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Premierenkritik

3 Alphörner



Götterdämmerung an der Oper Leipzig | Foto (C) Tom Schulze

Bewertung:    



Das optisch Spektakulärste der am Samstagabend zu Ende gegangenen Götterdämmerung an der Oper Leipzig war die Sichtung der drei überdimensionalen Alphörner im Zweiten Aufzug (als maskuline Statussymbole von Hagens Mannen, welche zur Begrüßung des vom Rheinufer zur Gibichungenburg heraufpromenierenden Brautpaars Gunther & Brünnhilde, kräftig in es reinblasend und hiernach sexuelle Zoten reißend, angetreten sind) - das waren zwar dann "keine richtigen" Alphörner; die sehen nach unten hin etwas geschwungener aus und klingen auch ein bisschen anders. Doch wir nennen sie jetzt einfach so - und hätten somit prompt unseren adäquaten Aufhänger fürs Nachstehende hier:

* * *

Der neue Ring des Nibelungen - also an der Pleiße der - ist, was seine provinzklitischige Sichtweise durch Choreografin Rosamund Gilmore und ihre Ausstatter (Carl Friedrich Oberle fürs Bühnenbild / Nicola Reichert fürs Kostümdesign) betrifft, ein Alptraum sondergleichen. Sein mit andeutungsschwangerem Tanztheaterkitsch durchwalktes und in dieser Weise sich verpenetrierendes Gesamtkonzept, falls man von einem solchen überhaupt zu sprechen wagt [O-Ton Gilmore im Trailer: "Wir befinden uns in einer eleganten Atelierwohnung mit Blick auf den Rhein, und die Gibichungen sind eine reiche, verwöhnte und verschwächlichte Gesellschaft, die dann eben sehr gut von Hagen manipuliert werden könnte; Hagen ist in der Figur, wenn man so will, der Antiheld..."], hat eine derart unverbindliche Prägnanz, dass es an sich schon wieder anmaßend oder gar dreist und unverschämt zu nennen ist. Ja und man fragt sich nachgerade schon: Hat das jetzt noch mit allgemeinen Inszenierungsfragen irgendwie zu tun? oder ist es der absichtliche Ausdruck einer vorgetäuscht zur Schau gestellten Ahnungslosigkeit??

Vor 40 Jahren gab es an derselben Stelle ein weltweites Fach- und Enthusiastenstaunen über einen Ring, den man (als Quasi-Vorläufer des legendär geword'nen Bayreuther "Jahrhundert"-Ringes von Patrice Chéreau) so schnell nicht mehr vergessen mag; ich sah als Siebzehnjähriger die damalige Götterdämmerung. Das Auffallendste hierin war die riesige Turbinenhalle, die so was wie einen industrierevolutionären Zeitgeist - Wagner schrieb an der Tetralogie vor/nach dem Dresdner Maiaufstand von 1849 - transportierte; damit rückten Regisseur Joachim Herz und Bühnenbildner Rudolf Heinrich die Geschichte in das Lebens- und auch Wirkungsumfeld Richard Wagners, der das vierteilige Hauptwerk seines Schaffens auch (wie wir dann heute sagen würden:) als Kapitalismus-Kritik vekaufen wollte.

Nein, man muss das Alles [s.o.] als gastiert gehabt habende Angelsächsin selbstverständlich weder wissen noch begreifen oder teilen - doch in Anbetracht eines so dermaßen erdrückenden (und nicht nur weltanschaulichen bzw. künstlerischen) "Erzvergleichs" drängt sich die Frage unvermeidlich auf: Wer war und ist an der Verpflichtung dieses aktuellen Ring-Teams an der Oper Leipzig schuld, dass ihm/ihr/ihnen all das [s.o.] ganz und gar egal zu seien schien? Nochmals erwähnt: Als beispielsweise Udo Zimmermann, einer der visionärsten Regietheater-Ermöglicher um die Jahrtausendwende, noch als Künstlerintendant im Hause am Augustusplatz gewirkt hatte, wollte er Steven Spielberg für den Ring ermutigen; nachdem der absagte, tat Zimmermann sich jokernd um Ruth Berghaus, die ihm leider so schnell weggestorben war, bemühen...

Wagners Ring auf die Theaterbühnen hinzuwuchten sollte auch einer gewissen Prophetie gehorchen; seine Produktionen sind, ganz nebenbei bemerkt, nicht aus den Portokassen zu bezahlen. Was es diesbezüglich in den letzten Jahren - außer vielleicht bei Frank Castorf - hie und da zu registrieren gab: mehr Schrott als "Blut & Eisen"! Und zum Fenster rausgeworf'ne Steuergelder obendrein!!

* *

Rein musikalisch (besser: sängerisch) bot der Premierenabend Aufhorchenerregendes:

Christiane Libor (die bereits Sieglinde in Walküre war) und Thomas Mohr (Loge im Rheingold) allen anderen voran - sie debütierten als Brünnhilde und als Siegfried. Beiden muss eine verblüffend gute Textverständlichkeit per Zeugnis ausgestellt werden. Bei ihr obsiegten zusätzlich enorme Spitzentöne, die sie mühelos und auf den Punkt hin traf; die Mittellagen, wo sie angelegentlich des zunehmenden Kraftverschleißes während der weit über fünf Stunden messenden Dauerprozedur mitunter schwer und manchmal kaum zu hören war, sind ausbaufähig und sollten ihr daher in der Zukunft königlich gelingen.

Kathrin Göring, die nach meinem Dafürhalten die stimmlich ausgewogenste und darstellerisch intelligenteste Leistung dieser Aufführung ablieferte, vermochte Waltraute in den zentralen Fokus dieses Stücks zu setzen; ja und in der Tat geschieht hier umfassendste Aufklärung über die eigentliche Götterdämmerung, die dem erlebten Werk letztendlich ihren Titel lieh.

Der Sänger Rúni Brattaberg bot alle Basstiefen, die ihm genetisch so vergönnt sind, für die Rolle seines Hagen auf.

Die anderen Gibichungen-Geschwister wurden von Tuomas Pursio (als Gunther) und Marika Schönberg (als Gutrune) unaufdringlich, um nicht gar zu sagen schlicht verkörpert - was in dem Zusammenhang um Gottes Willen nicht als Wertmaßstab missdeutet werden dürfte.

Jürgen Linn meisterte einen kammerspielartigen Kurzauftritt als Alberich.

Der Gruppensound der Rheintöchter (gesungen von den sexy aussehenden Magdalena Hinterdobler, Sandra Maxheimer und Sandra Janke) zeichnete sich insbesondere durch allzu stark forcierendes Vibrato aus, dass es schlechthin entnervte.

Die drei Nornen wurden von den Seil haltenden Oleana Tokar, Kathrin Göring und Karin Lovelius verkörpert.

Beinah alle Bühnen-Hornsoli waren vergurkt - vermutlich handelte es sich um Mitglieder des musizierenden Gewandhausorchesters, die hierfür den Hut (das Horn) aufhatten, was doch stark verwunderte; ich meine, einmal "Ton daneben" mag ja angehen, doch laufend; sorry, bitte!

Der von Alessandro Zuppardo einstudierte Chor der Oper Leipzig (Hagens Mannen, Hochzeitsgäste) konnte gut aus sich heraus singen - kein Wunder auch; sie standen, meistens jedenfalls, wie Zinnsoldaten angeschmiedet.

Dirigent Ulf Schirmer holte - wie bereits in den von uns erlebten beiden Teilen vorher - Stellen und Passagen ganz besonders breit und zeitlupig heraus, die man in diesen Dargebrachtseinsweisen so nicht/noch nicht kannte; selten leuchteten die "neuen" Interpretationsvorschläge wirklich ein.

Das tänzerische Personal [sämtliche Namen s.u.], dessen Ring-Engagement v.a. vom Sozialaspekt her würdigend erwähnt sein muss, konnte selbstredend nix dafür, dass es - in Dauerparallelhandlungen - "bloß" als Nornen-Schatten, Gibichungen-Dienstpersonal, Rheintöchter-Wasserelemente seh- oder erahnbar war.

*

Das Leipziger Premierepublikum bejubelte - bis auf ein, zwei unrelevante Buh(s) - die Ausführenden und Akteure, wohlweißlicher Maßen sogar insgesamt; wer hätte so viel Un-Distanz zum Dargebotenen jemals erwartet.

Ach, bin ICH am Ende jetzt der Buhmann oder Spielverderber?




Götterdämmerung an der Oper Leipzig | Foto (C) Tom Schulze

Andre Sokolowski - 2. Mai 2016
ID 9288
GÖTTERDÄMMERUNG (Oper Leipzig, 30.04.2016)
Musikalische Leitung: Ulf Schirmer
Inszenierung: Rosamund Gilmore
Bühne: Carl Friedrich Oberle
Kostüme: Nicola Reichert
Chöre: Alessandro Zuppardo
Dramaturgie: Christian Geltinger
Besetzung:
Siegfried ... Thomas Mohr
Gunther ... Tuomas Pursio
Alberich ... Jürgen Linn
Hagen ... Rúni Brattaberg
Brünhilde ... Christiane Libor
Gutrune ... Marika Schönberg
Waltraute / 2. Norn ... Kathrin Göring
1. Norn ... Karin Lovelius
3. Norn ... Olena Tokar
Woglinde ... Magdalena Hinterdobler
Wellgunde ... Sandra Maxheimer
Flosshilde ... Sandra Janke
Tänzerinnen und Tänzer: Unita Gay Galiluyo, Sophia Hofmann, Elodie Lavoignat, Sandra Lommerzheim, Juliette Rahon, Alicia Varela Carballo, Sidnei Brandão, Ole Driever, Ziv Frenkel, Mathis Kleinschnittger, Olivier Roche und Jochen Vogel
Chor der Oper Leipzig
Gewandhausorchester Leipzig
Premiere war am 30. April 2016
Weitere Termine: 8. 5. / 3. 7. 2016 // 23. 3. / 2. 7. 2017


Weitere Infos siehe auch: http://www.oper-leipzig.de


http://www.andre-sokolowski.de

Siegfried am 12. 4. 2015

Die Walküre am 7. 10. 2013



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