Ganz nah dran
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Madlaina Pollina und Nora Steiner (von links nach rechts) von Steiner & Madlaina in der Kulturkirche Köln | Foto © Ansgar Skoda
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Am 11.11. in Köln das letzte Konzert einer Tournee zu geben, hierauf können ja eigentlich nur Nicht-Ortsansässige kommen. Allerlei Närrinnen und Jecken hatten in der rheinischen Domstadt nicht nur gegen 11:11 Uhr die Verkehrsbetriebe weitestgehend lahmgelegt und für großräumige Straßensperrungen gesorgt. Zum Konzert des Schweizer Duos Steiner & Madlaina in der Kölner Kulturkirche kamen dann auch einige Besucher verkleidet und sogar liebevoll mit LED-Lichtobjekten und Accessoires ausstaffiert. Seit zehn Jahren sind Nora Steiner und Madlaina Pollina, die ihrer Songs selbst schreiben, im Musikgeschäft. Die beiden Züricherinnen veröffentlichten am 7. November ihr viertes Studioalbum Nah dran. Sie lernten sich in der Schule kennen. Madlaina wohnt seit etwa fünf Jahren berufsbedingt in Wien, Nora lebt weiterhin daheim in Zürich.
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In der Kulturkirche eröffnet der Singer-Songwriter Max Payer, ehemaliger Wiener Sängerknabe, den Konzertabend kraftvoll mit Blues- und Soul-Momenten. Humorvoll leitet er sein Set mit Fragen zu Religion und Konfessionen an diesen besonderen Aufführungsort ein, bei dem das Gros der Zuhörer dicht gedrängt auf Kirchenbänken sitzt. Er fragt lachend, ob die Kulturkirche evangelisch oder katholisch sei? Wir antworten: evangelisch. Die atmosphärische Lutherkirche gehört weiterhin zur evangelischen Gemeinde in Nippes, wird jedoch regelmäßig als Konzertort genutzt. Im Frühjahr 2026 können Konzertliebhaber sich hier auf Größen wie Vonda Shepard, Bernhoft oder Jan Plewka freuen. Der Österreicher Max Payer begleitet seinen emotionalen Gesang an einer Gitarre. Starke Songs wie „Honeymoon“ oder „Pride“ handeln von zwischenmenschlichen Beziehungen und Momenten von Nähe.
Nuancenreich, Feinfühlig und unkonventionell geht es nach einer Dreiviertelstunde später mit den wechselseitig singenden Musikerinnen Steiner & Madlaina weiter. Begleitet werden sie von Max Kämmerling an der E-Gitarre, Nico Sörensen am Bass und Leonardo Guadarrama am Schlagzeug. Zusätzlich zur gewohnheitsmäßigen Live-Besetzung kommt noch das Streichertrio-Ensemble Amour sur Mars: Gina Été spielt Bratsche, sitzt aber auch mal am Keyboard oder beteiligt sich bei Backing Vocals, Anna Anton-Borkenhagen spielt Cello und Sebastian Lötscher Geige.
Madlaina wird nicht gerne auf ihre prominente Musikerfamilie angesprochen. Sie ist die jüngere Schwester vom Singer-Songwriter Julian Pollina alias Faber, zu dessen Band auch Gina Été und Max Kämmerling gehören. Ihr Vater ist der italienischstämmige Cantautore und Musiker Pippo Pollina. Die 29-Jährige sucht gleich zu Beginn den Kontakt zum Publikum. Madlaina nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn sie die Zuschauer herzlich begrüßt: „Und, seid ihr alle besoffen? Heute ist ja so etwas wie ein nationaler Feiertag. Habt ihr um 11:11 schon schön gefeiert? Da sehe ich ein Kostüm. Was stellst du dar? Blond. Das ist gut, das bin ich ja auch.“
Opulent, rau und verspielt erklingen die Songs in der großen Live-Besetzung mit vielen Streichern. Titel des neuen Albums, wie „Mama, ich bin ein reicher Mann“, „Du kannst nicht gut alleinsein“ oder „Leon“ zeugen vom nachdenklichen, melancholisch reflektierten Songwriting des Duos. Auf berührende Weise geht es in den eingängigen Melodien um Nähe und Intimität, um Solidarität und Vergänglichkeit. Sanft, gerne ironisch, werden ambivalente Gefühlswelten, Unzulänglichkeiten und Gesellschaftkritik verhandelt. In komplexen Indie-Melodien, beeinflusst von Pop, Jazz und Folk, geht es mitunter um die Kraft von Wutgefühlen oder, mit süffisanten Untertönen auch um Selbstfindung. Höhepunkte während des Konzertes sind auch „Prost mein Schatz“ und „Heile Welt“ aus ihrem zweiten Album Wünsch mir Glück von 2021.
Gegen Ende des Konzertes kündigt Nora an, dass das Ensemble zum neuen Album-Release eine Platte taufen möchte. Sie fragt das Publikum: „Dürfen wir hier eine Platte taufen, in dieser Location? Ja, das geht? Wir taufen die Platte mit Alkohol, die Hälfte des Schnapses für die Platte, die andere Hälfte des Schnapsglases trinke ich,“ so Nora. „Dann verschenken wir sie.“ Prompt wirft sie eine mit Alkohol begossene Vinyl-Platte von Nah dran in Richtung der rechten vorderen Reihen im Publikum. Wenige Minuten später entschuldigt die 31-Jährige sich: „Jetzt fühle ich mich schlecht, da du die Platte an den Kopf bekommen hast, auch noch mit Alkohol. Später am Merchandise kannst du gerne was anderes haben, ein T-Shirt oder eine andere Platte.“ Tatsächlich ist der Merch-Stand nach dem Konzert recht gut besucht.
Die reduzierter instrumentierten Songs lassen aufgrund der reizvoll durchdachten Lyrics aufhorchen. Sie erscheinen besonders stark. Wenn das Keyboard und Schlagzeug energiegeladen vermehrt zum Einsatz kommen, übertönt die hallende Akustik den Gesang der Künstlerinnen etwas. Gegen Ende verabschiedet sich die Band noch mit einem besorgten Verweis auf die aktuelle, politisch unsichere Weltlage. Sie spielen ein eindrückliches Cover von „Sag mir, wo die Blumen sind“ von Marlene Dietrich als letzte Zugabe.
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Madlaina Pollina und Nora Steiner (von links nach rechts) von Steiner & Madlaina in der Kulturkirche Köln | Foto © Ansgar Skoda
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Ansgar Skoda - 14. November 2025 ID 15558
https://www.steiner-madlaina.com/
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