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Konzertkritik

Vom Vorbildcharakter

der Musik

Werke von Schostakowitsch, Pärt und Weinberg - mit Mitgliedern des Staatsorchesters Stuttgart

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Vorweg:

Gerne hätten wir unsere Leser über ein Konzert der Stuttgarter Philharmoniker informiert, das durch die Teilnahme von HK Gruber, einem der interessantesten und witzigsten lebenden österreichischen Komponisten, hörenswert zu werden versprach. Aber die Orchesterbürokratie hat auf mehrere Anfragen mit der Bitte um Pressekarten nicht reagiert. Immer häufiger werden Journalisten wie Bittsteller behandelt, denen Veranstalter eine Gnade erweisen, wenn sie ihnen ermöglichen, ihrer Aufgabe nachzukommen. Immer häufiger wird ihnen zugemutet, dass sie für ihre Arbeit bezahlen sollen. Noch schlimmer übrigens als die Konzertveranstalter im Klassik-Sektor sind die Veranstalter aus dem Pop-Bereich, die unverblümt einen Vorbericht fordern, also PR, für die sie ansonsten hohe Beträge zahlen müssen, um Pressekarten zu vergeben. Entsprechend fallen die Kritiken der bestochenen Journalisten aus. Wir lassen uns auf solchen Kuhhandel nicht ein. Bei der Zuteilung von Subventionen allerdings sollte nachgefragt werden, wie es die Empfänger mit den Verpflichtungen gegenüber der Öffentlichkeit halten.

Vielleicht tun wir den Stuttgarter Philharmonikern ja Unrecht. Vielleicht sind sie bloß der Meinung, dass es sich nicht lohnt, ihre Konzerte zu besprechen. Und dass Kritiker ihre Zeit ertragreicher nützen können. Also sehen wir uns bei der Konkurrenz um.




Konzertzyklen werden häufig nach der Größe der Ensembles angeordnet. So müssen sich die Abonnenten zwischen Symphonie- und Kammerkonzerten entscheiden, als verstieße es gegen die guten Sitten, ein Streichquartett auf eine Symphonie oder ein Bläserquintett auf ein Klavierkonzert – oder umgekehrt – folgen zu lassen. So auch in Stuttgart. Im 3. Kammerkonzert des Staatsorchesters dürfen nicht mehr als fünf Musiker gleichzeitig die Bühne betreten. Was, außer der kleinen Besetzung, die drei Stücke des Konzerts verbindet, ist die Herkunft der Komponisten aus Osteuropa. Der eine ist Russe, der andere ein vor den Nazis in die Sowjetunion geflüchteter Pole und der dritte ein inzwischen mit der österreichischen Staatsbürgerschaft versehener Este. Stilistisch stehen sich nur zwei, Dmitri Schostakowitsch und Mieczysław Weinberg, nahe. Der dritte und jüngste, Arvo Pärt, ist als Komponist und auch ideologisch in eine ganz andere Richtung gegangen. So erweist sich das Programm als zugleich homogen und gegensätzlich.

Alle drei Komponisten sind mittlerweile in Deutschland etabliert und bedürfen keiner speziellen Werbung. Schostakowitsch ist längst als einer der bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts und als der wohl wichtigste aus Russland anerkannt. Die späte, inzwischen aber durch zahlreiche Aufzeichnungen unterstützte (Wieder)Entdeckung Weinbergs, der schon seinerzeit von Schostakowitsch entdeckt und gefördert wurde, verdanken wir maßgeblich dem unermüdlichen Einsatz von Gidon Kremer, und für Arvo Pärts superlativischen Erfolg war, jedenfalls zu Beginn, der Schallplattenproduzent Manfred Eicher verantwortlich. Talent, möchte man meinen, setzt sich durch. Aber wer keinen Förderer hat, kann schon sehr lange unbemerkt bleiben. Mit Protektionismus hat das nichts zu tun, wohl aber mit Solidarität von Menschen, die Qualität zu erkennen vermögen.

*

Gespielt wurden im Mozartsaal der Stuttgarter Liederhalle, in dieser Reihenfolge, Dmitri Schostakowitschs Klaviertrio Nr. 2 e-Moll op. 67, Arvo Pärts 1977 komponierte und seither mehrmals bearbeitete Fratres für Streichquartett und Mieczysław Weinbergs Klavierquintett op. 18, entstanden 1944, im selben Jahr wie das Klaviertrio des 13 Jahre älteren Schostakowitsch. Die kleine Besetzung widerlegt die landläufige Ansicht, dass Orchestermusiker enttäuschte Versager seien, die ihren Lebenstraum aufgeben mussten und es nicht zum Solisten gebracht hätten. Insbesondere die Kompositionen von Schostakowitsch und Weinberg verlangen jedem einzelnen Musiker technische und musikalische Leistungen ab, die die Mitglieder des Staatsorchesters Stuttgart [Namen s.u.], unter ihnen der aus Russland stammende Konzertmeister, mit Bravour erbrachten. Zugleich beweisen diese Kompositionen, dass Modernität und Eingängigkeit kein Widerspruch sein müssen. Ihre Dramatik, ihre faszinierende Bewegtheit, der Arvo Pärts meditatives Stück gar nicht erst nachzueifern versucht, ihre durchschaubaren und doch auch überraschenden Strukturen sind fesselnd und vergnüglich zugleich, trotz der deprimierenden biographischen Erfahrungen, die ihnen zugrunde liegen. Eine allzu geradlinige inhaltliche Interpretation von Musik ist ohnedies zumindest riskant, wenn nicht fragwürdig. Namentlich das Klaviertrio von Schostakowitsch mit seinen folkloristischen und exotischen Anklängen ist vom einleitenden Flageolett des Cellos an nicht ohne Witz.

Übrigens: von den acht am Konzert beteiligten Künstler*innen stammen zwei aus Moskau, einer aus Budapest, eine aus Łódż und einer aus Eriwan. Für die Musik ist Internationalität seit langem Selbstverständlichkeit und Chauvinismus ein Fremdwort. Schon deshalb können Musiker als Modell dienen für eine Gesellschaft, in der es sich zu leben lohnt.
Thomas Rothschild – 17. Februar 2022
ID 13464
3. KAMMERKONZERT (Liederhalle, 16.02.2022)
Dmitri Schostakowitsch: Klaviertrio Nr. 2 e-Moll op. 67
Arvo Pärt: Fratres für Streichquartett
Mieczysław Weinberg Klavierquintett op. 18
Kathrin Scheytt, Violine
Marion Schäfer, Violine
Madeleine Przybyl, Viola
Zoltan Paulich, Violoncello
Jewgeni Schuk, Violine
Anna Rokicka, Violine
Alexander Akimov, Viola
Vache Bagratuni, Violoncello
Petra Menzel, Klavier
Stefan Schreiber, Klavier
Mitglieder des Staatsorchesters Stuttgart


https://www.staatsoper-stuttgart.de/staatsorchester/


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