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CD-Kritik

Jandl goes Jazz





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Es ist ein Beispiel für die Ironie der (Literatur-)Geschichte: Der harte Kern der Wiener Gruppe – Artmann, Rühm, Bayer, Wiener und Achleitner – hat Ernst Jandl nie als einen der Ihren anerkannt. Er habe die eigentliche Idee der sogenannten „Konkreten Poesie“ nicht verstanden, hätte den Selbstwert der Sprache dem (oberflächlichen) Witz geopfert. Jandl aber hat sie an Bedeutung alle überlebt, seine Texte sind weit über den Kreis der Sprachexperimentatoren bekannt und werden von Jungen zitiert, die noch nie etwas von Konkreter Poesie gehört haben. Und so faszinierend es war und ist, Artmann oder Rühm bei Lesungen zuzuhören: im mündlichen Vortrag blieb Jandl unübertroffen. Mit ihm kehrte die Poesie dorthin zurück, woher sie vor der Omnipräsenz des Schriftlichen stammte, zur Mündlichkeit.

So wenig Jandl der Erfinder dieser Mündlichkeit war, so wenig gehörte er zu den Ersten, die Jahrhunderte später die Fusion von Jazz und Lyrik erfanden. In verschiedenen Ländern, so auch in Deutschland und Österreich, unternahmen Dichter und Musiker nach dem Zweiten Weltkrieg unterschiedliche Versuche, improvisierte Musik und Poesie zu vermählen. Voraussetzung freilich war die nicht selbstverständliche Bereitschaft zur Grenzüberschreitung, zur „wechselseitigen Erhellung der Künste“. Ernst Jandl, Jahrgang 1925, war ein entschiedener Jazzfan. Zu den Musikern, mit denen er auftrat und Tonträger aufnahm, zählte auch der 37 Jahre jüngere Posaunist und Komponist Christian Muthspiel. Der hat jetzt, fünfundzwanzig Jahre nach Jandls Tod, unter dem Titel vom Jandln zum Ernst eine Doppel-CD herausgebracht, die den Partner von einst durch dessen eigene Stimme würdigt.

Die Anthologie enthält eher weniger bekannte Jandl-Dichtungen. Aber die Musik von Christian Muthspiel und seinem ORJAZZTRA VIENNA kann auch für sich bestehen, genauer: Jandls Vortrag wird zum Bestandteil dieser Musik. Und wiederum verweist das auf Vorläufer, auf die Ursonate von Kurt Schwitters etwa oder auf Arnold Schönbergs Pierrot lunaire.

Der letzte Titel besteht aus einem einzigen Satz: „demokratie – unsere ansichten/ gehen als freunde/ auseinander.“ Er ist charakteristisch für das Werk Ernst Jandls: in der Allgemeinheit der politischen Aussage; in der Einheit von Botschaft und Kalauer; und nicht zuletzt in der Nähe zu Jandls Überzeugungen. Aus ihm spricht der unbeirrbare Sozialdemokrat, der geprägt ist von der Erfahrung des Nationalsozialismus und dem österreichischen Katholizismus. Dass Jandl im „wirklichen“ Leben nicht immer konsequent seinen Maximen folgte: sei’s drum. Widersprüche gehörten zu ihm wie der Mops, der bekanntlich kotzt, zu Loriot. Der kurioseste war wohl, dass dieser Dichter, dessen Verse so komisch sein konnten, einer der humorlosesten Menschen war, die ich kennenlernen durfte. Ich kann mich an cholerische Ausfälle erinnern, nicht aber an einen Hauch von Selbstironie. Von der Verbindlichkeit eines Erich Fried, den er über politische „Ansichten“ hinaus, aber mit der gemeinsamen Leidenschaft für das Wortspiel schätzte, hatte Jandl keine Spur. Unsere Ansichten gingen keineswegs immer als Freunde auseinander.



Thomas Rothschild – 8. September 2025
ID 15448
https://col-legno.com


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