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Die Walküre an der Staatsoper Stuttgart | Foto (C) Martin Sigmund

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Traditionell war es üblich, den Ring des Nibelungen durchgängig von einem einzigen Team inszenieren zu lassen. In Stuttgart geht man nun den extrem entgegengesetzten Weg. Nicht nur die einzelnen Teile des Zyklus, sondern sogar die einzelnen Akte der Walküre werden von je anderen Künstlern in Szene gesetzt. Dabei greift die Intendanz nicht auf bewährte Regisseure zurück, sondern auf Proponenten der einzelnen Mitarbeitergruppen: des Figurenspiels, des Lichtdesigns und des Kostüms. Mehr noch: für den ersten Akt zeichnet nicht ein Einzelner, sondern ein Kollektiv, Hotel Modern aus den Niederlanden, verantwortlich. Ein gewagtes Unterfangen. Ist es nur originell, oder bringt es auch Gewinn?

Die Antwort auf diese Frage wird je nach Vorlieben unterschiedlich ausfallen. Und auch nach Erfahrungen. Wer etwa andere Arbeiten von Hotel Modern gesehen hat, wird eher enttäuscht sein über die Wiederholung bewährter Methoden und die mangelnde Bereitschaft, sich auf den Stoff der Oper einzulassen. Gleich zu Beginn wuseln Ratten über die Bühne, die putzig anzusehen sind, aber mit der Walküre reichlich wenig zu tun haben. Und wenn die Minikamera an Minilandschaften mit zerstörten Häusern und schiefen Panzern entlang fährt, dann sieht das zwar aus wie Mariupol in einem tschechischen Trickfilm der sechziger Jahre, aber mit dem Zweikampf zwischen Siegmund und Hunding hat der moderne Krieg so viel gemeinsam wie Brünnhilde mit Heidi Klum. Überhaupt: diese Mode von Puppen plus Video! Was hat das Ergebnis einem vorproduzierten Film voraus? Mehr als ein Gag ist es nicht. Auch dann nicht, wenn die maskierten Sänger zwischendurch wie Puppen geführt werden. Das alles wirkt wie eine Ausrede für die statische, einfallslose Darstellerführung. Das war im vorausgegangenen Stuttgarter Ring dezidiert anders.

Die aktuelle Brünnhilde sieht aus wie eine Brünnhilde. Wotan aber gleicht eher dem Professor Unrat eines Emil Jannings, dem Marlene Dietrich abhanden gekommen ist. Und die Walküren tänzeln aufgeregt und ziemlich läppisch über sehr bunte abstrahierte Hügel.

Die Zuständigen fürs Licht machen nichts anderes, als was sie immer machen. Immerhin lenkt die Konzeption die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung der gemeinhin allzu wenig beachtete und in Kritiken kaum erwähnte Lichtregie. Dennoch: manches Arrangement wirft Fragen auf. Wenn Brünnhilde hinter Siegmund zwischen Säulen und Fackeln erscheint, ist die Inszenierung ganz nah an einer faschistischen Ästhetik. Eine Kritik daran ist nicht zu erkennen. Eher schon ist der Effekt affirmativ.

Und dann die Übergänge. Zwischen dem ersten und dem zweiten Akt ist das leitmotivschwangere Schwert Nothung arg geschrumpft. Und zwischen dem zweiten und dem dritten Akt ist aus dem bürgerlichen Wotan eine Art Sarastro mit mehrfarbigem Kittel geworden. Er verkörpert den menschlichen, also auch unmenschlichen germanischen Gott anstelle des christlichen Gottes, dessen unendliche Güte man sich gerade zu Ostern vom Vatikan bis zum Deutschlandfunk auch noch angesichts des Schlachtens in der Ukraine zurechtlügt.



Die Walküre an der Staatsoper Stuttgart | Foto (C) Martin Sigmund

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Konstante in diesem Ring, der nun zur Hälfte abgeschlossen ist und Ende Januar 2023 seine Götterdämmerung erleben wird, ist der Generalmusikdirektor Cornelius Meister. Seine Anerkennung als Wagner-Dirigent bezeugt die ehrenvolle Bestellung für die heurige Eröffnungspremiere – Tristan und Isolde – in Bayreuth. Wie er mit wohldosierten Crescendi Spannung erzeugt, gleicht mehr als aus, was einem visuell vorenthalten wird. Musikalisch ist diese Stuttgarter Walküre insgesamt ein Fest. Genannt seien als primi inter pares Simone Schneider als Sieglinde, Okka von der Damerau als Brünnhilde und Goran Jurić in der Rolle des Hunding, der wegen der Einmischung der Göttlichen und seines frühen Todes allzu wenig zu singen hat.

Thomas Rothschild – 19. April 2022
ID 13582
DIE WALKÜRE (Staatsoper Stuttgart, 18.04.2022)
Musikalische Leitung: Cornelius Meister
Regie, Bühne, Kostüme, Licht, Live-Animation-Film (1. Aufzug): Hotel Modern
Licht (1./3. Aufzug): Reinhard Traub
Regie, Raum, Licht (2. Aufzug): Urs Schönebaum
Kostüme (2. Aufzug): Yashi
Dramaturgie (2. Aufzug): Yvonne Gebauer
Mitarbeit Raum (2. Aufzug): Thomas Boudewijn
Bewegungsstatisterie: Janine Grellscheid
Regie, Bühne, Kostüme (3. Aufzug): Ulla von Brandenburg
Mitarbeit Regie (3. Aufzug): Benoȋt Résillot
Mitarbeit Bühne und Kostüme (3. Aufzug): Julia Mossé
Dramaturgie: Ingo Gerlach und Julia Schmitt
Besetzung:
Siegmund ... Michael König
Sieglinde ... Simone Schneider
Hunding ... Goran Jurić
Brünnhilde ... Okka von der Damerau
Wotan ... Brian Mulligan
Fricka ... Annika Schlicht
Gerhilde ... Esther Dierkes
Helmwige ... Clare Tunney
Waltraute ... Leia Lensing
Schwertleite ... Stine Marie Fischer
Ortlinde ... Catriona Smith
Siegrune ... Linsey Coppens
Roßweiße ... Anna Werle
Grimgerde ... Maria Theresa Ullrich
Staatsorchester Stuttgart
Premiere war am 10. April 2022.
Weitere Termine: 23., 29.04. / 02.05.2022

Weitere Infos siehe auch: https://www.staatsoper-stuttgart.de


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