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CD-Kritik

Zwölfton und

Gesinnung





Bewertung:    



Wie anders als mit Borniertheit will man es sich erklären, dass eins der monumentalen symphonischen Werke des 20. Jahrhunderts nicht zum Standardrepertoire des deutschen Konzertlebens zählt, die Deutsche Sinfonie von Hanns Eisler, begonnen 1935 im Exil und fertiggestellt 1958 in der DDR? Der McCarthyismus wuchert weiter in deutschen Köpfen. Ihn hat man sich, komplementär zur Desavouierung des Sozialismus, insgeheim zu eigen gemacht. Symptomatisch für dieses Koordinatensystem ist es, wenn der Guru Sloterdijk, der sich zu einem Philosophen verhält wie Guido Knopp zu einem Historiker, dieser Tage die Maßnahmen des Staates gegen die Verbreitung des Corona-Virus als „semisozialistisch“ klassifizierte. Gegen eine staatliche Finanzierung seiner Professur, über deren gesamtgesellschaftlichen Nutzen man unterschiedlicher Meinung sein kann, hatte er nichts einzuwenden. Aber für Verkünder vom Format dieses Entertainers und Ideologen „einer unternehmerisch erzogenen Mittelklasse“, der immerhin selbstkritisch eingesteht, dass „mehr als fünfzig Prozent aller Äußerungen auf der Basis von Heuchelei gesprochen werden“, ist wohl auch John Maynard Keynes ein Semisozialist.

Eislers Deutsche Sinfonie vereint mehrere Aspekte des so vielseitigen und scheinbar widersprüchlichen Komponisten und Schönberg-Schülers in sich, Avantgarde und das Bedürfnis nach Verständlichkeit, Materialfortschritt und politisches Bewusstsein. Die finsteren Zeiten, in denen „Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist / Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt“, ließen nicht zu, was Eisler mit Sicherheit vorgezogen hätte und was er in anderen Werken, trotz allem, verwirklicht hat.

Die politische Motivation verlangte nach Sprache, die auf den Begriff brachte, was Musik nur uneindeutig zu formulieren vermag. Der Freund und künstlerische Partner Bertolt Brecht stand Eisler dabei hier wie anderswo zur Seite. Aber auch die Musik – etwa ein Zitat der Internationalen gleich im ersten Satz – lässt jenseits der Verbundenheit zu Schönbergs Zwölfton-Technik keine Zweifel an der Parteilichkeit des Komponisten.

Das Capriccio-Label wurde im Archiv des Österreichischen Rundfunks fündig. Es legt eine Aufnahme der, je nach Zählung, aus elf bis vierzehn Sätzen bestehenden Sinfonie mit dem RSO Wien und dem Wiener Jeunesse Chor unter der Stabführung von dessen Gründer und langjährigem Leiter Günther Theuring aus dem Jahr 1989 vor. Die Besetzung erinnert, der Gattungsbezeichnung zum Trotz, eher an ein Oratorium oder eine Kantate als an eine Sinfonie. Der Titel Passacaglia für den zweiten Satz verweist in diese Richtung und auf Johann Sebastian Bach. Solisten sind in der vorliegenden Aufzeichnung Ursula Targler (Sopran), Hanna Fahlbusch-Wald (Mezzosopran), Michael Ebbecke (Bariton) und Jaroslav Štajnc (Bass), als Sprecher kommen Gottfried Neuner und Christian Schramm hinzu.


Auf die thematisch locker verbundenen ersten sieben Sätze der Deutschen Sinfonie folgen die viersätzige Bauernkantate mit einem Text des Komponisten nach Ignazio Silone, die Arbeiterkantate (Brechts Lied vom Klassenfeind), ein zehneinhalbminütiges Allegro für Orchester und der nur einminütige Epilog aus den Bildern aus der Kriegsfibel von 1957.

*

In ihrer Haltung, wenngleich nicht in ihrer Tonsprache, ist die Deutsche Sinfonie in eine Reihe zu stellen mit der im selben Zeitrahmen entstandenen Leningrader Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch und mit Ein Überlebender aus Warschau von Arnold Schönberg sowie dem War Requiem von Benjamin Britten. Es ist an der Zeit, nicht nur dem vielleicht bedeutendsten Werk Hanns Eislers, sondern einem der Meilensteine der Musik des 20. Jahrhunderts Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Das Alphabet will es, dass die CD von Hanns Eisler im Regal neben jene von Gottfried von Einem zu stehen kommt. Nach dem Sieg Hitlers über die Weimarer Republik musste Eisler, der 1925 von Wien nach Berlin übersiedelt war, Deutschland verlassen. Vier Jahre nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten, 1937, ging der zwanzig Jahre jüngere Gottfried von Einem den umgekehrten Weg aus dem noch nicht angeschlossenen Österreich, aus Wien, in die Hauptstadt des Deutschen Reichs, nach Berlin. 1944 dirigierte das doppelte NSDAP-Mitglied Herbert von Karajan, Adelige unter sich und unter Goebbels, die Uraufführung des Concertos für Orchester Gottfried von Einems. Zur gleichen Zeit schrieb Hanns Eisler an seiner Deutschen Sinfonie gegen den Faschismus. Er wollte ihr ursprünglich den Untertitel „Konzentrationslagersinfonie“ geben.

Gottfried von Einem wurde 1946 Berater und 1948 Direktoriumsmitglied der Salzburger Festspiele. Der Versuch von Einems, Bertolt Brecht in die Festspiele einzubinden und ihm die dafür erforderliche österreichische Staatsbürgerschaft zu vermitteln, scheiterte. Mit dem alten Freund Herbert von Karajan hatte er, zunächst jedenfalls, weniger Schwierigkeiten. Das Salzburgwiki hält fest: „Es war Gottfried von Einem eine späte Genugtuung, dass sich – Jahrzehnte danach – der ehemalige Salzburger Landeshauptmann und nachmalige Bundeskanzler Josef Klaus bei ihm wegen der Ereignisse um Bertolt Brecht entschuldigte.“ Von Josef Klaus, damals noch Landeshauptmann (Ministerpräsident) von Salzburg, stammt der kernige Satz aus dem Jahr 1954: „Trotzdem, die Verjudung der Festspiele, die gibt’s bei mir nicht.“ Hanns Eisler fand, als er 1948 aus den USA ausgewiesen wurde, in Österreich weder an der Akademie für Musik und darstellende Kunst, noch am Konservatorium der Stadt Wien eine Anstellung. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als Bertolt Brecht in die DDR zu folgen. Bei den Salzburger Festspielen wurde ein Werk Hanns Eislers erstmals im Jahr 1988 aufgeführt. Zwei österreichische Komponisten, zwei Lebensläufe.


Thomas Rothschild – 21. Februar 2021
ID 12764
Capriccio-Link zur Deutschen Sinfonie von Hanns Eisler


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