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nachDRUCK # 5

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Konzertkritik

Mit der Oboe

nach England



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Kein anderer Komponist an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert außer Edvard Grieg mit seiner Suite Aus Holbergs Zeit hat sich so ungeniert in die ferne Vergangenheit begeben wie Sergej Prokofjew mit seiner 1., der so genannten „klassischen“ Symphonie. Wahrscheinlich sind es die spielerische Bedenkenlosigkeit, der parodistische Witz mit seinen „zumutbaren“ Irritationen, was dieses kurze Meisterwerk des 25jährigen Prokofjew so populär und unmittelbar zugänglich macht.

Die mexikanische Dirigentin Alondra de la Parra beim 4. Sinfoniekonzert des Staatsorchesters Stuttgart scheint, gehüllt in eine Art Pyjamaanzug, in die Parodie einbezogen zu sein. Sie mimt einen Pantomimen, der eine Dirigentin mimt. Nach dem Prokofjew unternimmt Albrecht Mayer, der wohl am häufigsten genannte und ausgezeichnete Oboist aus der Generation nach Heinz Holliger, eine Reise nach England, zu Kompositionen von Edward Elgar und Ralph Vaughan Williams, die bruchlos in einander übergehen. Als Zugabe liefert er, unterstützt von fünf Streichern des Orchesters, eine sichere Nummer: Johann Sebastian Bach pur, zum Schmelzen schön.

Nach der Pause gibt es die deutsche Erstaufführung der Sinfonía Imposible des mexikanischen Komponisten Arturo Márquez. Die Satzbezeichnungen und einleitende Worte der Dirigentin suggerieren, dass es im Sinne einer politischen Programmatik um Klimawandel, Geschlechtergleichheit, Migration, Empathie gehe. Das klingt vielversprechend, jedenfalls im Geist der aktuellen Stimmungen, allerdings nur als Ankündigung, nicht aus der vom Blech dominierten Musik. Die ist, angesiedelt irgendwo zwischen Tschaikowski und Morricone, mit wenig Ausnahmen ziemlich belanglos, gespickt mit Effekten, und man wähnt eher die Ankunft mexikanischer Revolutionäre mit Sombreros zu Pferde, als soziale und ökologische Dringlichkeiten. Die Mexikaner im Saal freilich, deren Anwesenheit die Dirigentin wie bei einem Popkonzert erfragt hatte, dankten mit Standing Ovations, und der Rest des Publikums bekundete einstimmend, dass ihm Äußerlichkeiten mehr bedeuten als solide Komposition. Die Vorahnung, dass die Sinfonía Imposible die Erstaufführung, jedenfalls in Deutschland, nicht überleben wird, dürfte sich bestätigen.

*

Übrigens, eine schöne, lobenswerte Einrichtung des Staatsorchesters: Während des ersten Teils von mehreren seiner Konzerte bietet es immer wieder Workshops für Kinder im Alter von 4 oder 5 bis 10 Jahren an, in denen diese auf den zweiten Teil vorbereitet werden, und zwar ohne lange Erwägungen bezüglich der ohnedies schwer feststellbaren „Kindgemäßheit“ der auf dem Programm stehenden Werke. Auf die Didaktik folgt der Genuss, der – ein Nebeneffekt – die angemessene Länge für motorisch unterforderte Kinder hat. In anderen Ländern, in England etwa oder in Russland, ist derlei nicht ungewöhnlich. In Deutschland hat es keine Tradition. Im Freitag hat sich kürzlich eine Eva Marburg über den „Hochkulturmasochismus derer mokiert, die, inklusive der Schauspieler*innen, im Theater nicht durch das Geschwätz von Populärkultursadisten (es handelt sich in ihrem Beispiel ausdrücklich um ein „älteres Ehepaar“, nicht um Kinder) gestört werden wollen. Das Stuttgarter Beispiel zeigt die Alternative auf: statt den Mangel an Rücksichtnahme als revolutionären Akt der Selbstverwirklichung anzupreisen, kann man schon Kinder in die Lage versetzen, Musik (oder Theater) konzentriert und schweigend wahrzunehmen. Alfred Brendel meinte einmal sogar, dass Husten sich im Konzert unterdrücken ließe. Das mag zu viel verlangt sein. Für die Gesprächsdiarrhö gilt es auf alle Fälle – jedenfalls, wenn nicht für „ältere Ehepaare“, für Kinder, die man zum Zuhören befähigt hat. Wer das für Masochismus hält, beweist lediglich, dass er (oder sie) von Psychologie ebenso wenig versteht wie von einer durch die Vorsilbe „hoch“ diffamierten Kultur. Die höhnische Verachtung für „Erziehungsmaßnahmen“ passt dazu. Frau Marburg hat halt zum Liberalismus des „Anything Goes“ eine intimere Beziehung als zur Emanzipation durch „Kompensatorische Erziehung“. Der Freitag war einmal eine linke Zeitung...
Thomas Rothschild – 23. April 2023 (2)
ID 14160
STAATSORCHESTER STUTTGART (Liederhalle, 23.04.2023)
Sergej Prokofjew: Sinfonie Nr. 1 D-Dur op. 25 Symphonie classique
Edward Elgar/ Gordon Jacob: Soliloquy für Oboe und Orchester
Ralph Vaughan Williams: Konzert für Oboe und Streicher a-Moll
Arturo Márquez: Sinfonía Imposible
Albrecht Mayer, Oboe
Staatsorchester Stuttgart
Dirigentin: Alondra de la Parra


Weitere Infos siehe auch: https://www.staatsoper-stuttgart.de/staatsorchester/


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