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Castorfopern (23)

Episodisch



Aus einem Totenhaus an der Bayerischen Staatsoper | Foto (C) Wilfried Hösl

Bewertung:    



Frank Castorfs Kenntnis und Beherrschung der Materie Dostojewski ist ein beispielloser wie auch ungeheuerlicher Akt. Er hatte während all der Jahre dieser anhaltenden Obsession nicht etwa nur die Mega-Kracher des von ihm schier angebeteten weil mit sich selbst verhafteten russischen Seelenklempners nach und nach dann für die Bühne - namentlich für "seine" Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz - theatral & theatralisch transkribiert, sondern auch (und in diesbezüglich auslaufender Zeit) schmalere und obgleich nicht etwa dünne Prosa Dostojewski´s hie und da, ergänzend sozusagen, stücktauglich gemacht. Sein Kanon reichte daher vom Idioten über Schuld und Sühne, Die Dämonen, Brüder Karamasow (um bloß vier der Riesenklopper zu benennen) bis zur Wirtin und dem Schwachen Herzen oder Mann unter dem Bett...

Als kreativen Schlussakkord zur Dostojewski´schen Materie deutete ich jetzt das Gast-Engagement des Regisseurs am hehren Haus der Bayerischen Staatsoper, dem sicherlich (was seine ungeizige Hauspotenz betrifft) bedeutendsten Musiktheater-Tempel Deutschlands. Janáček´s Aus einem Totenhaus stand zu Gebote, und so ließ sich Castorf also auf sein großartig gemeintes Wagnis ein, eine bereits vom Tondichter auf ca. hundertzehn Minuten "reduzierte" musikalisch-librettistische Bearbeitung des ca. vierhundertseitigen Buch-Originals Aufzeichnungen aus einem Totenhaus quasi nochmal, nämlich regielich, zu bearbeiten. Für einen Mann wie ihn, der seine Abende im Schnitt so zwischen 4 und 5 und 7 Stunden dauern lässt, eine besondere Herausforderung; und ich konstatiere, dass es a) eine der zeitlich kürzesten und b) eine von ihrer Wirkung langweiligsten Castorfopern, die ich je erleben durfte, war! Wie das?

Castorf benennt (und wusste/weiß!!) den eigentlichen Fallstrick, der zum diesmaligen Scheitern seines konzeptionellen Ansatzes ganz folgenschwer und folgerichtig führen musste: jene "Simultaneität" an sich, jenes "Nebeneinander von verschiedenen Lebenserfahrungen und auch Lebenswunschvorstellungen" [Quelle: Programmbuch, S. 26] der agierenden Dramatis personae aus 14 Sträflingen und einer Handvoll weiterer Figuren. Vier besonders 'rausgestellte Haupt-Sträflinge lassen ihre jeweiligen Episoden, wie es sie in dieses Sträflingslager (Totenhaus) verschlug, deklamatorisch ab - und Peter Rose (als Gorjančikov) oder auch Bo Skovhus (als Šiškov) singen/spielen sich da an die Rampe. Alles schwer verdauliche, mitunter gar unnachvollziehbare Geschichten; und mein rezipienter Info-Pegel ist allein durch das Behaltenwollen und doch Nichtbehaltenkönnen all des Faktischen ständig am Limit...

Schon der Tatbestand einer Bearbeitung einer Bearbeitung hinzüglich der Berücksichtigung eines lediglich durch zwei prägnante Akt-Zäsuren pausenlos durchkomponierten Noten-Textes hätte Castorf vorher "stutzig" machen sollen, dass es für ihn - so gesehen - kaum noch zuzsätzliche zielführende Arbeitsmöglichkeiten gäbe resp. gab. Das Ding bot also fast null Lücken, wo hinein er seine Fantasie- und Weiterführungsdopings hätte injizieren können - gänzlich andere Voraussetzungen lagen freilich anno dazumal bei Wagners Ring vor, dessen epische Gebündelt- oder Ausgeufertheiten jede Menge Zucker für den Affen bargen; Castorfs psychologisierende Personenführungen und visuelles Zuwürzen gingen da leichtens Hand in Hand - beim Totenhaus, das nicht mal einen roten Handlungsfaden aufweist, funktionierte das halt nicht; auch nicht trotz der versuchten Querverweise auf die Bösen Geister oder Suslowas Jahre der Nähe zu Dostojewski...

Sowieso habe ich mich inzwischen an dem immergleichen farbrauschigen, highheelhaften und perückten Ausstattungsgebaren von Kostümbildnerin Adriana Braga Peretzki irgendwie satt gesehen. Auch ihr ausschweifendes Federviehzeug (für den Adler von Evgeniya Sotnikova) war schon derart oft in andern Castorf-Inszenierungen zu sehen, dass ich meine, dass sie sich demnächst vielleicht auch mal was Anderes einfallen lassen könnte.

Den als Sträflingslager mit Jurassic Park-Umzäunung, als Theater im Theater, als Behausungen oder als Videoleinwand zu gebrauchenden allfunktionalen Einheits-Bühnenbau erdachte Aleksandar Denić; für die Live-Abfilmungen waren, wie stets, Andreas Deinert und Jens Crull zuständig; den Karnickelstall mit Lebendbeispielen empfand wohl nicht nur ich als putziglich.




Aus einem Totenhaus an der Bayerischen Staatsoper | Foto (C) Wilfried Hösl


*

Simone Young leitete ein perfekt-vorzüglich einstudiertes Bayerisches Staatsorchester!

Die Ensembleleistung inkl. Chor (Choreinstudierung: Sören Eckhoff) muss als exemplarisch-extraordinär bezeichnet sein [sämtliche Namen der Beteiligten s.u.].







Andre Sokolowski - 28. Mai 2018
ID 10722
AUS EINEM TOTENHAUS (Nationaltheater, 26.05.2018)
Musikalische Leitung: Simone Young
Inszenierung: Frank Castorf
Bühne: Aleksandar Denić
Kostüme: Adriana Braga Peretzki
Licht: Rainer Casper
Video: Andreas Deinert und Jens Crull
Dramaturgie: Miron Hakenbeck
Choreinstudierung: Sören Eckhoff
Besetzung:
Aleksandr Petrovič Gorjančikov ... Peter Rose
Aljeja, ein junger Tartar ... Evgeniya Sotnikova
Luka (Filka Morozov, im Gefängnis unter dem Namen Luka Kuzmič) ... Aleš Briscein
Skuratov ... Charles Workman
Šiškov ... Bo Skovhus
Großer Sträfling / Sträfling mit dem Adler ... Manuel Günther
Kleiner Sträfling / Verbitterter Sträfling ... Tim Kuypers
Platzkommandant ... Christian Rieger
Der alte Sträfling ... Ulrich Reß
Čekunov ... Johannes Kammler
Betrunkener Sträfling ... Galeano Salas
Koch (Sträfling) ... Boris Prýgl
Schmied (Sträfling) ... Alexander Milev
Pope ... Peter Lobert
Dirne ... Niamh O’Sullivan
Don Juan (Brahmane) ... Callum Thorpe
Kedril / Schauspieler / Junger Sträfling ... Matthew Grills
Šapkin / Fröhlicher Sträfling ... Kevin Conners
Čerevin / Stimme aus der kirgisischen Steppe ... Dean Power
Wache ... Long Long
Chor der Bayerischen Staatsoper
Bayerisches Staatsorchester
Premiere an der Bayerischen Staatsoper: 21. Mai 2018
Weitere Termine: 30.05. / 03., 05., 08.06. / 30.07. / 19., 21. 26.10.2018


Weitere Infos siehe auch: http://www.staatsoper.de


http://www.andre-sokolowski.de

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