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CD-Kritik

Wiener Kasperl





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In der österreichischen Tageszeitung Die Presse vom 16. August 2015 hat der Komponist und Dirigent HK Gruber ein ausführliches Interview gegeben, in dem er sich über sein Verhältnis zu Kurt Weill äußert. Darin sagt er unter anderem:

„Alles, was in den Sechzigerjahren Neue Musik genannt wurde, war an Darmstadt orientiert. Das Zentrum dort entwickelte die serielle Technik – vereinfacht ausgedrückt ist sie eine Fortführung der Zwölftonmusik. Dieses Zentrum für das Zeitgenössische diktierte sozusagen, wie man zu komponieren hatte. Mir als jungem Künstler widerstrebte diese Art der Musik. Für mich muss der Komponist eine Sprache entwickeln, die sich ohne fachkundige Einführungsvorträge direkt ans Publikum wendet und sofort verstanden wird. Da sind Kurt Schwertsik und ich auf eine Idee gekommen, für die wir als 'Wiener Kasperln' bezeichnet wurden. Wir haben 'MOB art & tone Art' gegründet, ein Pendant zu dem, was Weill und Eisler in Berlin entwickelt haben: Vereinfachung der Musik, ohne auf Komplexität zu verzichten. Wir haben Rhythmus, Harmonie und Melodie als die drei wichtigsten Elemente der Musik angesehen. Das war damals ein Vergehen, für das man aus dem Zentralkomitee Neuer Musik fristlos ausgeschlossen wurde.“

Der erwähnte Kurt Schwertsik, 1935 in Wien geboren und gelernter Hornist, gehört zu den originellsten österreichischen Komponisten seiner Generation. Mit Friedrich Cerha gründete er das Ensemble die reihe, das sich, jedenfalls vor der Gründung des Österreichischen Ensembles für Neue Musik und des Klangforums Wien, wie kein zweites in Österreich um die zeitgenössische Musik verdient gemacht hat. Schwertsiks Werk ist vielfältig. Mit dem im selben Jahr geborenen und schon 2006 gestorbenen Otto M. Zykan und dem acht Jahre jüngeren HK Gruber verbindet ihn eine Vorliebe für spielerischen Witz in der Musik. Neben Instrumentalkompositionen, darunter Konzerten für ganz unterschiedliche Instrumente von der Violine über die Posaune bis zur Pauke und zum Alphorn, hat er rund ein Dutzend Bühnenwerke, darunter eine Oper nach Rainer Werner Fassbinders Katzelmacher, sowie Lieder, unter anderem in der Kunstsprache Starckdeutsch des Dichters Matthias Koeppel, geschrieben.

Jetzt sind, interpretiert von der japanischen Pianistin Aya Klebahn, Die Klavierwerke, sämtliche Werke für Solopiano von Kurt Schwertsik, auf einer CD [unter dem Titel Die Klaviewerke] des zu einem traditionsreichen Schallplattengeschäft in der Wiener Innenstadt gehörenden kleinen Labels Gramola erschienen, das in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts aus einem tschechisch-britischen Label hervorgegangen ist.


Aya Klebahn spielt mit hörbarer Einfühlung, als handelte es sich um Musik der Romantik. Dann wiederum beginnt sie eine Fuge im Geist von Bach, um auf halbem Weg in groteske Pointierung zu wechseln. Das entspricht den verschiedenartigen Kompositionen, die bei aller Modernität Reverenz an die Musikgeschichte erweisen und nicht leugnen, was sie ihr zu verdanken haben. Die undogmatische Vielfalt von Schwertsiks Querverweisen bezeugen die Namen, denen der Komponist die 14 Teile seines zentralen Zyklus, der zwischen 1969 und 2015 entstandenen Albumblätter, widmet. Sie reichen von H. C. Artmann bis Dennis Russell Davies, von dem Kollegen Paul Kont bis zu dem Choreographen Jochen Ulrich. Vollends in die Romantik zurückversetzt wähnt man sich bei der Miniature, die Schwertsik seiner Frau und lebenslangen künstlerischen Partnerin Christa, der Mutter von Julia und Katharina Stemberger, zugeeignet hat.

Das letzte Stück der CD Eden-Bar, Seefeld ist zugleich das erste Soloklavierstück und das Opus 6 des Komponisten, 1961 entstanden. Es dokumentiert die seriellen Gehversuche im Schatten von Darmstadt und Stockhausen und beglaubigt, dass es nicht Unfähigkeit, sondern eine bewusste Entscheidung war, was Schwertsik zur Tonalität zurückkehren ließ.

Kurt Schwertsik wirkt mit seinem schelmischen Blick und seinem freundlichen Lächeln wie ein Fremdkörper in unserer Zeit der Selbstinszenierung und des Buhlens um Aufmerksamkeit. Das hört man der Musik des „Wiener Kasperls“ auch an. Sehr zu ihrem Vorteil.

Aufgenommen wurden die 28 vorwiegend sehr kurzen Stücke 2013, 2014 und 2019. Es hat also sieben Jahre gedauert, bis das Werk auf einem Tonträger beisammen war und für die Hörer zugänglich wurde. Man sollte davon Gebrauch machen.


Thomas Rothschild – 11. Juli 2020
ID 12348
Link zur CD mit den Klavierwerken von Kurt Schwertsik


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