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nachDRUCK # 5

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DVD-Kritik

Russland in

Covent Garden





Bewertung:    



Auf dem Vorhang, riesengroß, der Brummkreisel des legitimen Thronfolgers nach Iwan dem Schrecklichen und dem frühen Tod seines schwachsinnigen Halbbruders Fjodor I., Dmitrij, dessen Ermordung leitmotivisch als Pantomime wiederholt wird.

Noch vor der Ouvertüre wird die Handlung, ebenfalls pantomimisch, vorweggenommen. Die Bühne ist zweigeteilt. Unten, im Halbdunkel, steht das geschundene Volk. Oben, unter einem hell ausgeleuchteten Bogen, wie im oberen Teil eines Ikonostas, bewegen sich im Zeitlupentempo die Herren: die Bojaren, der Vertreter der Kirche, der Intrigant Schujskij, die Prätendenten auf den Zarenthron.

2016 kam am Royal Opera House eine Neuinszenierung von Modest Mussorgskijs Boris Godunov zur Aufführung, die jetzt als DVD und Blu-ray vorliegt. 1983 hatte Andrej Tarkovskij die Oper, viel beachtet, aber vollkommen anders, in Convent Garden inszeniert.

Häufig wird zumindest die Titelrolle mit einem Russen besetzt. Bryn Terfel ist ihnen gewachsen. Überwältigend spielt der zum Zeitpunkt der Aufnahme 50jährige Waliser – ein Bravo für die Maske, die ihn altern lässt! (der historische Boris Godunov wurde nur 53 Jahre alt) – den durch einen (historisch nicht gesicherten) Auftragsmord an die Macht gelangten Herrscher, der als Mensch durchaus leidet und subjektiv den Eindruck hat, dass ihm das Volk nicht dankbar sei für die Wohltaten, die er ihm erwiesen hat. Es ist diese Ambivalenz, die Boris Godunov auch vom Libretto her zu einem Höhepunkt der Opern- und Dramengeschichte macht. Da profitiert Mussorgskij von Puschkins Genialität.

Aber das gesamte Ensemble, inklusive Chor, der in dieser Oper eine größere Bedeutung hat als in den meisten Opern der Musikgeschichte, sowie das Orchester unter der Leitung von Antonio Pappano, der sich, zugegeben: etwas gewagt, zumutet, den Russen zu italianisieren, sind von einer Qualität, die sich an jedem der größten Opernhäuser der Welt hören lassen könnte. Genannt sei John Tomlinson als Warlaam, dem die Schenkenszene, ein musikalisches und dramaturgisches Glanzstück in sich, Gelegenheit bietet, nicht nur mit dem Lied von der Eroberung der Stadt Kasan seinen kraftvollen Bass, sondern auch sein komödiantisches Talent zu präsentieren, und der lyrische Tenor Andrew Tortise in der ergreifenden Rolle des Gottesnarren.

Gespielt wird die deutlich kürzere Urfassung von 1869 ohne den später hinzugeschriebenen Polen-Akt und mit der Gottesnarrszene kontrastiv mittendrin statt als mit guten Gründen politisch verstandene Pointe am Ende. Wenn Boris Godunov heute zu Recht als eine der ganz großen Opern des 19. Jahrhunderts gilt, so liegt das wohl nicht zuletzt an der Einheit von nationaler Tradition und revolutionärer Modernität. Dass es in der ersten Fassung nur drei Minirollen für Frauen gibt, mag jene empören, die in erster Linie nachzählen, ob die Quote stimmt. In Ariane et Barbe-Bleue von Paul Dukas gibt es nur eine und in Puccinis Schwester Angelica keine einzige Männerrolle. Ätsch.

Der Regisseur Richard Jones geht einen Mittelweg zwischen Stilisierung und behutsam historisierendem Realismus. Für beide Entscheidungen existieren in der Aufführungsgeschichte überzeugende Beispiele. Die Kamera respektiert vorbildlich die symmetrische Anordnung der Inszenierung. Dies ist eine Opernaufzeichnung im besten Verständnis, kein Film. Bitte mehr davon!


Thomas Rothschild – 21. August 2023
ID 14342
Nähere Infos unter https://www.naxos.de/neuheiten/0809478073147/


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