Heilloses
Durcheinander
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Ruslan und Ljudmila an der Hamburgischen Staatsoper | Foto (C) Matthias Baus
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Bewertung:
Glinkas Oper Ruslan und Ljudmila (aus der hierzulande allenthalben die schmissige Ouvertüre allgemein bekannt und beliebt sein dürfte) hatte ich in meinem Leben nur ein einziges Mal vollständig gesehen und gehört, und zwar in den 1980ern in Leipzig - da war die "deutsch-sowjetische Freundschaft" (in der damaligen DDR) noch vollkommen in Takt, und der langjährige Bolschoi-Chefregisseur Boris Pokrowski muggte daher immer wieder mal an die Pleiße, um dort die eine oder andere russische Großoper zu inszenieren.
Jetzt wollte ich das Ding nicht etwa wegen seiner selbst, nein, in erster Linie wegen der es inszeniert habenden ungarischen Regisseurinnen Alexandra Szemerédy & Magdolna Parditka hören und v.a. sehen - die beiden machten und machen ja seit Längerem einigermaßen Furore an deutschsprachigen Opernhäusern (in erster Linie in Saarbrücken, wo sie nächstes Jahr Wagners RING abschließen werden), und bei den kommenden Bayreuther Jubiläumsfestspielen debütieren sie gar mit dem dort einmalig aufzuführenden Rienzi, ja und da wollte ich halt erstmal, also rein prophylaktisch, "überprüfen", wie die Handschrift der zwei Damen eigentlich so ist, denn bislang hatte ich noch nichts von diesem Duo mitgekriegt; also:
"Zunächst kommt Michail Glinkas Ruslan und Ljudmila wie eine Märchenoper mit Riesen und Hexen daher: Ein böser Zauberer entführt die Prinzessin von ihrer eigenen Hochzeit; mehrere Ritter und deren Helfershelfer müssen viele Abenteuer bestehen, bevor schließlich die Hochzeit von Prinz und Prinzessin stattfinden kann. Gleichzeitig ist diese von Alexander Puschkin erdachte Fabel die Coming of Age-Geschichte einer Generation, die nicht mehr in die Fußstapfen ihrer Väter treten, sondern ihr Leben nach eigener Façon gestalten will, mit anderen und ganz eigenen Modellen von Familie, Liebe und Freiheit.
Inmitten des erwachenden russischen Nationalgefühls zeichnet Glinka im Jahr 1842 mit seiner Märchenoper die heute nicht nur in Russland wieder mächtig erstarkende Idee einer geeinten Nation, die sich gegen ein bedrohliches Außen verteidigen soll. Wie aber geht noch Freiheit, wenn alle nach Sicherheit rufen? Und wie kann eine junge Generation sich die Hoffnung bewahren, wenn eine kriegerische Obrigkeit ihre Freiheitsträume mit Einheitswahn und Dominanzkultur attackiert?"
(Quelle: die-hamburgische-staatsoper.de)
Okay soweit [s.o.] - also vom konzeptionelllen Ansatz versprach es irgendwie interessant zu werden.
Bei meinem gestrigen Live-Erlebnis in der sichtlich nicht ausverkauften HAMBURGISCHEN STAATSOPER allerdings:
Allein vom Stück her wusste ich, trotz mehrmaliger Lektüre der auf der digitalen Staatsopern-Plattform pfiffig nacherzählten Handlung, weder was hinten noch was vorne ist; das Libretto (frei nach einem Märchengedicht von Puschkin) ist eine Katastrophe!
Und die beiden hochsympathischen Ungarinnen (sie kennen sich übrigens seit fast 20 Jahren und greifen sonach auf einen mehr als breiten Erfahrungsschatz gemeinsamer Arbeit zurück) sahen sich nun veranlasst, die an sich verworrene und völlig unübersichtliche Handlung noch mehr zu verunklaren, indem sie sie in einem queeren Umfeld, das sich heimlich und versteckt in einem U-Bahn-Schacht verortete, spielen ließen - prompt wird die sich hoch- und abfeiernde LGBTQ-Community von den Scherginnen und Schergen des FSB [= russischer Inlandsgeheimndienst] brutal auseinandergetrieben und in den noch tieferen Untergrund verbannt; wenigstens das ein deutlich-kritischer Wink mit Zaunspfahl, um nicht ganz so bescheuert dazustehen, wenn man heutzutage meint sich unbedingt mit solchen russischen Schinken in hiesigen Opernhäusern in Szene setzen zu müssen.
Kurzer Einwurf dahingehend:
Warum in Gottes Namen lasst ihr nicht erstmal (meinetwegen ruhig noch ein paar Jährchen) diese das russische Nationalgefühl so übermäßig bedienenden und anheizenden kyrillischen Opernbrocken im Fundus liegen bis endlich irgendwann dann Frieden in der Ukraine ist? Null Verständnis für diesen werkpflegerisch-merkwürdigen Ambitionismus hierzulande.
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Musikalisch freilich glänzt der unheilvolle Schinken:
Hervorhebenswert die stimmakrobatische Großleistung von Barno Ismatullaeva (als Ljudmila), und auch der Countertenor Artem Krutko (als Ratmir) wuchs weit über sich selbst hinaus.
Das Philharmonische Staatsorchester Hamburg wurde dirigiert von Azim Karimov.
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Ruslan und Ljudmila an der Hamburgischen Staatsoper | Foto (C) Matthias Baus
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Tobias Kratzer (Intendant) und Omer Meir Wellber (GMD) wuppen seit Beginn dieser Spielzeit DIE HAMBURGISCHE STAATSOPER [neuer alter Name, jetzt bezeichnenderweise unter Hinzufügung eines Personalpronomens] - und schon jetzt ist klar, dass es sich hierbei um ein echtes Dreamteam handelt. Beide jung und voller Energie. Wer da wen für sich ausgesucht haben mag, spielt eigentlich keine Rolle mehr; die Gewaltenteilung jedenfalls scheint vorprogrammiert: der Tobias konzipiert (sprich um-konzipiert) den ganzen Laden, und der Omer sorgt "ganz nebenbei" für einen neuen alten Klang des Philharmonischen Staatsorchesters - nicht zu vergessen übrigens, dass es seit 1677 Oper in Hamburg gab und gibt: Tradition verpflichtet halt! Und Neues, immer wieder Neues ist und bleibt gefragt...
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Andre Sokolowski - 13. Novemnber 2025 ID 15557
RUSLAN UND LJUDMILA (Hamburgische Staatsoper, 12.11.2025)
Große Zauberoper von Michail Glinka
Musikalische Leitung: Azim Karimov
Inszenierung, Bühne und Kostüme: Alexandra Szemerédy & Magdolna Parditka
Video: Janic Bebi
Licht: Bernd Gallasch
Choreinstudierung: Alice Meregaglia
Dramaturgie: Katinka Deecke und Judith Wiemers
Besetzung:
Ljudmila ... Barno Ismatullaeva
Ruslan ... Ilia Kazakov
Farlaf ... Alexei Botnarciuc
Bajan / Finn ... Nicky Spence
Ratmir ... Artem Krutko
Naina ... Kristina Stanek
Gorislawa ... Natalia Tanasii
Swetosar ... Tigran Martirossian
Chor der Hamburgischen Staatsoper
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Premiere war am 9. November 2025.
Weitere Termine: 22., 27.11./ 02., 11., 13., 19.12.2025
Weitere Infos siehe auch: https://www.die-hamburgische-staatsoper.de
https://www.andre-sokolowski.de
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