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Premierenkritik

Liebe im

Schatten der

Bartholomäus-

nacht



Die Hugenotten am Nationaltheater Mannheim | Foto (C) Christian Kleiner

Bewertung:    



Giacomo Meyerbeer (1791-1864), der Richard Wagner in jungen Jahren finanziell unterstützt hatte und zunächst von diesem bewundert wurde, lieferte das bevorzugte Feindbild für dessen antisemitisches Pamphlet Das Judenthum in der Musik und in übersteigerter Form für die erfolgreiche Hetzschrift Judentum und Musik von Karl Blessinger, der 1936 als Leiter des NS-Dozentenbundes den Höhepunkt seiner Karriere erreichte. Ob und wie weit der Antisemitismus dazu beigetragen hat, dass der einst überaus populäre Komponist und sein Werk nahezu in Vergessenheit geraten sind, lässt sich schwer rekonstruieren.

*

Das bewährte Team Jossi Wieler, Sergio Morabito (Regie) und Anna Viebrock (Bühne und Kostüm) jedenfalls hat sich eins der Hauptwerke Meyerbeers, Die Hugenotten, vorgenommen. Jetzt ist die Koproduktion mit dem Grand Théâtre de Genève in der Ludwigshafener Ausweichstelle des wegen Sanierung unbespielbaren NATIONALTHEATERS MANNHEIM angekommen, größtenteils besetzt mit dessen Ensemblemitgliedern und mit seinem Chor und Orchester unter der Leitung seines Kapellmeisters Jānis Liepiņš. (Was täten die deutschen Opernhäuser eigentlich ohne ihre osteuropäischen „Gastarbeiter“?) Mitgebracht hat Jossi Wieler die mit heftigem Applaus honorierte Ana Durlovski, für die das Engagement während seiner Stuttgarter Intendanz einen verdienten Karrieresprung bedeutet hat und die sich in der Rolle der Marguerite de Valois, der Schwester von Elisabeth de Valois, die wir eben erst in Don Karlos erlebt haben, mit Estelle Kruger abwechselt. Als Raoul de Nangis brilliert der russische und weltweit gerne in russischen Opern besetzte Tenor Anton Rositskiy, der diese Rolle gelegentlich auch an der Deutschen Oper Berlin (Regie: David Alden) gesungen hat.

Die Hugenotten handeln von verwickelten Liebes- und Feindschaftsbeziehungen im Vorfeld der Bartholomäusnacht. Bei Wieler und Morabito wird deren Ergebnis, das bei Meyerbeer erst am Ende und eher kursorisch gezeigt wird, gleich zu Beginn, während der Ouvertüre, vorweggenommen. Immer wenn Gewalt gegen Muslime beklagt wird, erheben sich die Stimmen, die eine Gegenrechnung der Christenverfolgungen fordern. Die Hugenotten erinnern daran, dass eins der grausamsten Massaker gegenüber Christen von Christen, nämlich von Katholiken gegenüber Protestanten, den Hugenotten eben, verübt wurde.

Wenn ein Opernhaus seinem Chor Gelegenheit bieten möchte, seine Qualitäten zu demonstrieren, wird meist auf Nabucco zurückgegriffen. In Mannheim/ Ludwigshafen kann man sich davon überzeugen, dass Die Hugenotten, musikalisch wie szenisch, eine bedenkenswerte Alternative sind. So konzentriert sich auch die Regie auf den vergrößerten Chor, der fast die ganze Bühne füllt. Im ersten Akt ist es ein Männerchor, im zweiten ein Frauenchor, ehe er sich zu einem gemischten Chor steigert. Die Schauplätze sind, wie zu erwarten, unorthodox: ein Tennisclub, wie neulich im Berliner Iwanow (viel hat Tschechows „überflüssiger Mensch“ mit Frankreichs katholischer Aristokratie im 16. Jahrhundert ja eigentlich nicht gemeinsam, außer dass sie offenbar alle Tennis spielen), ein Filmatelier, Betstühle, für die Anna Viebrock eine Schwäche zu haben scheint. An einer Stelle – der einzigen, für die es ein paar Buhs gab – kratzen sich die Bühnenfiguren reihum und scheinen lästige Insekten zu verjagen. Hab’ ich das nicht schon mal irgendwo gesehen? Nicht immer überzeugen Wielers und/ oder Morabitos Einfälle. Ein Duell wird durch einen Boxkampf ersetzt, obwohl Degen in dieser Inszenierung durchaus zum Inventar zählen. Wo liegt der Gewinn?

Gleich zu Beginn und auch danach zitiert Meyerbeer das Kirchenlied "Ein feste Burg ist unser Gott", dessen Melodie Martin Luther zugeschrieben wird. So kann man die „Grand Opéra“ eines Juden und Freimaurers als Würdigung des Protestantismus und als Requiem für die Mordopfer unter den Protestanten hören. Damit mag Richard Wagner seine Probleme haben. Dem Team der aktuellen Inszenierung fiel dazu D.W. Griffith ein, in dessen legendärem Film Intolerance von 1916 die Bartholomäusnacht das Thema einer ganzen Episode abgibt. Dass die ein Jahr davor entstandene Birth of a Nation als krass rassistisch gilt – sei’s drum. Man entkommt ihm nicht, dem Rassismus, von Wagner über Griffith bis (bitte entsprechende Namen einsetzen).



Die Hugenotten am Nationaltheater Mannheim | Foto (C) Christian Kleiner

Thomas Rothschild - 23. Januar 2023
ID 14016
DIE HUGENOTTEN (Pfalzbau Ludwigshafen, 22.01.2023)
Musikalische Leitung: Jānis Liepiņš
Regie: Jossi Wieler und Sergio Morabito
Bühne & Kostüme: Anna Viebrock
Chordirektor: Dani Juris
Licht: Nicole Berry
Choreografie: Altea Garrido
Dramaturgie: Sergio Morabito und Polina Sandler
Besetzung:
Marguerite de Valois ... Ana Durlovski
Raoul de Nangis ... Anton Rositskiy
Marcel ... Sung Ha
Urbain ... Hyemi Jung
Le Comte de Saint-Bris ... Stefan Sevenich
Valentine de Saint-Bris ... Hulkar Sabirova
Le Comte de Nevers ... Nikola Diskić
Tavannes / Erster Mönch ... Christopher Diffey
Cossé ... Haesu Kim
Thoré/ Maurevert ... Kabelo Lebyana
De Retz/ Zweiter Mönch ... Joachim Goltz
Méru/ Dritter Mönch ... Serhii Moskalchuk
Archer ... Thomas Berau
Dame d´honneur / Zweite junge Katholikin/ 2. Bohémienne ... Maria Polanska
Eine Coryphée/ Erste junge Katholikin/ 1. Bohémienne ... Rebecca Blanz
Bois-Rosé/ le valet ... Uwe Eikötter
Statisterie
Opernchor und Extrachor des Nationaltheaters
Nationaltheater-Orchester
Premiere am Nationaltheater Mannheim: 22. Februar 2023
Weitere Termine: 24., 26., 28.01./ 01., 03., 05.02.2023
Koproduktion mit dem Grand Théâtre de Genève


Weitere Infos siehe auch: https://www.nationaltheater-mannheim.de/


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