als lebensdurstige Marie, die sich nicht in ihr vorgezeigtes Schicksal als von der Gesellschaft geächtete unverheiratete Mutter ergeben will. Als schwächstes Glied in der Gesellschafts-Hierarchie ist sie noch stärker benachteiligt als Woyzeck, der, nachdem er sie an den machistischen Tambourmajor (Nelson Leon) verloren hat, zum Messer greift. Die Inszenierung spart hier nicht an Drastik.
Dennoch hat der fast kammerspielartige Abend neben aller Düsternis von Büchners Text („Alles irdische ist übel“) auch seine unterhaltsamen, wenn auch hintergründigen Momente. Etwa auf dem Jahrmarkt, wo David Johnston als Marktschreier ein dressiertes Pferd und einen Affen als Soldat vorstellt. Hier kommen auch wieder Marionetten zum Einsatz. Das Ensemble tritt dabei als Volk, Studenten des Doktors oder Musikorchester auf. Oft sitzt David Johnston am Klavier oder spielt Gitarre und untermalt die Szenen mit Musik. So übertragen sich Spannung und Magie gut auf das Publikum. Der Besuch dieser puristisch anmutenden, aber dadurch sehr eindrücklichen Inszenierung ist sehr empfehlenswert. Die Truppe wird im nächsten Jahr mit der Produktion auf Tournee gehen.
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Büchners Woyzeck mit dem Ton und Kirschen Wandertheater | Foto (C) Branka Schwab Rocuant
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Stefan Bock - 29. Oktober 2025 ID 15534
WOYZECK (T-Werk, 25.10.2025)
von Georg Büchner
Inszenierung: Margarete Biereye und David Johnston
Zusammenarbeit mit: Margarete Biereye, Julie Biereye, David Garlick, Richard Henschel, David Johnston, Nelson Leon, Zina Méziat und Daisy Watkiss
Dramaturgie: Margarete Biereye
Bühnenbild, Licht: Daisy Watkiss
Marionette: Nelson Leon und Daisy Watkiss
Premiere war am 23. Oktober 2025.
Eine Produktion des Ton und Kirschen Wandertheater
Weitere Infos siehe auch: https://www.tonundkirschen.de/
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