Musik aus dem
legendären
"Colmar-Ruckers"
von 1624
Die lettische Cembalistin Tatjana Vorobjova erfüllte sich einen lang gehegten Traum
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Bewertung:
Für die aus Riga stammende und seit langem schon in Köln und Umgebung lebende und arbeitende Cembalistin Tatjana Vorobjova - ich wurde erstmals beim Hören ihrer CD Johann Sebastian Bach ... con passione auf sie aufmerksam - hat sich ein Herzenswunsch verwirklicht:
"Nachdem ich meine ersten drei Aufnahmen bei MDG auf meiner eigenen Kopie des Colmar-Ruckers gespielt hatte, ist nun mein langjähriger Traum in Erfüllung gegangen, in meiner vierten Aufnahme das legendäre Colmar-Ruckers im Original zu spielen. Es ist faszinierend, das 400 Jahre alte Instrument im Klostergang des Musée Unterlinden zu erleben und beim Spielen den einzigartigen Klang in allen seinen Facetten zu erspüren." (Quelle: CD-Booklet)
Le Clavecin Poétique [dt.: Das poetische Cembalo] hat sie ihre neue Scheibe übertitelt, ja und unterhalb ihres Namens steht halt auf dem Platten-Cover "Ruckers Harpsichord 1624" - damit hat sie, uneitel und doch sehr zielbestimmt, das Ausrufezeichen dieser allein schon klangtechnisch auf allerhöchstem Niveau erfolgten Neueinspielung gesetzt: Das Instrument steht hier im Mittelpunkt, und Vorobjova holt aus ihm mit andächtiger, demutsvoller Atemlosigkeit und gleichsam unüberhörbarer Selbstbewusstheit sowohl als Programmgestalterin wie Interpretin der von ihr gewählten Musik das überraschendst Mögliche heraus:
"Mit meiner Repertoireauswahl wollte ich ganz tief in die melancholisch-poetische Klangwelt des Colmar-Ruckers eintauchen." (Quelle: dto.)
Als Entrée greift sie auf ein gerade mal dreieinhalb Minuten währendes Stück aus genau demselben Jahr, wo das Colmar-Ruckers gebaut wurde, zurück, es ist die heiter und vital anmutende Aria del Granduca von anonymer Herkunft; wahrscheinlich könnte sich hinter dem flämischen Komponisten Pieter Cornet (1575-1633) die Urheberschaft verbergen, aber sicher sind sich die Musikhistoriker und -wissenschaftler diesbezüglich nicht. Kurzum: Das Instrument offenbart bereits schon hier seinen brillanten Klang, ja und egal, welche Töne Vorobjova da anschlägt, ob hoch oder tief oder dazwischen, alles klingt markant und transparent zugleich.
Es folgt die (lt. Vorobjova) "dunkle, etwas 'würzig'-mitteltönig gestimmte" Suite in g-Moll des süddeutschen Komponisten und Cembalisten Johann Jakob Froberger (1616-1667), sie hat vier Sätze und ist dem sog. Style brisé verhaftet; hierzu erklärt der Musikwissenschaftler Matthias Schneider (Mitautor des Booklets) Folgendes:
Bei dieser Kompositionstechnik (Style brisé) gehen "homophone und polyphone Setzweise eine raffinierte Verbindung" ein, "die einzelnen Töne, nacheinander angeschlagen, sich zu Klängen formen, in denen mehrstimmige Akkorde und kontrapunktische Satzstruktur erst allmählich und wie schemenhaft aufscheinen. Die feine Verteilung des Anreißens der Saiten über den Takt hält den Klang stets lebendig. Zugleich gibt diese Technik der Interpretin Spielraum für die expressive Gestaltung der musikalischen Motive zwischen Homophonie und Polyphonie."
Dann gibt es zwei unterschiedlich große Werke des französischen Komponisten, Cembalisten und Organisten Jean-Henri d'Anglebert (1629-1691): die (wiederum nur dreieinhalbminütige) Chaconne de Galatée de Mr. de Lully und die siebensätzige Deuxième Suite (aus den Pièces de Clavecin in g-Moll) - die Chaconne machte dahingehend den ungleich markanteren Eindruck auf mich, als dass ich in ihr ein dialogisches, um nicht zu sagen trialogisches Geschehen "dramaturgisch" wahrzunehmen bereit war; irgendwie kam es mir da so vor, als ob zwei oder drei stark mitteilungsbedürftige, will sagen redselig Geschwätzige miteinander konkurieren würden, wer von ihnen der Redseligste und/ oder Geschwätzigste dann wäre, auch hatte diese Geschwätzigkeit eine höfisch geprägte Klatsch-/Tratsch- oder sogar Huldingungsattitüde (apropos Ludwig XIV.) an sich, und das gefällt mir doch sehr gut.
Dem hierzulande sicherlich etwas bekannteren französischen Starcembalisten, -organisten und -komponisten François Couperin (1668-1773) - er galt seinerzeit als einer der einflussreichsten musikalischen Persönlichkeiten zwischen Lully und Rameau; daher wurde er wahrscheinlich auch "Le Grand" (= der Große) genannt - widmet die Vorobjova ihren zweiten französischen Block auf der CD; sie spielt zunächst das vierminütige Languissament Les ombres errantes (dt.: Die wandernden Schatten), und das hört sich an als würde es von einer Laute musiziert; ein weiteres Indiz dafür, mit was für klanglichen Überraschungen das Colmar-Ruckers aufzuwarten weiß... Die folgenden Huit Préludes aus L'art de toucher le Clavecin (dt.: Die Kunst des Cembalospiels) sind von selbstbewusst anmutender Erhaben- und Gelassenheit, und ihre virtuosen Verspieltheiten, auf die sich Vorobjova aufs Entspannteste einlässt, wirken unvorauseilend und unhektisch; das alles hat dann schon was Majestätisches.
Der deutsche resp. nord- und mitteldeutsche Anteil ihrer Stückauswahl umfasst die viersätzige Suite e-Moll WV 235 von Dieterich Buxtehude (1637-1707) und die mehrteilige und v.a. durch ihre kraftvoll abschließende Fuge brillierende Toccata e-Moll BWV 914 von Johann Sebastian Bach (1685-1750) - beim Buxtehude halte ich dann wieder, wie bereits bei Couperins Languissament [s.o.], andächtig inne, als der schöne Sarabande-Satz erklingt, und wiederum werde ich hier vom Colmar-Ruckers "arglistig" getäuscht, da ich vermeine eine Laute gehört zu haben; wunderschön.
Insgesamt stellt Vorobjovas neueste CD ein hörerisches Gesamtereignis sondergleichen dar - und sowieso vermittelt sie mir, nicht nur nebenbei, ein neues Grundwissen zur Instrumentenkunde des Barocks. Oder hat wer von Ihnen (Ausnahmen bestätigen die Regel) je zuvor vom legendären Colmar-Ruckers schon gehört?
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Tatjana Vorobjova | Foto (C) New Murphy Photography
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Andre Sokolowski - 30. Juli 2025 ID 15386
LE CLAVECIN POÉTIQUE
Tatjana Vorobjova spielt das gefeierte „Colmar- Rückers“-Cembalo von 1624
Anonymus (Pieter Cornet?): Aria del Granduca (ca. 1624)
Johann Jacob Froberger: Suite XVIII g-Moll
Jean-Henri d'Anglebert: Chaconne de Galatée de Mr. de Lully (Lentement)
- Deuxième Suite g-Moll (aus Pièces de Clavein)
François Couperin: Les ombres errantes (Languissamment)
- L'art de toucher le Clavecin (8 Préludes)
Dieterich Buxtehude: Suite e-Moll Bux WV 235
Johann Sebastian Bach: Toccata e-Moll BWV 914
Tatjana Vorobjova, Cembalo
Aufgenommen vom 14. bis 16. Oktober 2024 im Musée Unterlinden, Colmar
MDG 921 2360-6
Weitere Infos siehe auch: https://www.tatjana-vorobjova.de/
https://www.andre-sokolowski.de
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