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Konzertkritik

Nicht so schrecklich viel denken

Neujahrskonzert mit den Stuttgarter Philharmonikern

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Das Neujahrskonzert gehört zu Silvester wie die Beichte zur Sünde. Liegt es am Leitbild der Wiener Philharmoniker, dass für diesen Anlass Johann Strauss mitsamt dem Herrn Papa und dem zeitgenössischen kompositorischen Umfeld die bevorzugte Wahl ist? Beim traditionellen Neujahrskonzert der Stuttgarter Kulturgemeinschaft mit den Stuttgarter Philharmonikern standen die Sträusse zwar nicht auf dem Programm, aber immerhin Hits aus Operetten, von denen man eigentlich gedacht hätte, sie seien nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Es ist ja kurios: Selbst entschiedene Operettenverächter der älteren Generation sind lebenslang geschädigt durch die Radio-Wunschkonzerte der Nachkriegszeit mit ihrem Schmalz, ihrem Antimodernismus und ihrem Mütterlein-Kitsch. Eigentlich kann man das nur noch ertragen, wenn man es als Parodie versteht, zumal wenn die Vokalinterpreten Petra Maria Schnitzer & Peter Seiffert, beide auch jenseits des Operettenfachs angesehene Sänger, szenische Aktionen wie Händchenhalten, Umarmung und Walzertanz andeuten (zum Glück nicht mehr als das, aber es reicht zur Assoziation von Schmiere). Immerhin: die Begeisterung des Publikums über den unsäglichen „kleinen Gardeoffizier“, über die Schwalben, denen man etwas nachmachen soll, oder über das Angebot eines ganzen Herzen hielt sich in Grenzen. Irgendwie ist die Zeit und sind Elvis Presley, die Beatles und Madonna doch über diesen Schmarren hinweggegangen. Allerdings nahm dieses Publikum auch ohne erkennbaren Widerspruch die folgenden Verse hin aus dem Vetter aus Dingsda von Eduard Künneke, dem die Nazis wegen seines Propagandawerts sogar die „nichtarische Versippung“ verziehen haben: „Kindchen, du musst nicht so schrecklich viel denken, küss mich und alles ist gut. Musst dir nicht unnütz das Köpfchen verrenken, weil es sonst wehe dir tut.“

*

So weit, so Neujahr. Ehe die Zuhörer jedoch in das Zauberreich der Operette eingelassen wurden, durften sie eine beglückende Interpretation von Tschaikowskis 4. Sinfonie hören, keine schwere Kost, gewiss, aber doch von anderem Format als die musikalischen Schluchzer von Stolz, Kálmán oder Franz von Suppé. Wenn man diese Sinfonie „volkstümlich“ nennt, darf man den Ausdruck beim Wort nehmen. Nirgends hat sich Russlands populärster Komponist so sehr an der Folklore seiner Heimat bedient wie eben hier. Der vierte Satz besteht im Grunde aus Variationen über das Volkslied Vo pole berëza stojala (Im Feld stand eine Birke). Tschaikowski wird gelegentlich vorgeworfen, dass die Verarbeitung musikalischer Motive nicht seine Stärke sei. Hier lässt sich diese These nicht bestätigen. Die Philharmoniker bewiesen mit der Differenzierung der dynamischen Kontraste und mit der Perfektion des Klangs in sämtlichen Gruppen des Orchesters in ihrem effektbewussten Wechselspiel, welchen ungeheuren Qualitätsgewinn sie in den vergangenen Jahren zu verzeichnen hatten. Für ihren erkrankten Leiter Dan Ettinger, der noch zwei Tage zuvor Beethovens Neunte dirigiert hatte, ist Julien Salemkour eingesprungen. Es ergibt sich freilich die Frage, wie weit er in so kurzer Zeit zur Gestaltung beitragen konnte. Man könnte auf den Verdacht kommen, dass es zur Not auch ohne den Stab da vorne ginge.

Thomas Rothschild – 2. Januar 2020
ID 11911
STUTTGASRTER PHILHARMONIKER (Liederhalle, 01.01.2020)
Neujahrskonzert der Kulturgemeinschaft

Peter Tschaikowsky: Sinfonie Nr. 4
Franz von Suppé: Ouvertüre aus der Operette Leichte Kavallerie
Franz Lehár: "Bei einem Tee à deux", "Dein ist mein ganzes Herz" aus der Operette Das Land des Lächelns
Emmerich Kálmán: "Heia in den Bergen", "Machen wir´s den Schwalben nach" aus der Operette Die CsárdásfürstinLehár: "Schön ist die Welt"
Eduard Künnecke: "Weißt du noch" ("Kindchen du musst nicht so schrecklich viel denken") aus Der Vetter aus Dingsda
Robert Stolz: "Ich sing mein Lied heut nur für dich" aus dem Film Mein Herz ruft nach Dir
- "Adieux, mein kleiner Gardeoffizier" aus dem Film Das Lied ist aus
Lehár: "Freunde, das Leben ist lebenswert" aus der Operette Giuditta
Petra Maria Schnitzer, Sopran
Peter Seiffert, Tenor
Stuttgarter Philharmoniker
Dirigent: Julien Salemkour


https://www.stuttgarter-philharmoniker.de/


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