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Premierenkritik

Die

Indoktri-

nierten



Asmik Grigorian als Salome in der neuen Produktion der Hamburgischen Staatsoper | Foto (C) Monika Rittershaus

Bewertung:    



"Unter dem Antlitz des wandernden Mondes streiten Geist und Leib in all ihrer Größe und Erbärmlichkeit, bis das Blut zweier Körper fließt. Strauss bleibt nah an der Wilde’schen Nachschöpfung des biblischen Stoffes, die Salome vom Werkzeug ihrer Mutter zur Autonomie führt. Sie ist es, die in ihrem unerfüllten Verlangen nach dem befreiend Andersartigen, dem Körper des Propheten Jochanaan, auf Rache sinnt und seinen Kopf verlangt – ein Preis, den die männerdominierte Gesellschaft um Herodes für ihren Tanz zu zahlen bereit ist. Nun, da Salome seinen abgetrennten Kopf in Händen hält, kann sie Jochanaan küssen, ihn wenn nicht lebendig, so doch tot besitzen. Wie unter einem Brennglas gießt Strauss die dämonische Dramaturgie Oscar Wildes gleich einer Eruption der Psyche in Töne und begleitet seine Protagonistin von ihrem gescheiterten Ausbruch aus der Dekadenz ihres Daseins in den Tod." (Quelle: staatsoper-hamburg.de)

*

Das alles [s.o.] meint das für den Komponisten Richard Strauss von Librettistin Hedwig Lachmann übersetzte gleichnamige Stück des irischen Dichters Oscar Wilde, das Strauss als einaktige Oper einrichtete; 1905 fand ihre Uraufführung statt. Nach Guntram sowie Feuersnot war's erst die dritte Oper von ihm, ja und die nachfolgenden vier (Elektra, Rosenkavalier, Ariadne, FroSch) gelangten - wie die Salome - zu Welterfolgen und sind's bis zur Gegenwart geblieben, sozusagen untotkriegbar.

Für den Regisseur und Bühnenbildner Dmitri Tcherniakov, welcher sich in den von ihm bevorzugten und abzuarbeitenden Opernvorlagen v.a. für die oftmals kranken Psychen ihrer jeweiligen Hauptgestalten analytisch zu begeistern scheint, bot aktuell die Salome, die er dann gestern Abend für die Hamburgische Staatsoper ablieferte, ein schier gefund'nes Fressen, um die Deutung ihrer eigentlich monströs daherkommenden Jungmädchengeschichte - ungezog'nes großes Kind erzwingt sich seinen ungesunden körperlichen Willen, den es letztlich ungezogen-ungesund "rein körperlich" vollstreckt - in einen völlig anderen und ziemlich unerwartbaren (Deutungs-)kanal zu lenken resp. umzuleiten:

Die Geschichte spielt heutig während einer von einem durchgeknallten Despoten ausgerichteten Geburtstagsfeier, bei der der Jubilar neben eingeladenen Kollegen und Bekannten auch ein paar Familienangehörige (insbesondere die ihn hassende Gattin und die ihn von Grund auf missachtende Stieftochter) sowie eine von ihm festgehaltene Geisel um die üppig gedeckte Festtafel zusammengeführt hat. Man/ frau plaudert über dies & das, auch über Religion und Politik. Und der, der eine Art von "Ehrenplatz" direkt gegenüber seines Gastgebers einnehmen darf, ist der von allen Umsitzenden angestaunte "Ehrengast" Jochanaan (Herodes' Geisel). Dieser scheint mit einer gewissen Indoktrinisierung behaftet zu sein, seine von wem auch immer eingetrichterten religiösen Ansichten, die er selbstbewusst und durchaus überzeugend von sich gibt, erzeugen allgemeines Staunen bei den Zuhörenden, die meisten reagieren freilich kopfschüttelnd oder lachen ihn bloß aus - dennoch, er lässt sich nicht beirren, liest in seiner Bibel und zitiert das eine oder andere hieraus, raucht ruhig seine Havanna und scheint irgendwie total in sich gekehrt... Was will der Mann? was hat der hier verloren?? will der wen bekehren oder wie??? Das fragt sich auch dann Salome, und weil sie sich mit ihm nicht, weder intellektuell noch bildungshaft, auf Augenhöhe fühlt, probiert sie es mit dem sie schon von Kindheit an piesackenden und (durch die vielen Missbräuche durch ihren Stiefvater) arg sexualisierenden Instinkt, kurzum: Sie steigert sich in eine sie letztlich zum Selbst- und Herztod führende Begehrlichkeit hinein.

Es rollt kein Kopf, es fließt kein Blut. Zum Schluss gleichen sich zwei Indoktrinierte wie aufs Haar - er bleibt bei seiner Uridee zum Missionieren, sie bei ihrem sexualisierten Trieb.




Salome an der Hamburgischen Staatsoper | Foto (C) Monika Rittershaus


* *

Asmik Grigorian (als Salome) und Kyle Ketelsen (als Jochanaan) feierten als DAS Traumpaar dieses spektakulär umgedeuteten Strauss-Einakters einen gesanglichen wie schauspielerischen Doppeltriumph!!

John Daszak & Violeta Urmana (als Herodes & Herodias) vermochten, jede/r für sich, mehr Darstellerisches als gesungenes Gekonntes in die Waagschale zu werfen; ihre Doppelstrategie ging auf.

Interessant auch, was Oleksiy Palchykov (als Narraboth) und Jana Kurucová (als Page) aus ihren verhältnismäßig kleineren Rollen zu machen verstanden.

Die Textverständlichkeit bei fast allen Mitwirkenden war verblüffend.

Kent Nagano war weit davon entfernt, "sein" Philharmonisches Staatsorchester Hamburg mit den Strauss'schen Klangexzessen überzustrapazieren oder gar zu überhitzen. Insgesamt hörte es sich recht unhektisch und durchaus transparent an.

Einhellige Begeisterung, durchweg, für alle.


Andre Sokolowski - 30. Oktober 2023
ID 14454
SALOME (Hamburgische Staatsoper, 29.10.2023)
Musikalische Leitung: Kent Nagano
Inszenierung und Bühnenbild: Dmitri Tcherniakov
Kostüme: Elena Zaytseva
Licht: Gleb Filshtinsky
Dramaturgie: Tatiana Werestchagina
Besetzung:
Herodes ... John Daszak
Herodias ... Violeta Urmana
Salome ... Asmik Grigorian
Jochanaan ... Kyle Ketelsen
Page ... Jana Kurucová
Narraboth ... Oleksiy Palchykov
1. Jude ... James Kryshak
2. Jude ... Florian Panzieri
3. Jude ... Daniel Kluge
4. Jude ... Andrew Dickinson
5. Jude ... Hubert Kowalczyk
1. Nazarener ... Alexander Roslavets
2. Nazarener ... Nicholas Mogg
1. Soldat ... David Minseok Kang
2. Soldat ... Karl Huml
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Premiere war am 29. Oktober 2023.
(Live-Übertragung auf arteCONCERT)
Weitere Termine in Hamburg: 01., 04., 08., 12., 15.11.2023


Weitere Infos siehe auch: https://www.staatsoper-hamburg.de/


Post an Andre Sokolowski

https://www.andre-sokolowski.de

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