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nachDRUCK # 5

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CD-Kritik

Jenseits des

Rosenkavaliers





Bewertung:    



In meiner Schulzeit musste man sich entscheiden zwischen dem Kunstunterricht, der im Wesentlichen aus dem Zeichnen von Herbstblättern bestand, und dem Musikunterricht. Unser Musiklehrer Eberhard Würzl, ein hervorragender Pädagoge, der ursprünglich eigentlich Sänger werden wollte, und dankbar für jeden Schüler, der den Musikunterricht der Turnstunde vorzog, hat mit uns unter anderem Mussorgskis Bilder einer Ausstellung, den Zauberlehrling von Paul Dukas und Till Eulenspiegels lustige Streiche von Richard Strauss „durchgenommen“. Ich glaube nicht, dass er eine besondere Vorliebe für diese Werke gehegt hat. Ich weiß nur, dass er Tschaikowski verachtete und Johann Strauß für unterschätzt hielt. Seine Überlegung war vermutlich, dass man junge Menschen leichter zur Musik hinführen konnte, wenn diese auf außermusikalische Inhalte Bezug nahm, eine „Geschichte“ erzählte. Programmmusik war dafür, wie Opern, ein Steigbügel.

Manche Musikkenner lehnen Programmmusik vehement ab. Die Wahrheit ist: es gibt gute und schlechte Programmmusik, wie es gute und schlechte absolute Musik gibt. Man muss Richard Strauss, der im Dritten Reich Präsident der Reichsmusikkammer wurde und auf Hitlers Gottbegnadeten-Liste figurierte, politisch ebenso wenig mögen wie den eifernden Antisemiten Richard Wagner. Über deren Kompositionen, die man lieben kann, aber nicht muss, sagt das nichts aus. Überliefert ist der mal Anton Bruckner, mal Hans von Bülow, mal Hans Pfitzner zugeschriebene Ausspruch: „Wenn schon Richard, dann Wagner, wenn schon Strauss, dann Johann.“ Wo es um Tondichtungen geht, steht Richard Strauss wohl an oberster Stelle.

*

OehmsClassics hat nun sämtliche sinfonische Tondichtungen von Richard Strauss, die das Frankfurter Opern- und Museumsorchester, das eine historische Bindung zu Strauss aufweisen kann, unter seinem Generalmusikdirektor Sebastian Weigle im Lauf der Jahre aufgenommen hat, in einer Box vorgelegt.

Gut möglich, dass wir die Tondichtungen von Richard Strauss heute mit von Filmmusik trainierten Ohren wahrnehmen. Es ist ja kein Zufall, dass sie nachgerade inflationär als Hintergrundmusik ausgebeutet und nachgeahmt werden. Ihre Dramatik und ihre Effekte dürften uns weniger überraschen als die Zeitgenossen des Komponisten.

Sebastian Weigle schenkt allerdings dem lyrischen, in Harmonien schwelgenden Strauss – etwa in der Symphonia Domestica – nicht weniger Aufmerksamkeit als dem Dramatiker. Dann wiederum kostet er die Crescendi, die Ritardandi und die Generalpausen bis zum Extrem aus.

Der besondere dramaturgische Reiz der „phantastischen Variationen über ein Thema ritterlichen Charakters“ Don Qixote besteht darin, dass ein dem Orchester gegenübergestelltes Soloinstrument, das Cello, die Titelfigur repräsentiert. Sie scheint dadurch tatsächlich über die Musik zu agieren: Programmmusik im engsten Verständnis. In der vorliegenden Aufnahme spielt Isang Enders das Violoncello zugleich eindringlich und bewegt. Der „Ritter von der traurigen Gestalt“ wird über die Ohren vor den Augen lebendig.

Die Verarbeitung von folkloristischem Material bei Brahms, Tschaikowski, Dvořák oder Sibelius ist uns vertraut. Bei Richard Strauss ist sie eher erstaunlich. Im vierten Satz seiner frühen „Sinfonischen Fantasie“ Aus Italien, die, anders als etwa Don Quixote oder Ein Heldenleben nicht zum Kernbestand des Konzertbetriebs gehört, verwandelt er das neapolitanische Lied Funiculì, Funiculà, das gar kein echtes Volkslied, sondern gerade erst sechs Jahre vor Strauss‘ Komposition entstanden ist, seinem Idiom an.

Insgesamt belegt die Edition die fast experimentelle Vielfalt von kompositorischen Herangehensweisen, die Richard Strauss in seinen Tondichtungen angewandt hat, ohne Verrat zu üben an einem durchaus identifizierbaren Personalstil. Einige Merkmale tauchen, unverwechselbar, immer wieder auf – so etwa die aufsteigenden Melodien, die zu einer ideologiekritischen oder auch psychoanalytischen Interpretation geradezu einladen.

Bei den live aufgenommenen Stücken, die das Ende mit allen Mitteln hinauszögern, wurde der Applaus außer nach dem letzten Titel auf der ersten CD geschnitten. Man könnte auch dort auf ihn verzichten, zumal wenn ein paar Idioten meinen, sich durch schrille Pfiffe verewigen zu müssen. Zumindest hätte man nicht so lange mit dem Ausblenden warten sollen. Erfolg lässt sich nicht suggerieren.


Thomas Rothschild – 1. April 2020 (2)
ID 12131
Oehms Classics-Link zu den Tondichtungen von Strauss


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