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Premierenkritik

Onegin in

Pforzheim



Eugen Onegin am Theater Pforzheim | Foto (C) Sabine Haymann

Bewertung:    



Woran erkennt man, dass ein Theater der Provinz zugerechnet wird? An der Tatsache, dass die Eintrittskarten zu Opern nur halb so viel kosten wie in den Metropolen. Über die musikalische und künstlerische Qualität sagt es noch gar nichts aus.

Das Theater Pforzheim hat seinen Eugen Onegin ganz ohne russische Gäste, aus dem hauseigenen Ensemble besetzt. Lediglich für die Zweitbesetzung der Titelpartie hat man sich Jorge Ruvalcaba aus dem benachbarten Stuttgart geholt. Bei der Premiere war Paul Jadach der zu Einfühlung unfähige Antiheld Puschkins und Tschaikowskis. Regie führt Carsten Fuhrmann, am Dirigentenpult steht Robin Davis der Generalmusikdirektor der Badischen Philharmonie Pforzheim.

Carsten Fuhrmann inszeniert mehr oder weniger vom Blatt, eher unterkühlt als romantisch, in und vor einer geometrischen Konstruktion wie aus einem Kinderbaukasten. Im Hintergrund leuchtet ein Birkenwäldchen durch – ah, Russland! –, das später unaufdringlich in langsamer Folge mit anderen Landschaftsbildern und abstrakten Mustern wechselt. Zwei „Einfälle“ hat der Regisseur hinzugefügt: Onegin erschießt Lenski nicht nach den Regeln des Duells, sondern versehentlich. Damit beraubt Fuhrmann Puschkin und Tschaikowski der Anklage gegen eine Moral, die Freunde wegen einer Nichtigkeit zu Feinden macht. Und: Die komische Nebenfigur Triquet, die eigentlich nur dazu da ist, um ein Couplet zu singen, erklärt dem Publikum zwischen den Akten, was Liebe ist und noch allerlei im Vorfeld der Premiere außerhalb des Theaters Erfragtes. Das ist überflüssig wie ein Kropf und verstößt gegen die musikalische Logik einer durchkomponierten Oper. Dass Triquet auch noch aus den Duineser Elegien vorliest, ist, bei aller Liebe Rilkes zur russischen Literatur, mit Verlaub, eine Schnapsidee.

In der berühmten Briefszene, für die Tschaikowski Puschkins Text, eine der schönsten Stellen nicht nur der russischen, sondern der Weltliteratur, wörtlich übernommen hat, beginnt Tatjana zu schreiben, zerknüllt das Papier und singt stehend an der Rampe. Der Verzicht auf historische Verortung, etwa in den Kostümen, unterschlägt, wie couragiert und wie revolutionär es für eine Frau zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch war, von sich aus ihre Liebe zu gestehen. Und auch die soziale Charakterisierung des „überflüssigen Menschen“, des blasierten adeligen Dandys, der keine Funktion in der Gesellschaft erfüllt, bleibt in dieser Inszenierung aus.

Gesanglich erfreuen die Damen und Herren des Ensembles auf hohem Niveau, insbesondere Stamatia Gerothanasi als Tatjana, Jina Choi als Olga und, trotz einem gelegentlichen Schwächeln in den Tiefen, Felipe Rojas Velozo als Lenski. Der Onegin Paul Jadach hat zwar eine kräftige, angenehme Stimme, neigt aber dazu, Tschaikowski mit Wagner und Onegin mit Gunther zu verwechseln. Etwas mehr Legato und Lyrismus täten der Rolle gut.

Gesungen wird deutsch. Felsenstein hätte seine Freude. Aber was nützt’s. Man versteht größtenteils kein Wort, und die Übertitel kann man nicht lesen, wenn die Bühne hell erleuchtet ist. Der vorzügliche Chor, zunächst einheitlich in Schwarz, danach in Weiß, liefert, stilisiert, den Rahmen für die Solisten, und das Orchester musiziert, wenn man von den mehr als üblichen Ausrutschern des Horns absieht, alles andere als „provinziell“.

*

Was können wir daraus lernen? Es lohnt sich, immer wieder mal die ausgetretenen Pfade des Kulturtourismus zu verlassen und zu erkunden, was es abseits zu sehen und zu hören gibt. Die großen Medien pochen gerne auf Pressefreiheit, wenn ihnen ein Stein in den Weg gelegt wird. Auf die Selbstzensur, die in der vorurteilsgeladenen Planung der Themen und in der Fixierung auf das bereits Bekannte besteht, geht man nicht weiter ein. Die Pressefreiheit ist für die Katz’, wenn man sie nicht nützt. Zum Beispiel durch einen Abstecher nach Pforzheim. Für die Menschen, die dort leben, ist es ein Zentrum und sein Theater nicht weniger wichtig als die Schaubühne oder die Staatsoper für die Berliner. Nur zur Erinnerung: Jonas Kaufmann hat in Saarbrücken begonnen, Michael Volle in Mannheim, Diana Damrau in Würzburg und Ann Petersen in Graz.




Eugen Onegin am Theater Pforzheim | Foto (C) Sabine Haymann

Thomas Rothschild - 2. April 2023
ID 14128
EUGEN ONEGIN (Theater Pforzheim, 01.04.2023)
Musikalische Leitung: Robin Davis
Inszenierung: Carsten Fuhrmann
Ausstattung: Stephan Testi
Dramaturgie und Übertitel: Inken Meents
Chorleitung: Johannes Antoni
Licht: Andreas Schmidt
Besetzung:
Eugen Onegin ... Paul Jadach
Tatjana ... Stamatia Gerothanasi
Lenski ... Felipe Rojas Velozo
Olga ... Jina Choi
u. a.
Chor und Extrachor des Theaters Pforzheim
Badische Philharmonie Pforzheim
Premiere war am 1. April 2023.
Weitere Termine: 08., 23., 27.04./ 07., 09., 13., 15., 23., 27.06./ 09.07.2023



Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-pforzheim.de


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