Familie Zawose im
Humboldt Forum
lautten compagney BERLIN trifft Wagogo Drums aus Tansania
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Bewertung:
Vorgestern (14. November) gastierte die lautten compagney BERLIN mit Punta gegen Polly bei den Tagen Alter Musik in Herne; das Konzert wurde von WDR 3 übertragen und steht auf wdr.de (noch weitere 30 Tage) zum Nachhören bereit.
Punta gegen Polly war gleichsam Teil IV einer seit Juni 2023 gemeinsam mit dem Berliner Humboldt Forum veranstalteten Konzertreihe, die die lautten compagney unter dem Sammeltitel MUSICAL BELONGINGS stellte und in der sie Beispiele abendländischer Musik vom frühen Mittelalter über die Renaissance bis zum Spätbarock mit traditioneller Musik anderer Kontinente und Länder (Indien, Lateinamerika, China, Karibik, Nigeria) in Korrelationen brachte.
Gestern und heute nun wurde und wird diese Reihe mit Teil VI fortgesetzt, und diesmal heißt es: "lautten compagney BERLIN trifft Wagogo Drums aus Tansania".
Und was ist WAGOGO?
Die KI meines Browsers gibt hierüber wie folgt kurz Auskunft:
"WAGOGO ist die deutsche Bezeichnung für eine Bantu-Ethnie in Tansania, die auch Gogo oder Gongwe genannt wird und hauptsächlich in der Region Dodoma lebt. Sie sind bekannt für ihre Musik, insbesondere für die Nutzung von Ober- und Untertönen im Gesang, sowie für traditionelle Instrumente wie das Zeze-Saiteninstrument.
Ethnie: Die Wagogo sind eine Volksgruppe in Zentraltansania.
Musik: Sie haben eine hochentwickelte Oberton-Gesangstradition, bei der sie Teilton-Kombinationen nutzen. Die Musik ist oft mit traditionellen Instrumenten, wie der Schalenspießlaute Zeze, verbunden. Auch ein musikalisches Projekt, das traditionelle Wagogo-Musik mit westlicher klassischer Musik verbindet [gemeint ist wahrscheinlich das gestrige und heutige Konzert im Humbold Forum, AS], existiert.
Kultur: Die Kultur der Wagogo wird als eine mit vielen musikalischen Traditionen beschrieben. Ihre Musik spielt eine wichtige Rolle in ihrem sozialen Leben. Sie werden oft als eine körperlich und intellektuell starke Gruppe beschrieben."
Also:
"Die Verfahren sogenannter 'Alter Musik' aus Europa weisen Parallelen zu westafrikanischen Spielpraktiken auf, was beispielhaft an Techniken wie Ostinato/Riff, Call and Response und Hoketus/Interlocking nachvollzogen werden kann. Gemeinsamen Quellen und Differenzen geht das Projekt in einem einwöchigen Workshop und zwei Konzerten im Humboldt Forum nach. Dabei stehen zwei musikalische Traditionslinien im Mittelpunkt: Die Musik der Wagogo People aus Dodoma (Tansania) mit ihrer avancierten Vokal- und Perkussionskultur trifft auf Tänze aus der europäischen Renaissance, vor allem aus jenen Ländern, die als Kolonialmächte auf dem Staatsgebiet des heutigen Tansania präsent waren (Portugal, Großbritannien und Deutschland)." (Quelle: lauttencompagney.de)
Soweit die gar nicht mal so graue Theorie.
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Sinaubi Zawose mit seiner Schalenspießlaute - im gemeinsamen Konzert mit der lautten compagney BERLIN am 15.11.2025 im Berliner Humboldt Forum | Foto (C) Frank Sperling
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Und jetzt zu dem, was gestern Abend alles so zu sehen und zu hören war...
Fünf Mitglieder der legendären tansanischen Familie Zawose vereinigten sich mit der in München geborenen Mezzosopranistin Julienne Mbodjé, dem US-amerikanischen Bass und Lautenisten Joel Frederiksen sowie elf Instrumentalistinnen und Instrumentalisten der von Wolfgang Katschner (an der Laute) geleiteten lautten compagney BERLIN zu einem fast zweistündigen Programm inkl. schmissiger Zugabe, die das Publikum letztlich von seinen Sitzen riss.
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Der 2003 im Alter von nur 63 Jahren verstorbene Hukwe Zawose (er galt als der bedeutendste traditionelle Musiker Tansanias im 20. Jahrhundert) gründete die Musikerdynastie. Seine Tochter und Enkeltochter (Pendo & Lea Zawose, auch als The Zawose Queens weit über ihre Landesgrenzen hinaus bekannt) sangen und spielten auf der Ilimba (auch Lammelophon genannt) sowie den Ngoma Drums.
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Pendo & Lea Zawose (auch The Zawose Queens genannt) bei einem Zugabe-Tänzchen nach ihrem gemeinsamen Konzertes mit der laiutten compagney BERLIN am 15.11.2025 im Berliner Humboldt Forum | Foto (C) Frank Sperling
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Hukwes Sohn Sinaubi Zawose (ein Meister auf der sog. Zeze, einer 14-saitigen Schalenspießlaute; s. Foto oben) setzt die Familientradition fort und transformiert die Musik seiner Kultur in die Gegenwart. Seine Stimme klingt über alle Maßen schön, hat zudem einen beträchtlichen Umfang; ja, bei einigen der von ihm und den Zawose Queens vorgetragenen Songs schwingt er sich fast hinauf zu einem Diskant.
Mit dabei auch Hukwes Bruder Lucas Ubi Zawose und Hukwes Enkel Bahati Julius Zawose - der eine spielt Ilimba, Chilimba und Chizeze; der andere ist Perkussionist.
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Kurzum: Ihre Musik ist voller Energie und Leidenschaft, und es muss für die lautten compagney eine neugierige Freude und ein spielerischer Genuss gewesen sein, mit ihnen gemeinsam das Programm zu stemmen:
Es gab drei thematische Blöcke (Dramaturgie: Christian Filips) unter den Überschriften "Origins" (Ursprünge), "Hybrids" (Mischformen) und "Fusions" (Verschmelzungen), wobei sich der mittlere mit allein 14 Gesangs- und/ oder Instrumentaldarbietungen als der vielleicht interessanteste und aufregendste erwies, denn insbesondere hier vereinigten sich beide Kulturkreise zum gemeinsamen Singen und Musizieren; der Cellist Bo Wiget übernahm allein die musikalischen Arrangements von fünf (der 14) "gemischten" Nummern.
Meine persönlichen Favoriten waren das stimmungsvolle Eisvogel-Lied "Ríu, ríu, chíu" des Spaniers Mateo Flecha (1481.1553); die mit gediegenen Vokalisen angereicherten Fratres des inzwischen 90-jährigen estnischen Komponisten Arvo Pärt und der in seinem hoffnungsvollen Optimismus geradezu überbordende Sinaubi-Song "Never Give Up".
Melancholisch und doch anheimelnd klang es, als Joel Frederiksen sein zeitloses Liebeslied unter dem Titel Carolina Home zum Besten gab.
Auch Julienne Mbodjé wartete mit Eigenem auf: In "Sprich mal Afrikanisch" hinterfragte und hiphopte sie jegliche Klischees, die "naturgeborene" Weiße bei ihren mehr oder weniger zufälligen Begegnungen mit vermeintlichen Angehörigen des bunten Kontinents aus sich zu sondern nicht müde werden - dieser erfrischende Sarkasmus kam dann übrigens beim Publikum besonders gut an!
Der grandios gesungene und exzellent musizierte Abend war in seiner interkulturellen Mischung aufschlussreich und unterhaltsam zugleich; er verging wie im Flug.
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V.l.n.r.: Wolfgang Katschner, Martin Steuber und Hans-Werner Ape von der lautten compagney BERLIN bei ihrem gemeinsamen Konzert mit Mitgliedern der Familie Zawose am 15.11.2025 im Berliner Humboldt Forum Foto (C) Frank Sperling
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Andre Sokolowski - 16. November 2025 ID 15561
MUSICAL BELONGINGS VI (Humboldt Forum, 15.11.2025)
Pendo & Leah Zawose, Obertongesang und Ilimba (Lammelophon)/ Ngoma Drums
Sinaubi Zawose, Gesang und Zeze (Schalenspießlaute)
Lucas Ubi Zawose, Ilimba (Lammelophon)/ Chilimba/ Chizeze
Bahati Julius Zawose, Percussion
Julienne Mbodjé, Mezzosopran
Joel Frederiksen, Bariton und Laute
lautten compagney BERLIN:
Martin Ripper, Blockflöte
Anne von Hoff und Yumiko Tsubaki, Violine
Ulrike Paetz, Viola
Bo Wiget, Violoncello
Annette Rheinfurth, Kontrabass
Martin Steuber, Barockgitarre und Laute
Wolfgang Katschner, Laute
Hans-Werner Ape, Theorbe
Daniel Trumbull, Orgel und Cembalo
Peter A. Bauer, Percussion
Musikalische Leitung: Wolfgang Katschner
Christian Filips, Dramaturgie
Premiere war am 15. November 2025.
Weiterer Termin: 16.11.2025
https://www.lauttencompagney.de
https://www.andre-sokolowski.de
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