Vanya
Die Komödie am Kurfürstendamm ist mit einem Solostück des Briten Simon Stephens nach Tschechows ONKEL WANJA zu Gast im Berliner Ensemble
|
Alexander friert sogar im Hochsommer. | (C) Franziska Strauss
|
Bewertung:
Die Sommerpausenbespielung am Berliner Ensemble hat eine gewisse Tradition und sorgte während der Intendanz des kürzlich verstorbenen Intendanten Claus Peymann auch für etwas Belustigung im feuilletonistischen Sommerloch. Der Dramatiker Rolf Hochhuth, der über die von ihm gegründete Ilse-Holzapfel-Stiftung Eigentümer des BE ist, versuchte immer wieder auch mit juristischer Hilfe auf seinem Recht auf die Nutzung zur Aufführung seines Dramas Der Stellvertreter zu beharren. Der jährliche Streit mit Claus Peymann errang einen gewissen Kultstatus. Nun könnte das BE unter Intendant Oliver Reese bald selbst zum unfreiwilligen Bittsteller werden. Wie die Berliner Zeitung berichtete, läuft der Mietvertrag des Senats mit der Ilse-Holzapfel-Stiftung 2027 aus. Bisher sei über die Weiternutzung des Hauses durch das Berliner Ensemble keine Einigung erzielt worden. Die Stiftung soll sogar schon auf der Suche nach einem „Kultur-Investor“ zum Umbau und zur Nutzung des Theaters sein. Man droht schon mit dem Kappen der Stromleitungen zu dem dem BE gehörenden Probengebäude und Neuen Haus. Das klingt nach einer etwas anderen Art von Sommerkomödie in der eh schon unruhigen Berliner Kulturlandschaft. Die neue Kultursenatorin Sarah Wedl-Wilson, die gerade das drohende Spardiktat für die Hauptstadttheater abmildern konnte, ist da nicht zu beneiden.
Wie man sich als Privattheater ohne eigenes Haus behauptet, davon kann das Theater am Kurfürstendamm ein Lied singen. Seit einigen Jahren tingeln die Kudammbühnen bis zur sich stetig verzögernden Fertigstellung ihres neuen Hauses recht erfolgreich durch Berlin. Noch bis Ende August ist die Komödie am Kurfürstendamm zu Gast im Neuen Haus, der kleinen Spielstätte des BE. Gezeigt wird die Deutschsprachige Erstaufführung des Stücks Vanya von Simon Stephens (54). Der britische Dramatiker hat Tschechows Klassiker Onkel Wanja als Solo für einen Schauspieler umgeschrieben. In der Inszenierung von Regisseur Felix Bachmann spielt der bekannte Theater- und TV-Mime Oliver Mommsen alle wichtigen Rollen des Stücks in der auf 100 Minuten eingedampften Fassung Stephens‘, die sich weitestgehend getreu an die Originalhandlung hält. Mehr eine Art Neuübersetzung mit aktualisiertem Handlungsort England und entsprechend anglisiertem Personenkreis.
Die Bühne von Kaspar Zimpfer zeigt einen Salon im etwas angestaubten und durch Accessoires neueren Datums unpassend ergänzten viktorianischen Landhausstil, der sicher schon bessere Jahre gesehenen hat. An Russland erinnern noch Videoprojektionen von ein paar dünnen Birken vor Ackerland auf der Bühnenrückwand hinter den Vorhängen. In einem Regal stehen Videokassetten. Ein alter Schrank und ein Kühlschrank aus den 1950er Jahren spielen auch noch ein Rolle im Verlauf des Abends. Durch diese recht vollgetopfte Kulisse bewegt sich Mommsen, der zur Darstellung der verschiedenen Charaktere des Stücks immer wieder zu bestimmten Requisiten greift und die Stimme anders akzentuiert bzw. auch Dialektfärbungen einsetzt. So spielt er die alte Haushälterin Marina im Ruhrpottslang. Das Programmheft bietet zur besseren Orientierung ein Personenverzeichnis mit den Beziehungen der einzelnen Figuren zueinander.
Alexander ist nicht wie bei Tschechow Professor, sondern ein alternder Filmemacher, der sich mit seiner jungen Frau Helena mangels Geld auf den Kartoffelhof seiner verstorbenen ersten Frau zurückgezogen hat. In der ersten Szene spielt Mommsen den Arzt Michael, der wie bei Tschechow zu viel trinkt und wie die Titelfigur Ivan (Vanya) ein Auge auf Helena geworfen hat. Des Weiteren sind da noch Sonia, die unglückliche Tochter Alexanders aus erster Ehe, ihre Großmutter Elisabeth und der verarmte Nachbar Liam, bei Tschechow bekannt als Waffel, hier auch genannt Krater. Wer Tschechows Stück kennt, wird sich recht gut in Stephens Fassung zurechtfinden. Im Grunde geht es auch hier um verpasste Gelegenheiten, die Sehnsucht nach Liebe, vergebliche Hoffnung und große Enttäuschungen. Ein Leben in ewiger Wartestellung. Erst plumpsen die Kartoffeln aus dem alten Schrank. Am Ende versucht Mommsen vergeblich, sie wieder einzuräumen.
Da menschelt es auch immer wieder gewaltig. Mommsen spielt sich fühlend ein in die verschiedenen Charaktere. Was nicht grundlegend falsch ist, aber auch zum zunehmenden Verwischen der einzelnen Eigenarten der Figuren führt. Vermutlich ist das aber sogar Absicht. Dem Schauspieler reichen hier Accessoires wie ein Fächer für die zarte Helena, ein Stock für Alexander oder Elisabeth, ein etwas energischerer Ton und ein Arztkoffer für Michael. Den sich dem Müßiggang ergebenen Melancholiker Vanya spielt er halb in einem Bademantel steckend. Die traurige, trotz allem immer positiv denkende Gestalt des Liam wohnt hier unterm Tisch. So spielt sich Mommsen relativ unterspannt von Szene zu Szene, wechselt fast unmerklich die Charaktere, so dass der untrügliche Eindruck einer einzigen, sich um ein unerfülltes Leben drehenden Person entsteht. Ein Tänzchen der vergeblich in den Arzt verliebten Sonia mit dem Kühlschrank und der Ausbruch Vanyas aus seiner Lethargie mit Gewehrschüssen und Regalausräumung bei der Ankündigung Alexanders, das Gut zu verkaufen und mit dem Erlös auf die Isle of Man zu ziehen, sind dann schon die Höhepunkte des Abends, der zwischen launiger Tragikomödie und am Ende etwas sentimental-kitschigem Edelboulevard changiert. Oliver Mommsens brillantes Spiel garantiert allerdings für durchweg gute Unterhaltung.
|
Über Liam sagt Oliver Mommsen: „Er ist ein Partytiger und unterhält alle sehr gerne.“ | (C) Franziska Strauss
|
Stefan Bock - 12. August 2025 ID 15408
VANYA (Berliner Ensemble, Neues Haus | 10.08.2025)
von Simon Stephens
Regie: Felix Bachmann
Bühne: Kaspar Zwimpfer
Kostüm: Martina Müller
Musik: Dominik Dittrich
Mit: Oliver Mommsen
Premiere war am 3. August 2025.
Weitere Termine im BE: bis 31.08.2025
Gastspiel der Komödie am Kurfürstendamm
Weitere Infos siehe auch: https://www.komoedie-berlin.de
Post an Stefan Bock
Freie Szene
Neue Stücke
Premieren (an Staats- und Stadttheatern)
Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!
Vielen Dank.
|
|
|
Anzeigen:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
BALLETT | PERFORMANCE | TANZTHEATER
CASTORFOPERN
DEBATTEN & PERSONEN
FREIE SZENE
INTERVIEWS
PREMIEREN- KRITIKEN
ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski
SALZBURGER FESTSPIELE
TANZ IM AUGUST
URAUFFÜHRUNGEN
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|