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nachDRUCK # 5

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Premierenkritik

Die kollektive

Anbetung des

Serienkillers



Heiko Trinsinger als Cardillac in der gleichnamigen Oper von Paul Hindemith - am Aalto Musiktheater Essen | Foto (C) Matthias Jung

Bewertung:    



Paul Hindemith (1895-1963) hat ungefähr ein Dutzend Werke fürs Musiktheater komponiert, seine wohl bekannteste und auch schönste Oper heißt Mathis der Maler, und sie erschien ihm wahrscheinlich selber so über alle Maßen schön, dass er parallel zu ihr eine gleichnamige Sinfonie beisteuerte, welche so schöne Satzbezeichnungen wie "Engelskonzert" oder "Versuchung des hl. Antonius" aufwies - beides, also Sinfonie und Oper, wird immer wieder gern gespielt und ebenso gern gehört.

Ganz anders verhält es sich mit seinem Opernerstling Cardillac, den er etwa fünf Jahre vorher in Noten setzte und 20 Jahre später nochmals überarbeitete; die Uraufführung dieser sog. Zweitfassung fand 1952 in Zürich statt; da griff er auf klare, barocke Formen wie Fugen, Chaconnes und Ricercare zurück, um die Szenen mehr zu strukturieren, und er orchestrierte deutlich schlanker und transparenter, was die Kontrapunktik zugunsten einer besseren Textverständlichkeit verdeutlichen oder verbessern sollte; heißt: Die Ur- und Erstfassung seines Cardillac (uraufgeführt 1926 in Dresden) klang dann schon ganz anders; die KI auf meinem Browser verkürzt die musikalische Charakteristik beider Fassungen wie folgt:


Hindemiths Cardillac (1926) in seiner Erstfassung zeichnet sich durch einen schlanken, neoklassizistischen Stil aus, der komplexe Kontrapunkte, bitonale/ polytonale Harmonik (oft mit Quartparallelen) und eine rhythmische Vitalität mit Anklängen an Jazz und Barock verbindet, um die düstere Geschichte des Goldschmieds darzustellen, wobei die Musik oft eine ironische Distanz zum Text wahrt und die psychologische Tiefe des Protagonisten musikalisch umsetzt, im Gegensatz zu späterer Fassung. [...] Die Erstfassung ist rauer, dissonanter und radikaler in ihrer Auseinandersetzung mit dem Material, während die zweite Fassung glatter, lyrischer und stärker auf eine harmonische Auflösung hin orientiert ist (z.B. mehr Tonalität), was sie zugänglicher macht. Sie gilt als musikalisch spannender und avantgardistischer."


Besagte Erstfassung, die am Samstagabend in der Übernahme einer 2019er Produktion der Opera Vlaanderen Antwerpen im AALTO MUSIKTHEATER ihre Essener Premiere feierte, war also jetzt im Ruhrpott seh- und hörbar, und ihre unsägliche Geschichte - das grauenhafte Libretto mit seiner umständlichen und bemühten Kunstsprache stammte von Ferdinand Lion (1883-1968), einem Schweizer Journalisten und Möchtegernschriftsteller - geht in etwa so hier:


"Der Goldschmied Cardillac fertigt wunderschöne Schmuckstücke an, die er nur widerwillig aus der Hand gibt. Nach dem Verkauf setzt er alles daran, seine wertvollen Schöpfungen zurückzubekommen – auch, wenn dafür Menschenleben geopfert werden müssen. Cardillacs Tochter wird von einem Offizier verehrt. Dieser wird auf das Treiben Cardillacs aufmerksam, weil der Goldschmied ihm zwar seine Tochter ohne Umschweife überlassen würde, er die Herausgabe eines Schmuckstücks für sie aber kaum ertragen kann. Ein Mordanschlag auf den Offizier scheitert, doch es kommt zu keiner Anklage des eigentlichen Täters Cardillac, stattdessen wird im zufällig auftauchenden Goldhändler der vermeintlich Schuldige gefunden. Schließlich aber gibt sich Cardillac vor der Menge als der wahre Mörder zu erkennen, das Volk richtet über sein Schicksal." (Quelle: theater-essen.de)


Die Inszenierung von Guy Joosten transportiert die Stückhandlung in die Zeit der Goldenen Zwanziger, und am Anfang vermeint man sowohl beim Hören als auch beim Sehen eine gewisse Parallele zur kollektiven Verfolgungshysterie in Fritz Langs M, eine Stadt sucht einen Mörder (tolle Chor-Tableaus in der Einstudierung von Bernhard Schneider!) erkannt zu haben - freilich nicht ahnend, dass eine halbe Stunde später die Adresse des kollektiv-hysterisch Gesuchten vom Goldschmied zum Goldhändler wechselte und die Inszenierung selbigen prompt als Juden (mit markanter Stimme und ausgezeichneter Textverständlichkeit: Magnus Piontek!) auszumachen imstande war und noch viel später, quasi kurz vor Schluss, nachdem der Cardillac (gespielt und gesungen von Heiko Trinsinger) seine Serienkillerschaft freimütig gestand, ihm unerklärlicherweise von der Masse "verziehen" wurde und sie ihm bereitwillig zu folgen versprach; so assoziierte es zumindest die Sicht vom guten Joosten, und was sollte man davon wohl halten?! Das dramaturgisch beklagenswerte Stück gibt das nicht her.

Dirigent Patrick Lange studierte den Cardillac musikalisch ein, und die Essener Philharmoniker musizieren aufs Grandioseste; ebenso beeindruckt der Opernchor des Aalto-Theaters.

Was Hindemith insbesondere den zwei bzw. drei männlichen Protagonisten (Cardillac, Offizier oder Kavalier) in seiner Oper gesanglich zumutet, wird von ihren jeweiligen Rollenträgern mit allzu großer Vehemenz und Lautstärke hervorgewuchtet und/ oder herausgepresst; es ist fast unsingbar, was da verlangt wird, und Heiko Trinsinger, Andreas Herrmann oder Samuel Furnes konnten einem da nur leid tun.

Betsy Horne war als Tochter und Astrik Khanamiryan als Dame besetzt.

Begeisterter Applaus.



Andreas Hermann (als Offizier), Heiko Trinsinger (als Titelfigur) und Betsy Horne (als Tochter) in Paul Hindemiths Oper Cardillac - am Aalto Musiktheater Essen | Foto (C) Matthias Jung

Andre Sokolowski - 8. Dezember 2025
ID 15596
CARDILLAC (Aalto Theater Essen, 06.12.2025)
Oper in drei Akten von Paul Hindemith

Musikalische Leitung: Patrick Lange
Inszenierung: Guy Joosten
Choreografie: Darren Ross
Bühne und Kostüme: Katrin Nottrodt
Licht: Jürgen Kolb
Choreinstudierung: Bernhard Schneider
Dramaturgie: Patricia Knebel und Piet De Volder
Besetzung:
Cardillac ... Heiko Trinsinger
Tochter ... Betsy Horne
Offizier ... Andreas Hermann
Goldhändler ... Magnus Piontek
Kavalier ... Samuel Furness
Dame ... Astrik Khanamiryan
Führer ... Andrei Nicoara
Statisterie und Opernchor des Aalto-Theaters
Essener Philharmoniker
Premiere an der Opera Vlaanderen Antwerpen: 3. Februar 2019
Essener Premiere war am 6. Dezember 2025
Weitere Termine: 13., 19.12.2025// 04., 07., 09., 15., 25.01.2026
Eine Produktion der Opera Vlaanderen Antwerpen


Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-essen.de


https://www.andre-sokolowski.de

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